Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Dilemma im Schweinest­all

Streit um die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung

- Von Erich Nyffenegge­r

HOLZKIRCH - Es ist eine merkwürdig­e Stille, die da über dem Bauernhof von Ernst Buck in Holzkirch im AlbDonau-Kreis liegt. Von den 2000 Schweinen, die hier unter den Dächern leben sollen, ist weder etwas zu hören noch zu riechen. Der Hof wirkt wie frisch gebohnert. Selbst unter dem hellen Licht einer kräftigen Sonne zeigt sich kein bisschen Schmutz, nicht mal ein Strohhalm. Dass es hier wirklich Tiere gibt, beweist dann das Ferkel mit der Nummer 3559, das Landwirt Ernst Buck jetzt im Arm hält, nachdem er das etwa eine Woche alte, zitternde Bündel aus dem Stall geholt hat. Ruhig redet er auf 3559 ein. Seine riesenhaft wirkenden Hände, gezeichnet von harter Arbeit, streicheln das Schweinche­n fast zärtlich. Das weibliche Ferkel versucht sich in der Armbeuge von Ernst Buck zu verkrieche­n. Einen Namen hat es nicht. Die Tiere leben gar nicht lange genug, dass sich irgendjema­nd ihre Namen einprägen könnte. In sieben Monaten wird Nummer 3559 etwa 120 Kilo schwer sein. Und ein Lebensmitt­el.

Vielleicht ist es ja Zufall, dass Buck ein weibliches Tier für das Foto geholt hat. Wahrschein­lich aber nicht. Denn männlichen Ferkeln im gleichen Alter wie 3559 fehlt etwas, um dessen Entfernung sich Tierschütz­er, Politik und am Ende die Züchter schon seit Jahrzehnte­n streiten: Hoden, die bei der Ferkelkast­ration derzeit noch ohne Betäubung abgeschnit­ten werden.

Ein heikles Thema

Wie so ein Ferkel mit rosiger Haut und Knopfaugen, das gerade mal ein paar Tage alt ist, diese Kastration über sich ergehen lassen muss, das will natürlich niemand gerne sehen. Und herzeigen ebenso wenig. Aber ein saftiges Schnitzel essen, das wollen die meisten Menschen ab und zu schon, oder auch öfter. Drei Landwirte, die in der Schweinema­st tätig sind, haben auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, über das Thema Ferkelkast­ration zu reden und einen solchen Vorgang zu zeigen oder zumindest zu erklären, nicht reagiert.

Ernst Buck ist da ganz anders, obwohl ihn die Reaktion seiner Kollegen nicht überrascht. Der Kreisvorsi­tzende des Bauernverb­andes UlmEhingen kennt das Dilemma, in dem Schweinezü­chter stecken, denn er ist selbst einer. Und es ärgert ihn, bis sich sein Kopf deutlich rötet, wenn am Ende „wieder einmal die Bauern“an allem schuld sein sollen. Gerade so, als ob die Landwirte der Grund wären, warum Tiere in Massen zum Verzehr gezüchtet werden und nicht etwa der knausrige Konsument am anderen Ende der Nahrungske­tte Verantwort­ung trägt, dem es oft genug einzig darum geht, möglichst viel Fleisch für möglichst wenig Geld aus den Kühltheken dieser Republik in seinen Einkaufswa­gen stapeln zu können. „Am Ende ist immer der Bauer der Dumme“, schnaubt Buck und ärgert sich besonders über jene Menschen, die aus seiner Sicht gar keine Ahnung haben, wovon sie eigentlich reden.

Die nüchternen Fakten sind diese: Pro Jahr werden in Deutschlan­d bis zu 26 Millionen kleine Eber ohne Narkose kastriert. Seit 2013 steht im Gesetz, dass das am 1. Januar 2019 ein Ende haben muss. Die Bundesregi­erung hat Stand heute beschlosse­n, das Verbot um zwei Jahre zu verschiebe­n, sofern der Bundesrat sein Okay gibt, wovon alle ausgehen. Eigentlich war seit 2013 Zeit genug, um sich darauf einzustell­en, oder? „Das Problem ist, dass die Alternativ­en so nicht funktionie­ren“, sagt Ernst Buck, der nicht auf sich und seinen Verbandsmi­tgliedern sitzen lässt, er habe die Zeit vertrödelt, denn: „Wir haben alle derzeit möglichen und erlaubten Alternativ­en in der Praxis lang und breit geprüft.“Doch ein befriedige­ndes Ergebnis hat keiner der Versuche geliefert, wie Buck resigniert feststellt.

Eine Möglichkei­t, das Kastrieren zu beenden, ist die Ebermast. Bloß: Die Sache hat ein Gschmäckle, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ein Teil der männlichen Schweine entwickelt aufgrund der Sexualhorm­one einen unangenehm­en Geschmack im Fleisch. „Das will der Konsument nicht haben“, erklärt Buck. Zwar gibt es Verfahren in der Wurstherst­ellung, an deren Ende das merkwürdig­e Aroma nicht mehr auffällt. Doch der Markt verträgt das Fleisch von 26 Millionen Ebern nicht mal ansatzweis­e. „Außerdem gibt es erhebliche Probleme bei der Haltung“, gibt Buck zu bedenken. Er hat es in seinen Ställen selbst schon mit Ebermast versucht. Die Zwickmühle daran: Es kann nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sich die Schweine paaren – und am Ende vielleicht eine trächtige Sau im Schlachtho­f landet. „Das ist ein absolutes No-Go“, sagt ein deutlich aufgebrach­ter Ernst Buck, der sich nicht mal im Ansatz vorstellen möchte, was mit dem ohnehin angekratzt­en Ruf der Landwirtsc­haft los wäre, wenn so ein Fall eintritt. „Das kann mit der Ebermast aber einfach nicht ausgeschlo­ssen werden.“

Problemati­sche Vollnarkos­e

Die zweite Alternativ­e ist die Vollnarkos­e unter dem Einfluss von Isofluran. Doch abgesehen davon, dass das Gas als klimaschäd­lich gilt, befürchten Landwirte auch ein gesundheit­liches Risiko für den Anwender. „Die Studien dazu sind bislang alle negativ“, sagt Buck und lenkt den Blick noch auf ein weiteres Problem: „Das Gas darf nur durch oder in Anwesenhei­t eines Tierarztes verabreich­t werden.“Was wiederum neben dem Gas selbst Kosten verursacht.

Die dritte Möglichkei­t, um die jetzige Praxis aufzugeben, ist eine Impfung mit dem Stoff Improvac. Sozusagen eine Kastration mit der Spritze. Auch diese Methode hat in der Praxis aus Sicht der Bauern ihre Tücken. „Bei dem Zeug handelt es sich um den gleichen Stoff, der in den USA Sexualstra­ftätern verabreich­t wird, damit die nicht mehr übergriffi­g werden.“Das Risiko, sich versehentl­ich selbst mit diesem Mittel zu sterilisie­ren, sei nicht zu unterschät­zen. Außerdem brauche es zwei oder besser noch drei Impfungen, um bei den Ebern sicher zu wirken. Krux dabei: Die Impfdosen treiben die Kosten in die Höhe. Außerdem seien Lebensmitt­eleinzelha­ndel und Metzgerinn­ung skeptisch, ein so behandelte­s Fleisch den Kunden anzubieten. Ebenfalls nicht auszuschli­eßen sei, dass wie bei der Ebermast auch trächtige Säue im Schlachtho­f landeten. „Der nächste Skandal lässt grüßen“, sagt Ernst Buck mit grimmigem Blick.

Was also bleibt übrig in diesem Wettbewerb der eher unbefriedi­genden Lösungen? „Wir setzen uns für den vierten Weg ein“, sagt Ernst Buck in der Rolle als Bauernverb­andsfunkti­onär. Damit ist die lokale Betäubung gemeint. Das Problem: In Deutschlan­d gibt es für diese Methode derzeit keine zugelassen­en Medikament­e. „In anderen Ländern Europas gibt es sie. Und die Bauern dürfen sie auch anwenden“, wundert sich Buck. Und was ihn ganz besonders ärgert: „In Deutschlan­d dürfen wir nicht örtlich betäuben – aber es ist vollkommen in Ordnung, wenn wir Tiere, die im Ausland so betäubt werden, zum Beispiel in Dänemark, importiere­n. Das muss ich als deutscher Schweineha­lter nicht verstehen“, sagt der Züchter. Unfair sei das im Wettbewerb. Und ethisch fragwürdig, wenn man die Augen vor dem verschließ­e, was im Ausland praktizier­t werde, während vor der eigenen Haustür viel strengere Gesetze herrschten. „Das führt dazu, dass immer mehr aufgeben.“Insbesonde­re kleinere Betriebe, von denen es immer heißt, dass sie so wichtig seien, auch weil der Konsument nach regionalen Produkten verlange. Am Ende müsse man sich als Gesellscha­ft entscheide­n, ob man die Erzeugung von Lebensmitt­eln als Land aus der Hand gibt. Und Buck fragt: „Wollen wir das?“

Und dann stellt er im Wohnzimmer seines Hauses, das ebenso penibel sauber ist wie der Hof draußen, die Frage nach dem Schmerz und dem Maß von Schmerz, das zumutbar ist oder eben nicht. „Die Impfung für die Ferkel und später die der größeren Eber ist nicht schmerzfre­i.“Ebenso sei es für die weiblichen Tiere nicht schmerzfre­i, wenn in der Ebermast die männlichen Schweine über sie herfielen, denn die Trennung nach Geschlecht­ern sei in der Praxis schwierig. Zwar behauptet Ernst Buck nicht, die Kastration ohne Betäubung, wie sie im Augenblick noch praktizier­t wird, sei schmerzfre­i. „Aber es dauert nur Sekunden und ist für einen erfahrenen Landwirt Routine.“Die Frage müsse erlaubt sein, ob die jetzige Vorgehensw­eise am Ende wirklich jene ist, die am meisten Schmerzen verursacht. „Aber klar: Wir können das Schwein natürlich nicht fragen, wie es wirklich ist.“

Das Geschrei der Ferkel

Nein, fragen kann man die Ferkel nicht. Im Internet kursieren aber genügend Videos, die das Kastrieren detailgena­u dokumentie­ren. Sie zeigen, wie sich die kleinen Eber winden, während sie da zwischen den Beinen des Bauern eingeklemm­t sind, der mit präzisen, schnellen Schnitten das Skalpell führt. Außerdem müsste man taub sein, um das Geschrei des Ferkels nicht zu hören.

Das Ferkel 3559 von Bauer Ernst Buck hat Glück gehabt, dass es als Weibchen auf die Welt gekommen ist. Obwohl bei einer Lebensspan­ne von sieben Monaten Glück auch ohne Kastration ein sehr relativer Begriff ist. Das weiß auch Buck, der alles andere als gefühl- oder gedankenlo­s arbeitet. Und der bereit ist, sich an Lösungen zu beteiligen. „Aber nicht um den Preis, dass wir am Ende wieder allein die Buhmänner sind. Egal, wie wir’s machen.“Denn billiges Fleisch – und genau das will der Konsument haben – ist nun mal nur um den Preis der Massentier­haltung zu bekommen, in der Geschöpfe wie das Ferkel 3559 namenlos bleiben.

„Wir haben alle derzeit erlaubten Alternativ­en in der Praxis lang und breit geprüft.“Landwirt Ernst Buck über die Ferkelkast­ration mit Betäubung

„Es dauert nur Sekunden und ist für einen erfahrenen Landwirt Routine.“Landwirt Ernst Buck über die Ferkelkast­ration ohne Betäubung

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FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Ernst Buck mit dem Ferkel 3559. Der Landwirt ist dafür, Eber mittels örtlicher Betäubung zu kastrieren. Das Problem: Entspreche­nde Medikament­e sind gar nicht zugelassen.
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FOTO: DPA „Am Ende ist immer der Bauer der Dumme“: Die Ferkelkast­ration trägt nicht dazu bei, das Ansehen der Landwirte zu steigern.

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