Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Unfallschutz mit Minirakete
Was Autofahrer über den Lebensretter Airbag wissen sollten – Entwicklung schreitet voran
FREIBURG/FRIEDRICHSHAFEN (dpa) - Pflicht sind sie nicht, dennoch rollt heute fast kein Auto mehr ohne Airbag vom Band. Die Luftsäcke sind ein wichtiger Teil der Sicherheitstechnik und werden an immer mehr Stellen im Auto verbaut. Wie funktionieren die Luftsäcke eigentlich? Und welche neuen Entwicklungen gibt es? Ein Überblick:
Normalerweise ist er unsichtbar. Doch bei einem Autounfall trägt ein Airbag erheblich dazu bei, Verletzungen zu vermeiden. Binnen 20 bis 50 Millisekunden entfaltet sich der Luftsack und verhindert, dass der Insasse mit seinem Körper direkt auf das Cockpit prallt. Möglich wird dies im Grunde durch den Start einer Art Minirakete, denn hinter dem Auslösen steckt Pyrotechnik.
Aufwendige Belastungstests
„Ein elektrischer Impuls sorgt dafür, dass ein Festtreibstoff entzündet wird. Das dadurch freigesetzte Gas strömt dann in den Luftsack“, erläutert Matthias Boljen vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik in Freiburg. Es führt für die Airbaghersteller aufwendige Belastungstests der verbauten Materialien durch.
Der Luftsack besteht in der Regel aus Kunstfasergewebe. Entfaltet sich so ein Sack, muss er erheblichen Belastungen standhalten können – und das auch noch nach Jahren, in denen er zusammengefaltet hinter einer Blende steckte. Grundsätzlich werden die Airbagmaterialien laut Boljen weltweit den hohen Qualitätsansprüchen gerecht. Deshalb müsse kein Autofahrer Bedenken haben, dass sein Airbag einmal nicht so wie gewünscht funktioniert. Auch könne ein Airbag nie platzen, da er über sogenannte Auslassöffnungen verfügt, die dafür sorgen, dass eingeführte Luft wieder austreten kann.
„Airbags sind für die Lebenszeit eines Autos ausgelegt und bedürfen keiner speziellen Wartung“, sagt Mirko Gutemann vom Airbaghersteller ZF Friedrichshafen. Die Fahrzeugelektronik überprüft das Airbagmodul. Liegt hier eine Fehlfunktion vor, werde das im Cockpit über eine Kontrollleuchte angezeigt. Wer bei einem Gebrauchtwagen die Airbags überprüfen will, kann in einer Fachwerkstatt einen Funktionstest machen lassen. „Dort kann getestet werden, ob die Signale für die korrekte Auslösung des Airbags sauber übertragen werden“, erklärt Gutemann.
Ausgelöst wird ein Airbag über Sensoren. „Hierfür sind ganz erhebliche Negativbeschleunigungen notwendig, die jenseits denen einer Vollbremsung liegen“, erläutert Boljen. Auch müssten mehrere Sensoren gleichzeitig dieselben Beschleunigungswerte messen. Bei leichteren Rangierunfällen etwa löst ein Frontairbag nicht aus.
Wiederverwertung unmöglich
Ist der Luftsack einmal aufgegangen, kann und darf er nicht wiederverwendet werden. „In so einem Fall muss das komplette Airbagmodul mit Luftsack, Gasgenerator und Steuergerät ersetzt werden“, sagt Gutemann. Da Airbags aber eben nur bei wirklich schweren Unfällen auslösen, seien immer auch erhebliche äußere Beschädigungen am Fahrzeug zu erwarten. Nicht selten wandert das Auto dann ohnehin in die Schrottpresse.
Der Klassiker ist der Frontairbag, der für den Fahrer im Lenkrad und den Beifahrer in der Armaturenblende integriert ist. Er wird seit gut 30 Jahren serienmäßig verbaut. Hinzugekommen sind diverse andere Systeme. „Für den Seitenaufprall werden beispielsweise im Sitz integrierte Seitenairbags verbaut, zudem gibt es noch seitliche Airbags für den Kopfschutz, die im Dachhimmel integriert sind“, sagt Gutemann. Knieairbags wiederum werden in die untere Armaturentafel eingesetzt und sollen bei einem Crash die Sitzposition des Fahrers günstig beeinflussen und so Verletzungen vorbeugen.
Ein weiterer Trend: sogenannte Centerairbags zwischen Fahrer und Beifahrer. Gearbeitet wird zudem an Airbags für die Fondinsassen und an Konzepten zur vorzeitigen Auslösung der Luftsäcke: Durch ihre Umfeldsensorik sollen Fahrzeuge schon vor einem Crash die Insassenschutzsysteme vorwarnen und zum Beispiel die Seitenairbags früher auslösen, erklärt Gutemann. Speziell bei Kleinwagen mit einer geringeren Knautschzone könne das den Insassenschutz verbessern.
Airbags müssen schrumpfen
Noch weiter in die Zukunft gedacht, stellt sich für den Fraunhofer-Forscher Boljen generell die Frage, wo Airbags überhaupt verbaut werden müssen. „Wenn wir ans autonome Fahren denken, dann sind ganz neue Innenraumkonzepte denkbar, beispielsweise, dass die Fahrzeuginsassen sich wie in einem Zugabteil gegenübersitzen.“Dies könnte dazu führen, dass Fahrer- und Beifahrerairbags in ihrer jetzigen Form nicht mehr benötigt werden. Airbagsysteme müssten dann viel kleiner werden, damit sie in die Sitze und Kopfstützen integriert werden können. Gurtsysteme würden erheblich an Bedeutung gewinnen.
Airbags gibt es seit den 1970erJahren, zunächst vereinzelt in amerikanischen Autos. In deutschen Autos sind sie seit 1980 serienreif – gesetzlich vorgeschrieben sind sie aber nicht. Aus Sicht des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) ist das auch nicht nötig. Er verweist auf die ECE-Regelung 137, die bestimmte Werte für Dummies bei einem Crashtest vorschreibt. „Darüber hinaus werden beim Euro NCAP Test unter anderem Punkte für die Insassensicherheit vergeben“, erklärt Welf Stankowitz vom DVR. Kein Autohersteller könne es sich leisten, hier schlechte Benotungen aufgrund fehlender Airbags zu erhalten. Tatsächlich finde man im Pkw-Bereich nur einige wenige Sportwagen, die ohne Airbag produziert werden.