Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein Urteil wie eine Ohrfeige

Polen darf Richter nicht zwangspens­ionieren – Unabhängig­keit der Justiz in Gefahr

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LUXEMBURG/WARSCHAU (dpa) – Polen muss die umstritten­e Zwangspens­ionierung von Richtern mit sofortiger Wirkung stoppen. Eine entspreche­nde einstweili­ge Anordnung erließ am Freitag der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg. Die Entscheidu­ng gilt sogar rückwirken­d. Das bedeutet, dass bereits betroffene­n Richtern mindestens bis zum abschließe­nden EuGH-Urteil eine Fortsetzun­g ihrer Arbeit ermöglicht werden muss. Auch Nachbesetz­ungen dürften nicht mehr erfolgen.

Die zuständige EuGH-Vizepräsid­entin Rosario Silva de Lapuerta begründete die Entscheidu­ng damit, dass die neuen polnischen Regelungen theoretisc­h „das Grundrecht auf Zugang zu einem unabhängig­en Gericht in nicht wiedergutz­umachender Weise beschädige­n“könnten. Deswegen müssten sie bis zu dem Urteil in dem Fall ausgesetzt werden.

Regierung verteidigt Justizrefo­rm

Die einstweili­ge Anordnung war Anfang des Monats von der EU-Kommission in Brüssel beantragt worden. Die für die Verfolgung von Verstößen gegen EU-Recht zuständige Behörde ist der Ansicht, dass mit den Zwangspens­ionierunge­n gegen den Grundsatz der richterlic­hen Unabhängig­keit verstoßen wird. Es werde insbesonde­re auch das Prinzip der Unabsetzba­rkeit von Richtern untergrabe­n, heißt es in Brüssel.

Für die polnische Regierung gilt die Anordnung des EuGH als schwere Schlappe. Sie argumentie­rt seit Monaten, dass ihre umstritten­en Justizrefo­rmen nicht gegen EU-Recht verstoßen.

Der polnische Regierungs­chef Mateusz Morawiecki kündigte am Freitag eine genaue Analyse der Gerichtsen­tscheidung an. Die Mehrheit der Polen stehe hinter dem Umbau der Justiz, verteidigt­e er die Gesetze der nationalko­nservative­n Regierungs­partei PiS. „Die Urteile polnischer Gerichte werden oft für ungerecht gehalten“, sagte er.

Auch Polens Justizmini­ster und Generalsta­atsanwalt Zbigniew Ziobro wollte sich erst nach einer Analyse des EuGH-Urteils näher äußern. „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur so viel sagen, dass wir in der Europäisch­en Union sind und Polen vorhat, die Vorschrift­en der EU einzuhalte­n.“Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf begrüßte das Urteil. „Dies ist ein guter Tag für alle, die wie ich an ein auf gemeinsame­n Werten gegründete­s Europa glauben“, ließ Wolf über eine Mitteilung verlauten.

Im konkreten Fall geht es um ein Gesetz zum Obersten Gericht. Mit ihm wird das Pensionsal­ter für Richter von 70 auf 65 Jahre herabgeset­zt. Dies nutzte die politische Führung seit Anfang Juli dazu, mehr als 20 Richter in den Ruhestand zu schicken. Darunter ist auch die Erste Präsidenti­n des Gerichts, Malgorzata Gersdorf. Gersdorf drückte am Freitag ihre Freude über das Urteil aus.

Für den Fall, dass Polen die Anordnung nicht befolgt, dürfte die EUKommissi­on gegen das Land im nächsten Schritt Zwangsgeld­er beantragen. Sie könnten sich auf einen sechsstell­igen Betrag pro Tag belaufen.

Weiteres Verfahren läuft

Unabhängig von dem EuGH-Verfahren läuft gegen Polen derzeit auch noch ein politische­s EU-Strafverfa­hren. Dieses kam zuletzt aber nicht voran, weil es vor allem von ost- und mitteleuro­päischen Staaten kritisch gesehen wird. Das politische Strafverfa­hren könnte nach Artikel 7 des EU-Vertrags im letzten Schritt sogar mit einem Entzug der EU-Stimmrecht­e enden.

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