Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Demo: Verletzte Syrer als stille Beobachter
Die beiden Opfer leiden seit dem Messerangriff unter den Schmerzen und der Angst
RAVENSBURG - Zwei junge Männer haben die Demonstration am Montagabend besonders aufmerksam verfolgt: Die Opfer der Messerattacke waren am Ravensburger Marienplatz stille Beobachter, hielten sich aber abseits. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit ihnen über ihre Angst gesprochen, die sie seit dem Vorfall nicht loslässt.
Jihad Al-Issa, ein 21-jähriger Syrer, ist einer von ihnen. Er gab der „Schwäbischen Zeitung“bereits wenige Tage nach der Messerattacke ein Interview. Damals erzählte er, wie er mit seinen Freunden nichts ahnend an der Bushaltestelle auf dem Marienplatz saß, als der Angreifer, ein afghanischer Asylbewerber, auf ihn zustürmte und mit dem Messer zuerst in seinen Arm, dann in beide Oberschenkel sticht. Schwer verletzt wird Al-Issa ins Krankenhaus eingeliefert. Zuvor filmt ein Unbekannter, wie er blutend auf dem Boden liegt. Das Video jagt durch die sozialen Netzwerke, wo es auch seine Eltern erreicht.
Vergangenen Montagabend nun, zweieinhalb Wochen nach der Attacke, ist der linke Arm des hoch aufgeschossenen jungen Mannes immer noch komplett bandagiert. Nach außen nicht sichtbar sind die Wunden seines Freundes, der die Demo wenige Meter entfernt beobachtet und an seiner Zigarette zieht. Der 19-jährige Syrer möchte seinen Namen nicht öffentlich nennen – zu groß sei seine Angst, dass seine Eltern, die seinen Angaben nach in Frankfurt wohnen, mitbekommen, dass er es war, der verletzt wurde. Er möchte ihnen keine Sorgen bereiten.
Er berichtet allerdings, dass er immer noch Schmerzen habe. 15 Zentimeter tief habe der Angreifer das Messer in seine Schulter gerammt. Ein traumatisches Erlebnis, das ihn bis heute nicht schlafen lasse. „Ich muss jetzt in Therapie. Eigentlich wollte ich es nicht, aber es geht nicht ohne“, sagt er. Auf dem Marienplatz fühle er sich nach wie vor unwohl. „Wenn ich hier bin, kommen sofort die Bilder wieder“, sagt der junge Mann und schluckt seine Tränen hinunter.
Beide versuchen, ihre Verzweiflung in Worte zu fassen, die Freunde helfen ihnen dabei: Um der Gewalt zu entgehen, seien sie aus ihrer Heimat geflohen, in Ravensburg hätten sie ein neues Zuhause gefunden. Nun aber fühlen sie sich auch hier nicht mehr sicher. „Ich habe Angst, dass sich die Gewalt ständig wiederholt“, sagt der 19-Jährige. Die Männer um ihn herum nicken. Sie alle sprechen arabisch miteinander. „Wir wollen doch nur in Frieden leben“, sagen sie.
Dann blicken sie hin zur Demo, und Mahmoud El Zeani tritt aus der Gruppe – ein Familienvater aus dem Libanon, der seit 15 Jahren in Ravensburg lebt. „Ich freue mich, dass so viele Leute gekommen sind, denn Flüchtlinge brauchen Hilfe. Wir sind alle Menschen, wir sind alle aus Fleisch und Blut.“