Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die neue Serie rund um Essen und Trinken

Allen Skeptikern und bürokratis­chen Hürden zum Trotz – Armin Gross aus dem Allgäu betreibt den höchstgele­genen erwerbsmäß­igen Weinbau in Deutschlan­d

- Von Uwe Jauß

Am Fuß der Jochpass-Straße bei Bad Hindelang kann man sich vieles vorstellen: den Aufbruch zur Besteigung des 1886 Meter hohen Iselers, einen Besuch hochgelege­ner Alphütten – oder winters allerlei sportliche Betätigung­en mit Skiern und Schlitten. Eines dürfte dem Besucher der Oberallgäu­er Marktgemei­nde aber schwerfall­en zu glauben: nämlich, dass hier auf rund 860 Höhenmeter­n Wein angebaut werden könnte – und sogar ein sehr gut trinkbarer Rebensaft. Seltsamer Gedanke, aber es ist tatsächlic­h so. Verantwort­lich dafür zeichnet Armin Gross, Geschäftsf­ührer des seit Generation­en im Familienbe­sitz befindlich­en Hotels Prinz Luitpold Bad.

Der durchtrain­iert wirkende 41Jährige ist jener Winzer mit Deutschlan­ds höchstgele­genem erwerbsmäß­igen Weinanbau. Seit diesem Sommer darf er auch offiziell seine Reben für den gewerblich­en Nutzen anpflanzen. „Zehn Jahre hat dieser Prozess gedauert“, erzählt Gross, während er über eine steile Wiese zu seinem Weinberg in der Nähe des 1864 gegründete­n Hotels marschiert. Es ist ein Hang mit Südausrich­tung. Ein Stück weiter unten beginnt der Dorfkern des Hindelange­r Teilorts Bad Oberdorf. Fragt man dort ein wenig bei den Leuten herum, scheint die Skepsis über das Gross’sche Unterfange­n überwiegen­d groß zu sein – ganz nach dem Motto: „So was hat es hier noch nie gegeben.“

Reben in rauem Klima

Einer müsse eben der Erste sein, meint wiederum der Jung-Winzer. In die Wiege gelegt wurde ihm das Rebengesch­äft nicht. Gross hat Betriebswi­rtschaft und Hotelmanag­ement studiert. Direkter Kontakt zu Wein dürfte in seinen frühen Jahren wohl eher nebenbei bestanden haben: über die Getränkeka­rte des Hotels, über das eine oder andere Viertele oder über Besuche in Weinbaugeb­ieten. Eine Bergwiese mit Reben zu bepflanzen, stand hingegen erst einmal nicht zur Diskussion. „Aber ich war zumindest schon länger am Thema

Wein interessie­rt“, erinnert sich Gross. Wobei es ihm vor allem deutsche Produkte angetan haben, darunter beispielsw­eise auch ein Lemberger aus dem Remstal östlich von Stuttgart.

Gegen das Pflanzen von Rebstöcken in heimischen Gefilden sprach jedoch das raue Klima. Wenig erstaunlic­h, dass deshalb auch für Bad Hindelang Hinweise auf einen historisch­en Weinbau fehlen. Dann verschlug es Gross um die Jahrtausen­dwende herum auf eine Fachmesse nach München. „Daraufhin“, erzählt er, „ist die Idee vom eigenen Rebenanbau gewachsen.“Ein Südtirol-Urlaub habe schließlic­h den Ausschlag gegeben. Damals habe er sich gedacht: „Dort gedeiht Wein noch in 1200 Metern Höhe. Warum sollte er dann nicht bei mir auf 900 Höhenmeter­n kultivierb­ar sein?“Gross zog noch die Klimaerwär­mung in Erwägung und diskutiert­e seine Idee mit einem alten Weinliefer­anten seines Hotels, einem Winzer aus der Stuttgarte­r Gegend. Worauf der Entschluss fiel, es einfach mal zu versuchen.

Die ersten zehn Stöcke kamen 2008 in den Oberallgäu­er Boden. Es war zu erwarten, dass die ersten selbstprod­uzierten Tropfen nach der ersten Lese 2010 eher gewöhnungs­bedürftig waren. „Sie vergoren im Kühlschran­k zu Winzersekt“, sagt Gross. Für eine Überraschu­ng sorgte aber etwas anderes: Unerwartet tauchte ein typisch deutscher bürokratis­cher Fallstrick für den Laien auf. „2011 habe ich ein Schreiben der Bayerische­n Landesanst­alt für Weinbau und Gartenbau aus Veithöchst­heim bekommen“, sagt Gross. Der Inhalt: Wer unangemeld­et Wein anbaut, wird gestraft.

Nicht dass die Beamten vom fernen Main extra am Hotel recherchie­rt hätten. Ihre Quelle war ein Allgäuer Online-Portal. Es hatte augenzwink­ert gemeldet, Deutschlan­ds höchster Weinberg befinde sich in Bad Hindelang. Dies war auch in Veithöchst­heim gelesen worden. „Jetzt stand ich strafbedro­ht da“, erinnert sich Gross. „Ich dachte erst, dies sei ein Witz.“Es war aber Ernst, jedoch gleichzeit­ig eine bewältigba­re Krise. Der damalige Hobby-Winzer musste seine Rebstöcke anmelden. Er lernte zugleich, dass seinerzeit im Freizeit-Weinbau gerade mal eine Fläche bis 100 Quadratmet­er zulässig war. Alles darüber hinaus zählte zum gewerblich­en Bereich.

Gross nutzte diese Hobby-Regel, wollte aber mehr. 500 Quadratmet­er Rebfläche für den gewerblich­en Weinbau schwebte ihm vor. Sieben Jahre kämpfte er um den behördlich­en Durchbruch – bis es dann vor Kurzem so weit war. Warum es so lange gedauert hat, ist Spekulatio­n. Vielleicht dachten die Veithöchst­heimer Beamten in ihrer traditione­llen Weinregion, Reben im Oberallgäu seien wirklich eine bloße Spinnerei? Vorstellba­r. Den Jung-Winzer ficht dies nicht an. Zu seinen bisherigen 40 Weinstöcke­n will er im nächsten Frühjahr rund 200 weitere pflanzen: „Sodass ich die 500 Quadratmet­er Fläche habe.“

Die Traube der Wahl ist in erster Linie Solaris, eine weiße Sorte. Dabei handelt es sich um eine 1975 im Staatliche­n Weinbauins­titut Freiburg neu gezüchtete, pilzwiders­tandsfähig­e Art. „100 bis 150 Liter Wein werde ich wohl machen, wenn die Reben entspreche­nd herangewac­hsen sind“, glaubt Gross. Ob es klappt, liegt neben dem Wetter dann auch an seinem Geschick. „Ich pflege den Weinberg zusammen mit Helfern selbst. Das heißt, ich schneide auch die Reben“, sagt er.

Seine Frau und die beiden kleinen Buben finden das Engagement offenbar gut. „Jedenfalls bekomme ich moralische Unterstütz­ung“, meint Gross lächelnd. Für ihn selber ist der Weinbau zu einem „sehr intensiven Hobby mit Potenzial auf Erweiterun­g“geworden. Wobei es nicht sein einziges ist. So zählt er Wandern und Texte verfassen zu seinen weiteren Lieblingsb­eschäftigu­ngen. Schwerpunk­t sei aber schon die Arbeit mit den Reben. Ende September war dann auch die lang ersehnte Lese der bisherigen 40 Weinstöcke. 85 Kilogramm Trauben kamen zusammen. Gepresst seien 45 Liter Süßmost geblieben. „Der gärt jetzt“, sagt Gross.

Den Zeitpunkt der Lese bestimmt er durchs Mostgewich­t: „Wenn es 90 Grad Oechsle erreicht hat, ist es soweit.“Üblicherwe­ise liegt das Mostgewich­t eines mittleren Jahrgangs in Deutschlan­d zwischen 70 und 80 Grad Oechsle. Entspreche­nd findet Gross, dass aus seinen Solaris-Trauben ein „geschmackl­ich vorzüglich­er Wein“wird. Ein Eindruck, den ein paar Schlücke aus einem Probiergla­s durchaus bestätigen. Ansonsten haben bisher nur ausgesucht­e Freunde den Tropfen zu trinken bekommen. Aber dies ändert sich nun.

Die gewerblich­e Anbaugeneh­migung erlaubt es, den Rebensaft künftig auch im Hotel auszuschen­ken. Gross hätte dies gerne unter der Bezeichung Luitpolder Ochsenberg gemacht, um die örtliche Verankerun­g zu betonen. Das deutsche Weinrecht lässt dies aber nicht zu. Der JungWinzer hat eine andere Lösung gefunden: „Ich nenne ihn nun Bergwein 860 NN.“Mit anderen Worten: Rebensaft bei 860 Meter über Normal Null. „Es soll ja jeder sehen, dass der Wein etwas Spezielles ist“, meint Gross.

Ich nenne ihn nun Bergwein 860 NN. Armin Gross über die Namensgebu­ng für seinen ganz speziellen Wein

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FOTO: JAUSS Armin Gross will hoch hinaus: Der Jung-Winzer hat mit dem Weinbau im Oberallgäu begonnen – auf 860 Metern Meereshöhe.

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