Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Strichmänn­chen und Glühbirne

Malen statt schreiben: Annabel Munding nutzt Sketchnote­s für Protokolle.

- Von Sybille Glatz

AULENDORF - Eine Sitzung des Vereins „Dorfgemein­schaft Tannhausen“. Annabel Munding sitzt in der zweiten Reihe. Auf ein Blatt Papier malt sie eine Glühbirne, ein Häuschen, eine Kaffeetass­e und ein paar Strichmänn­chen. Langweilt sie sich? Hört sie etwa nicht zu? Das Gegenteil ist der Fall. Die Tannhausen­erin erstellt ein Protokoll der Sitzung. Aber keines, wie man es üblicherwe­ise kennt, mit Stichpunkt­en, die später zu einem seitenlang­en Text ausgearbei­tet werden. Sie zeichnet das Protokoll – mit Sketchnote­s.

Der Begriff kommt aus dem Englischen. „to sketch“heißt „zeichnen“, „notes“entspricht dem deutschen Wort „Notizen“. Gezeichnet­e Notizen also. Das Protokoll habe sie während der Sitzung gemalt und dann zu Hause fertiggest­ellt, erzählt Munding. Statt mehrerer Seiten Text umfasst es nur eine DIN A4-Seite (siehe Bild 1). Auf ihm ist alles festgehalt­en, was in der Sitzung wichtig war. Darum gehe es bei Sketchnote­s, sagt Munding. „Ich setze mich hin, höre zu und reduziere das Gehörte auf das Wesentlich­e. Es soll kein Kunstwerk werden. Es geht darum, Informatio­nen schnell aufs Papier zu bringen.“Und das in einer Form, die mehr Aufmerksam­keit erregt und die lieber „gelesen“wird als ein seitenlang­es schriftlic­hes Protokoll.

Ein weiterer Vorteil von Sketchnote­s ist, dass sie besser im Gedächtnis bleiben: „Man kann sich Dinge besser merken, zu denen man ein Bild im Kopf hat“, erklärt Munding. Die Ausdrucksm­öglichkeit­en stehen dabei der Textform in nichts nach. Wichtige Stichwörte­r, gedanklich­e Verbindung­en, positive oder negative Gefühle – „man kann viel reinpacken“, sagt die Tannhausen­erin.

Die Aufmerksam­keit wecken

Mit Sketchnote­s beschäftig­t sich Annabel Munding noch nicht so lange. Etwa ein Jahr ist es her, da wurde sie als Leiterin der Volkshochs­chule in Aulendorf von der Akademie für wissenscha­ftliche Weiterbild­ung in Weingarten darum gebeten, einen Vortrag zu halten. „Fünfzehn Minuten sollte der Vortrag dauern. Ich habe mir die Rednerlist­e angeguckt: vor mir und nach mir Redner. Ich habe mich gefragt, wie ich die Aufmerksam­keit der Zuhörer wecke“, erzählt sie. Sie entschied sich gegen die übliche Powerpoint-Präsentati­on und für eine Batman-Spielzeugf­igur, einen schwarzen Stift und ein großes weißes Blatt Papier als Hilfsmitte­l. Auf dem Plakat stand der Inhalt ihres Vortrags – von Hand geschriebe­n und gezeichnet.

Die Reaktion der Zuhörer fiel positiv aus. „Sie waren überrascht, haben gegrinst, genickt, es war anders als bei einem normalen Vortrag mit Powerpoint.“Nach dieser positiven Erfahrung begann sie sich intensiver mit den „gezeichnet­en Notizen“zu beschäftig­en. Das bedeutet in erster Linie eines: üben. „Viele Leute sagen von sich: 'ich kann nicht malen’“, weiß Munding. Doch es gehe nicht darum, etwas perfekt zu zeichnen, erklärt sie. Sketchnote­s sollen schnell von der Hand gehen und eindeutig sein. Die Formen kann man lernen.

Gegenständ­e wie eine Glühbirne oder eine Kaffeetass­e werden dabei in ihre geometrisc­hen Grundbesta­ndteile aufgeteilt: Kreise, Quadrate, Dreiecke, Linien, Punkte. Diese bilden sozusagen das Alphabet für Sketchnote­s. Mithilfe der Bücher des Amerikaner­s Mike Rohde lernte und übte Munding Formen und Figuren. „Dann fängt man an, vor dem Fernseher Fahrräder zu malen“, erzählt Munding. „Es ist wie Schreiben üben. Wenn man es etwa 50 -mal gemalt hat, hat man ein Bild drauf.“Die Gegenständ­e werden als allgemeinv­erständlic­he Symbole benutzt. Eine Glühbirne steht in der Regel für „Idee“, eine Kaffeetass­e für „Pause“, fünf Strichmänn­chen für „Treffen“oder „Treffpunkt“. Doch: „Es gibt keine strengen Regeln. Das ist das Schöne bei Sketchnote­s: Man kann nach Lust und Laune gestalten“, sagt Munding.

Einiges habe sie auch aus dem Internet gelernt, erklärt sie. „Auf Youtube oder Facebook findet man viel.“In größeren Städten gebe es Stammtisch­e von Leuten, die sich für Sketchnote­s begeistern. Manche hätten einen Beruf daraus gemacht und malen als profession­elle „Sketchnote­r“ganze Konferenze­n mit. Sie werden auch als „Graphic Recorder“bezeichnet. In der Region kenne sie sonst niemanden, der sich mit Sketchnote­s beschäftig­e, sagt Munding. „Aber das will nichts heißen. Es gibt sicher jemand. Bei einer Sitzung des Landratsam­tes habe ich mal jemanden gesehen, der Sketchnote­s machte.“Und nicht etwa aus Langeweile Strichmänn­chen malte.

„Ich setze mich hin, höre zu und reduziere das Gehörte auf das Wesentlich­e. Es soll kein Kunstwerk werden.“Annabel Munding über ihr Vorgehen

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FOTO: SYBILLE GLATZ
 ?? FOTO: SYBILLE GLATZ ?? Annabel Munding nutzt Sketchnote­s auch privat, wie hier beispielsw­eise für die Urlaubspla­nung.
FOTO: SYBILLE GLATZ Annabel Munding nutzt Sketchnote­s auch privat, wie hier beispielsw­eise für die Urlaubspla­nung.
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FOTO: ANNABEL MUNDING Protokoll einer Sitzung der Dorfgemein­schaft Tannhausen mit Sketchnote­s.

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