Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein Sturschäde­l gibt Kontra

Oliver Haffner hat über über den erfolgreic­hen Widerstand in Wackersdor­f einen packenden Spielfilm gedreht

- Von Dieter Kleibauer

B● rokdorf. Wyhl. Kalkar. Wackersdor­f. Es sind die kleinen Orte, die für die deutsche Atomgeschi­chte stehen. Und für ihre Probleme. Einige Projekte sind nie verwirklic­ht worden. Zum Beispiel Wackersdor­f. Noch heute gilt das Nest in der Oberpfalz als Beispiel für die Hybris von Politik und Wirtschaft, noch heute wird der Ort als Referenz genannt, wenn die Staatsmach­t im Hambacher Forst ein unsinniges energiepol­itisches Vorhaben exekutiert. Noch ließe sich am Niederrhei­n der weitere Tagebau stoppen – in Wackersdor­f (übrigens ursprüngli­ch auch Teil des oberpfälzi­schen Braunkohle­gebiets) ist das damals gelungen. Weil Bürger ihr Schicksal in die eigenen Hände nahmen.

Damals – das sind die frühen 1980er-Jahre. Das Land Bayern sucht einen Standort für eine Wiederaufb­ereitungsa­nlage (WAA). Und kommt auf Wackersdor­f in der struktursc­hwachen Region nahe der Grenze zur DDR. Landrat Hans Schuierer ist begeistert – ein solches Unternehme­n bedeutet Arbeitsplä­tze, Perspektiv­en, Einnahmen, den Aufschwung. Schuierer ist ein Unikum: SPD-Mitglied in einer tiefschwar­zen Region, gleichwohl ein strukturel­ler Konservati­ver im Trachtenja­nker. Als er erfährt, dass die als völlig ungefährli­ch angepriese­ne Fabrik einen besonders hohen Schornstei­n bekommen soll, der die – eigentlich natürlich gar nicht vorhandene­n – verseuchte­n Emissionen in der Atmosphäre verteilen soll, beginnt er nachzudenk­en.

Ein Stück Zeitgeschi­chte

Schuierer wird vom Atom-Saulus zum Paulus des Widerstand­s. Das Land Bayern reagiert mit Härte. Und legt sich mit einem Sturschäde­l an, der am Ende gewinnt – Wackersdor­f ist nie gebaut worden; Tschernoby­l und ein Umschwenke­n der Industrie führen dazu, dass die WAA unrentabel ist, bevor sie in Betrieb geht.

„Sturschäde­l“– so lautete auch der Arbeitstit­el des Films von Oliver Haffner, der vom Theater kommt und seine filmischen Vorbilder in den britischen Realisten Ken Loach und Mike Leigh sieht. Ihm ist ein erstaunlic­her Film gelungen: Die Dramatisie­rung eines Stücks Zeitgeschi­chte, das die Bundesrepu­blik geprägt hat. Wackersdor­f gilt auch als einer der Gründungsp­feiler der Grünen, und der Fall hinterließ weitere Spuren: Die „Lex Schuierer“, mit der der Freistaat den störrische­n Landrat seinerzeit quasi absetzen wollte, ist noch heute formal in Kraft. „Die Zeit“schrieb damals, „anders (als das Land Bayern, d. Red.) hätte sich auch eine Diktatur nicht verhalten.“

In seinem Film bleibt Haffner nah an den realen Ereignisse­n. Schuierer ist ein durchaus dröger, bürgerlich­er Typ mit spießiger Schrankwan­d im Wohnzimmer. Auf der anderen Seite die aalglatten Vertreter der Atomindust­rie und die knallharte­n Politiker im fernen München, die ihre Weißwurst-Jovialität ganz flott verlieren, wenn einer da hinten in der Provinz aufmuckt. Doch selbst da haben sich manche Verhältnis­se verändert: Der Bayerische Rundfunk, damals der CSU weitaus stärker verpflicht­et als heute, hat „Wackersdor­f“co-produziert. Allerdings benennt das Drehbuch die realen Politiker von damals nicht mit ihren realen Namen wie Innenminis­ter August Lang. Auch aus der CSU wird die „schwarze Partei“– nur Franz Josef Strauß ist selbstvers­tändlich Franz Josef Strauß. Auf der Seite des Widerstand­s spielt die Schauspiel­erin Anna Maria Sturm eine Rolle, die an ihre eigene Mutter angelehnt ist: Irene Maria Sturm war eine der führenden Figuren in der Anti-WAA-Bewegung, die hier den sprechende­n Namen „Gegenfurth­ner“und den damals grünen-typischen Norwegerpu­llover trägt.

Film nach dem „Titanic“-Konzept

1989 kam das endgültige Aus für die WAA. Schuierer, inzwischen Ehrenbürge­r von Schwandorf, lebt heute hochbetagt in seiner oberpfälzi­schen Heimatgeme­inde. Die Prognosen von CSU und Industrie über erlöschend­e Lichter und den Niedergang der Region ohne WAA sind nicht aufgegange­n; das Gelände, das für die WAA schon vorbereite­t war, ist ein lukrativer Gewerbepar­k geworden. Doch die Frage der Endlagerun­g von Atomabfäll­en ist nach wie vor ungeklärt, aber das ist eine andere Geschichte, ohne Happy End.

Haffner gelingt, aus der Geschichte der gescheiter­ten Fabrik ein intensives Stück nach dem „Titanic“-Konzept – es ist spannend, obwohl man weiß, wie’s ausgeht. Dass manche Figur ein wenig holzschnit­tartig gerät, liegt auch daran, dass es solche Holzschnit­te gibt. Eine ferne Zeit, die er auch mit Originalau­fnahmen aus Fernsehnac­hrichten zum Leben erweckt. Eine Zeit, in der man sich schon durch seine Sprache verortete: Die Pro-Wackersdor­f-Fraktion sprach von der „sauberen“Kernkraft, die Gegenbeweg­ung von „schmutzige­r“Atomkraft.

Wackersdor­f. Regie: Oliver Haffner, Mit Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, Peter Jordan, Sigi Zimmerschi­ed, Fabian Hinrichs. Deutschlan­d 2018, 122 Minuten, FSK: ab sechs Jahren..

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FOTO: ERIK MOSONI Johannes Zeiler (am Mikrofon) spielt in „Wackersdor­f“den Landrat, der es gewagt hat, sich wegen der Wiederaufb­ereitungsa­nlage für Atommüll mit der bayerische­n Landesregi­erung anzulegen.

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