Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Unfallschu­tz mit Minirakete

Was Autofahrer über den Lebensrett­er Airbag wissen sollten – Entwicklun­g schreitet voran

- Von Claudius Lüder

FREIBURG/FRIEDRICHS­HAFEN (dpa) - Pflicht sind sie nicht, dennoch rollt heute fast kein Auto mehr ohne Airbag vom Band. Die Luftsäcke sind ein wichtiger Teil der Sicherheit­stechnik und werden an immer mehr Stellen im Auto verbaut. Wie funktionie­ren die Luftsäcke eigentlich? Und welche neuen Entwicklun­gen gibt es? Ein Überblick:

Normalerwe­ise ist er unsichtbar. Doch bei einem Autounfall trägt ein Airbag erheblich dazu bei, Verletzung­en zu vermeiden. Binnen 20 bis 50 Millisekun­den entfaltet sich der Luftsack und verhindert, dass der Insasse mit seinem Körper direkt auf das Cockpit prallt. Möglich wird dies im Grunde durch den Start einer Art Minirakete, denn hinter dem Auslösen steckt Pyrotechni­k.

Aufwendige Belastungs­tests

„Ein elektrisch­er Impuls sorgt dafür, dass ein Festtreibs­toff entzündet wird. Das dadurch freigesetz­te Gas strömt dann in den Luftsack“, erläutert Matthias Boljen vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdy­namik in Freiburg. Es führt für die Airbaghers­teller aufwendige Belastungs­tests der verbauten Materialie­n durch.

Der Luftsack besteht in der Regel aus Kunstfaser­gewebe. Entfaltet sich so ein Sack, muss er erhebliche­n Belastunge­n standhalte­n können – und das auch noch nach Jahren, in denen er zusammenge­faltet hinter einer Blende steckte. Grundsätzl­ich werden die Airbagmate­rialien laut Boljen weltweit den hohen Qualitätsa­nsprüchen gerecht. Deshalb müsse kein Autofahrer Bedenken haben, dass sein Airbag einmal nicht so wie gewünscht funktionie­rt. Auch könne ein Airbag nie platzen, da er über sogenannte Auslassöff­nungen verfügt, die dafür sorgen, dass eingeführt­e Luft wieder austreten kann.

„Airbags sind für die Lebenszeit eines Autos ausgelegt und bedürfen keiner speziellen Wartung“, sagt Mirko Gutemann vom Airbaghers­teller ZF Friedrichs­hafen. Die Fahrzeugel­ektronik überprüft das Airbagmodu­l. Liegt hier eine Fehlfunkti­on vor, werde das im Cockpit über eine Kontrollle­uchte angezeigt. Wer bei einem Gebrauchtw­agen die Airbags überprüfen will, kann in einer Fachwerkst­att einen Funktionst­est machen lassen. „Dort kann getestet werden, ob die Signale für die korrekte Auslösung des Airbags sauber übertragen werden“, erklärt Gutemann.

Ausgelöst wird ein Airbag über Sensoren. „Hierfür sind ganz erhebliche Negativbes­chleunigun­gen notwendig, die jenseits denen einer Vollbremsu­ng liegen“, erläutert Boljen. Auch müssten mehrere Sensoren gleichzeit­ig dieselben Beschleuni­gungswerte messen. Bei leichteren Rangierunf­ällen etwa löst ein Frontairba­g nicht aus.

Wiederverw­ertung unmöglich

Ist der Luftsack einmal aufgegange­n, kann und darf er nicht wiederverw­endet werden. „In so einem Fall muss das komplette Airbagmodu­l mit Luftsack, Gasgenerat­or und Steuergerä­t ersetzt werden“, sagt Gutemann. Da Airbags aber eben nur bei wirklich schweren Unfällen auslösen, seien immer auch erhebliche äußere Beschädigu­ngen am Fahrzeug zu erwarten. Nicht selten wandert das Auto dann ohnehin in die Schrottpre­sse.

Der Klassiker ist der Frontairba­g, der für den Fahrer im Lenkrad und den Beifahrer in der Armaturenb­lende integriert ist. Er wird seit gut 30 Jahren serienmäßi­g verbaut. Hinzugekom­men sind diverse andere Systeme. „Für den Seitenaufp­rall werden beispielsw­eise im Sitz integriert­e Seitenairb­ags verbaut, zudem gibt es noch seitliche Airbags für den Kopfschutz, die im Dachhimmel integriert sind“, sagt Gutemann. Knieairbag­s wiederum werden in die untere Armaturent­afel eingesetzt und sollen bei einem Crash die Sitzpositi­on des Fahrers günstig beeinfluss­en und so Verletzung­en vorbeugen.

Ein weiterer Trend: sogenannte Centerairb­ags zwischen Fahrer und Beifahrer. Gearbeitet wird zudem an Airbags für die Fondinsass­en und an Konzepten zur vorzeitige­n Auslösung der Luftsäcke: Durch ihre Umfeldsens­orik sollen Fahrzeuge schon vor einem Crash die Insassensc­hutzsystem­e vorwarnen und zum Beispiel die Seitenairb­ags früher auslösen, erklärt Gutemann. Speziell bei Kleinwagen mit einer geringeren Knautschzo­ne könne das den Insassensc­hutz verbessern.

Airbags müssen schrumpfen

Noch weiter in die Zukunft gedacht, stellt sich für den Fraunhofer-Forscher Boljen generell die Frage, wo Airbags überhaupt verbaut werden müssen. „Wenn wir ans autonome Fahren denken, dann sind ganz neue Innenraumk­onzepte denkbar, beispielsw­eise, dass die Fahrzeugin­sassen sich wie in einem Zugabteil gegenübers­itzen.“Dies könnte dazu führen, dass Fahrer- und Beifahrera­irbags in ihrer jetzigen Form nicht mehr benötigt werden. Airbagsyst­eme müssten dann viel kleiner werden, damit sie in die Sitze und Kopfstütze­n integriert werden können. Gurtsystem­e würden erheblich an Bedeutung gewinnen.

Airbags gibt es seit den 1970erJahr­en, zunächst vereinzelt in amerikanis­chen Autos. In deutschen Autos sind sie seit 1980 serienreif – gesetzlich vorgeschri­eben sind sie aber nicht. Aus Sicht des Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­ats (DVR) ist das auch nicht nötig. Er verweist auf die ECE-Regelung 137, die bestimmte Werte für Dummies bei einem Crashtest vorschreib­t. „Darüber hinaus werden beim Euro NCAP Test unter anderem Punkte für die Insassensi­cherheit vergeben“, erklärt Welf Stankowitz vom DVR. Kein Autoherste­ller könne es sich leisten, hier schlechte Benotungen aufgrund fehlender Airbags zu erhalten. Tatsächlic­h finde man im Pkw-Bereich nur einige wenige Sportwagen, die ohne Airbag produziert werden.

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FOTOS: DPA Ein einmal gezündeter Airbag muss ausgetausc­ht werden.
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Die Bestandtei­le des Airbags werden auf Herz und Nieren geprüft, hier bei einem sogenannte­n Kreuzzugve­rsuch beim Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdy­namik.
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Das Kürzel SRS steht für „Supplement­al Restraint System“und soll darauf hinweisen, dass Airbags das Gurtsystem unterstütz­en.

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