Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Studie als Anfang umfassender Aufarbeitung
Einen „Wendepunkt im Leben der katholischen Kirche in Deutschland“sieht der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, in der jetzt vorgelegten Studie.
In einer persönlichen Erklärung entschuldigte er sich am Dienstag „für alles Versagen“. „Allzu lange haben wir in der Kirche weggeschaut, vertuscht, geleugnet, wollten es nicht wahrhaben“, sagte der Münchener Erzbischof. Die Ergebnisse der Studie sollen der Anfang umfassender Aufarbeitung und womöglich Entschädigung sein.
Die Zahlen aus der Studie, die von einem Forscherkonsortium aus Mannheim, Heidelberg und Gießen angefertigt wurde, zeigen schonungslos das Ausmaß und Ursachen von sexuellem Missbrauch in der Kirche. In 38 000 durchgesehenen Akten fanden die Wissenschaftler Hinweise auf 3677 Missbrauchsopfer und 1670 beschuldigte Kleriker; 4,4 Prozent aller Diözesanpriester, Diakone und Ordenspriester: „Das Dunkelfeld ist aber vermutlich viel größer“, sagte Projektkoordinator Harald Dreßing.
Die Forscher bescheinigen der katholischen Kirche „klerikale Machtstrukturen“, die bis heute sexuellen Missbrauch begünstigten. Als Motiv für die Täter vermuten sie ein „komplexes Zusammenspiel“von sexueller Unreife und verleugneten homosexuellen Neigungen in einer teils offen homophoben Umgebung. Die Opfer waren zum überwiegenden Teil Jungen. All das unterscheidet Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche von Missbrauch in anderen Bereichen. Marx kündigte Konsequenzen an, in erster Linie ein Zugehen auf die Opfer. Zu lange habe man um der Institution willen und zum Schutz von Bischöfen und Priestern weggeschaut, sagte er. (epd/mö)