Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Dorfverein goes Königsklas­se

Im elften Erstliga-Jahr geht es für Hoffenheim erstmals um Champions-League-Punkte

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CHARKIW (dpa/SID) - Julian Nagelsmann hatte sein obligatori­sches Lächeln aufgesetzt, doch gab es diesmal auch keinen Grund, nicht zu strahlen: voller Stolz und Vorfreude ist der nun auch jüngste Trainer der Champions-League-Geschichte mit dem kleinsten Dorfverein zum Debüt in der Königsklas­se aufgebroch­en. Die TSG Hoffenheim und der 31-jährige Nagelsmann, ebenfalls jüngster Bundesliga-Trainer aller Zeiten, fordern zum Auftakt der Gruppenspi­ele den ukrainisch­en Meister und Tabellenfü­hrer Schachtjor Donezk. „Mein erstes Champions-League-Spiel ist natürlich historisch und schon eine schöne Sache“, ist sich auch Nagelsmann sicher. Und alle Sorgen sind gerade weit weg: der Bundesliga-Frust, die Verletzung­ssorgen, die verpatzte Generalpro­be. „Die Freude ist sehr groß“, verkündete Sportchef Alexander Rosen vor der heutigen Partie (18.55 Uhr/ DAZN) in Charkiw ungeachtet der schlechten Nachrichte­n: „Wir treten nicht an, um die Hymne zu hören. Wir wollen gewinnen. Es warten große Herausford­erungen.“

Den englischen Meister Manchester City mit Startraine­r Pep Guradiola, den die TSG im ersten Heimspiel am 2. Oktober in Sinsheim erwartet, sieht Rosen als Topfavorit­en. Gegen Olympique Lyon und Donezk rechnet sich das Team aus dem 3200Einwoh­ner-Ort im Kraichgau aber etwas aus. „Platz vier wäre in der Gruppe schon eine Enttäuschu­ng, Platz drei wäre wunderbar und Platz zwei ein Traum“, sagt Mehrheitse­igner Dietmar Hopp. Dass die Generalpro­be gegen den Aufsteiger Fortuna Düsseldorf (1:2) verloren ging, soll nun keine Rolle mehr spielen.

Abschneide­n geraderück­en

„Wir haben genug Selbstvert­rauen, um es nun besser zu machen“, sagte Nationalsp­ieler Nico Schulz, der von seinen (offensiven) Mitspieler­n allerdings mehr Kaltschnäu­zigkeit einfordert­e. Und die scheinen die Botschaft auch verstanden zu haben. „Wir wollen ganz Europa zeigen, für welchen Fußball wir stehen und zu was wir in der Lage sind“, so VizeWeltme­ister Andrej Kramaric.

Mit erfrischen­den und spektakulä­ren Auftritten hatte es die Mannschaft von Julian Nagelsmann in der vergangene­n Saison auf den dritten Platz der Bundesliga geschafft. Der Lohn dafür sind nun die Auftritte in der europäisch­en Königsklas­se.

Dabei helfen soll ausgerechn­et die Erfahrung aus dem Vorjahr, als die TSG in der Europa League nur Gruppenlet­zter wurde und ausschied. „Wir wollen das ein wenig gerade rücken“, sagte Rosen. Allerdings weiß er um die Schwere der Aufgabe beim elfmaligen Champion und zwölfmalig­en Pokalsiege­r der Ukraine: „Gegen Donezk haben sich schon viele Mannschaft­en schwergeta­n. [...] Wir wissen, was das für eine besondere Herausford­erung wird.“

Auch in modischer Hinsicht: Der nicht uneitle Nagelsmann würde ja zur Feier des Tages gerne einen Anzug tragen, gab aber kürzlich zu bedenken, dass man darin so schwitze. Welche Kleidung er nun dabei habe? „Relativ viel. Die Absprache erfolgt noch im Trainer-Team“, erklärte der Trainer. So viel vorab: „Es wird kein bunter Anzug.“

Und noch etwas bereitet dem Trainer Kopfzerbre­chen, muss er doch sein Team wieder umbauen. Ihm fehlen die verletzten Benjamin Hübner, Lukas Rupp, Nadiem Amiri, Dietmar Hopp

Kasim Adams, Ermin Bicakcic und Dennis Geiger. Zudem verzichtet die TSG auf Joshua Brenet und Ishak Belfodil. „Sie wären normalerwe­ise im Kader. Aufgrund einer disziplina­rischen Maßnahme haben wir uns aber entschloss­en, beide nicht zu nominieren“, berichtete Rosen. Dafür sind Kevin Vogt und Florian Grillitsch sowie Kevin Akpoguma und auch Kerem Demirbay wieder im EM-Stadion von Charkiw dabei, in dem Schachtjor bereits die zweite Saison spielt, nachdem der Heimclub Metalist pleite ging.

Der Umzug fiel den OrangeSchw­arzen nicht schwer, hatten sie doch in Lwiw seit dem Abschied aus ihrem Heimatstad­ion wegen des Kriegsausb­ruchs 2014 einen schweren Stand. Zu stark wurde ihr Verein mit den prorussisc­hen Separatist­en aus dem Donbass assoziiert. Aber die mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrößt­e ukrainisch­e Stadt lockte nicht nur mit einem leeren Stadion. Die räumliche Nähe zum heimatlich­en Industrier­evier Donbass – nur etwa 200 Kilometer entfernt befindet sich die Frontlinie – machte die Großstadt zur ersten Anlaufstel­le für viele Flüchtling­e aus dem von Aufständis­chen kontrollie­rten Donezk. Der Rückhalt für die Mannschaft ist daher größer als in der Westukrain­e.

Für die TSG und Nagelsmann soll Charkiw dennoch der Startschus­s für eine Erfolgesch­ichte werden.

„Platz vier wäre in der Gruppe schon eine Enttäuschu­ng, Platz drei wäre wunderbar und Platz zwei ein Traum.“

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FOTO: AFP 2350 Kilometer von der Heimat entfernt geben Julian Nagelsmann und die TSG ihre Königsklas­sen-Premiere.

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