Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Eine Geburt ist für mich das Tollste“
Unterwegs mit einer Hebamme in Kißlegg – Beruf hat Nachwuchssorgen wegen Auflagen
KISSLEGG - Der kleine Oskar gähnt und macht kurz die Augen auf. Er blinzelt in die ihm noch so unbekannte Welt, dreht sich ein wenig im Tuch, auf das er zum Wiegen gelegt wurde – und schläft wieder ein. Zwei Wochen ist der kleine Sohn von Familie Stockklauser zu diesem Zeitpunkt alt. Sie erhält regelmäßig Besuch von Hebamme Gabi Neher, die Oskar sozusagen schon vor seiner Geburt kennengelernt hat: in den Vorbereitungskursen, die seine Mama besucht hat. Nun kümmert sich die Hebamme darum, dass Mutter und Sohn in den ersten Wochen nach der Geburt wohlauf sind.
Hausbesuche gehören genauso zum Alltag der selbstständigen Hebamme wie Vorbereitungs- und Rückbildungskurse, Termine mit Schwangeren in ihrer eigenen Praxis in Kißlegg oder Babyschwimmen und Büroarbeit. Der einzige Wermutstropfen seien die vielen rechtliche Auflagen für den Beruf, erzählt Gabi Neher.
Das Tollste ist für sie dagegen aber ganz klar die Geburtshilfe, sagt Neher. Doch seit ein paar Jahren ist sie nicht mehr im Kreißsaal tätig. Der Grund: Durch die hohen Versicherungssummen lohnt es sich für die seit 1999 selbstständig arbeitende Hebamme nicht mehr, Geburtshilfe anzubieten. „Das ist bei mir im Moment einfach nicht möglich. Ich mache viele Kurse und viele Hausbesuche. Ich habe einfach keine Zeit, um genügend Geburten zu begleiten, damit ich die hohe Versicherungssumme aufbringen kann.“
Die Berufshaftpflicht kostet laut deutschem Hebammenverband im Jahr mehr als 8000 Euro, egal, wie viele Geburten eine selbstständige Hebamme begleitet. Etwa bei 30 Geburten müsste Neher im Jahr dabei sein, um die Versicherung wieder „reinzubekommen“, rechnet sie aus. Zwischen den Kursen und den Hausbesuchen, Babyschwimmen und Büroarbeit aber auch noch für eine Geburt rund um die Uhr abrufbar zu sein, sei bei ihr derzeit zeitlich leider nicht möglich, sagt Gabi Neher.
Wie viel eine Hebamme pro Geburt verdient, ist sehr unterschiedlich, je nachdem ob das Kind zum Beispiel in einer Klinik, in einer Einrichtung unter ärztlicher Leitung oder auch zu Hause auf die Welt. Auch wird laut Hebammenverband unterschieden, ob die zuständige Hebamme eine Dienst-Beleghebammen, die in der Klinik im Schichtdienst arbeitet, oder eine Begleit-Beleghebamme ist, die mit der Schwangeren einen Betreuungsvertrag schließt und diese während der gesamten Geburt in der Klinik begleitet. Eine Begleithebamme erhält so beispielsweise 195,60 Euro für eine Geburt im Krankenhaus für einen Zeitraum von einer Stunde vor und drei Stunden nach der Geburt. Für eine Hausgeburt zum Beispiel erhält eine Hebamme rund 640 bis 790 Euro.
Zuschlag sichert Existenz
Um die Existenz von Hebammen zu sichern, die nur wenige Geburten und vor allem Hausgeburten begleiten, gibt es seit 2015 den sogenannten Sicherstellungszuschlag. Diesen können Hebammen beantragen, wenn sie ein paar Anforderungen erfüllen, erklärt Jutta Eichenauer, Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. Mindestens eine Geburt im Quartal muss eine Hebamme begleiten, dann kann sie einen Antrag auf Sicherstellungszuschlag stellen, bei dem etwa zwei Drittel der Haftungsprämie zurückerstattet werden. Dies gilt allerdings nur für Geburten von gesetzlich versicherten Frauen, erklärt Eichenauer. „Der Zuschlag klappt ganz gut. Wie ich bisher von Kolleginnen mitbekommen habe, sind sie zufrieden.“Der bürokratische Aufwand sei aber beim ersten und zweiten Antrag sehr hoch und die Hebammen müssten zunächst in Vorleistung gehen. „Ein Haftungsfonds wäre vielleicht besser, zum Beispiel durch Steuermittel finanziert oder durch einen Beitrag, den jeder bei der Geburt hinterlegen muss“, sagt Jutta Eichenauer. „Denn geboren werden müssen wir ja alle.“
Wie wichtig die Arbeit einer Hebamme auch nach der Geburt ist, zeigt sich bei den Hausbesuchen. Von etwa der zwölften Woche einer Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit ist eine Hebamme Ansprechpartnerin für Familien. „Mein Motto ist ,glückliche Mama – glückliches Baby’“, sagt die Kißleggerin Gabi Neher. Vier Wochen ist der kleine Luca, den sie als nächstes besucht, zu diesen Zeitpunkt alt und hat den Eltern schon Sorgen bereitet. Er nahm zu Beginn nicht so zu, wie erhofft. Neher konnte die Familie unterstützen, Mut machen, Tipps gegeben, beruhigen. Und eben mehrfach die Woche zu Hause in der gewohnten Umgebung vorbeikommen. Weniger Stress für die Mutter und somit auch weniger Stress für das Kind. Dass sie eine Nachsorge erhält, war für Mama Barbara aber erst gar nicht sicher: „Ich habe im März viele Hebammen angerufen und einige haben mir gesagt, dass sie erst im Oktober wieder Kapazitäten frei haben.“Luca kam aber schon Ende August auf die Welt. Gabi Neher konnte helfen, gerade noch: „Bis März 2019 bin ich nun ausgebucht.“Der Grund: In diesem Jahr kämen in Kißlegg so viele Kinder auf die Welt, wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Bei ihren Kolleginnen im Umkreis sieht es ähnlich aus, bestätigt Bettina Langner aus Fronreute, Ansprechpartnerin für den Hebammenverband im Kreis Ravensburg. „Die Hebammen sind alle stark ausgelastet. Außerdem gehen zur Zeit viele in Rente, wie etwa gerade in Baindt. Und gleichzeitig kommen aber kaum neue Hebammen und Geburtshelfer dazu.“Vor allem die geringen Verdienstmöglichkeiten und gleichzeitig gestiegene Anforderungen seien dafür Gründe, sagt Langner. Jeder Handgriff müsse dokumentiert werden. „Mit Geburten verdient man noch relativ gut, dafür ist das richtig anstrengend und stressig,“so Langner, die seit 1986 als Hebamme arbeitet. Die Vorgabe sei aktuell, dass eine Hebamme bis zu zwei Frauen im Kreißsaal gleichzeitig betreuen darf: „Aber was ist, wenn die dritte oder vierte dazu kommt? Wegschicken geht nicht.“
Eine eins-zu-eins-Betreuung senke aber nachweislich die Kaiserschnittquote, erzählt Langner. Diese sei in Deutschland mit rund einem Drittel aller Geburten im internationalen Durchschnitt recht hoch.
Zukunft des Berufs unsicher
Fast alle Hebammen in der Region arbeiten freiberuflich, erzählt Bettina Langner weiter: „Im Kreis Ravensburg sind es derzeit 74 im Deutschen Hebammenverband registrierte Kolleginnen, manche davon arbeiten momentan aber in Teilzeit oder sind selbst in Elternzeit.“Ihr sei momentan nur die Klinik in Bad Saulgau, im Nachbarkreis Sigmaringen, bekannt, die Hebammen noch fest anstellt. Wie es mit ihrem Berufsstand weitergehen könnte, das weiß Langner momentan nicht. Gezielt Werbung gemacht für die Geburtshilfe werde derzeit jedenfalls nicht. „Ich fürchte, dass künftig andere Berufsgruppen in die Geburtshilfe reingenommen werden. Eine Kinderkrankenschwester oder ein Arzt haben aber eine andere Perspektive auf Geburt und Kleinkinder als wir Hebammen“, sagt Bettina Langner. Eine Hebamme lerne, mit normalen Geburtsvorgängen, gesunden Müttern und Babys umzugehen. Ärzte und Krankenschwester kämen bisher eben nur bei Komplikationen zum Einsatz. „Hebammen begleiten den gesunden und natürlichen Geburtsvorgang. Wenn diese Sicht der Dinge fehlt, wird es meiner Meinung nach schwierig.“.
Auch Jutta Eichenauer vom landesweiten Hebammenverband sieht, dass das Interesse zurückgegangen ist: „Wir wissen zurzeit einfach nicht, wohin es mit unserem Beruf geht.“Hebammen werde es aber immer geben, ist sie sicher. „Jetzt werden so langsam die Eltern wach, unsere wichtigsten Ansprechpartner und die richtigen Absender, wenn es um Zeichen für die Politik geht.“Zum Beispiel sei ein „runder Tisch Geburt“eingerichtet worden, um alle aktuellen Probleme zu besprechen, sagt Eichenauer. Was aber vor allem fehlen würde ohne Hebammen: die Nachsorge zu Hause, die auch einen großen Teil der Arbeit von Hebamme Gabi Neher ausmacht.
Nachdem diese am Morgen mehrere Mütter mit ihren wenigen Wochen alten Kindern besucht und beraten hat, kehrt die Hebamme in ihre Praxis in Kißlegg zurück. Hier bietet Gabi Neher unter anderem Akupunktur für Schwangere an. Am Abend folgt dann ein Geburts-Vorbereitungskurs. Etwa 50 Stunden die Woche kommen so für die freiberufliche Hebamme zusammen. Auch am Wochenende fährt sie los, wenn eine Familie mit dem neugeborenen Kind nach Hause kommt. Kinder halten sich eben nicht an Werktage. Sonntagabends ist Gabi Neher dann im Büro, Abrechnungen schreiben und Kurse planen. „Aber das kennt vermutlich jeder Selbstständige“, sagt die Hebamme. Doch auch wenn viel Bürokratie anfällt und sie aufgrund hoher Versicherungssummen nicht mehr im Kreißsaal tätig ist, ist sich Gabi Neher sicher, den für sie richtigen Beruf zu haben: „Es gibt nichts Schöneres, als wenn ein neuer Mensch auf die Welt kommt und man diesen beim Start ins Leben begleiten darf. Mein Job ist mit so vielen glücklichen Momenten verbunden.“Und in diesem Jahr mit besonders vielen.