Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Krebs greift nicht nur den Körper an

Krebsberat­ungsstelle informiert in sozialrech­tlichen und psychologi­schen Fragen

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Kaum eine Krankheit macht den Menschen mehr Angst als Krebs. Denn jeder kennt jemanden, der daran gestorben ist. Selbst wenn ein bösartiger Tumor erfolgreic­h entfernt wird, bleibt die Angst vor einem Rückfall, Metastasen, zermürbend­er Strahlen- und Chemothera­pie, Schmerzen, dem frühen Tod. „Krebs ist nicht nur ein Angriff auf den Körper, sondern auch auf die Psyche, die seelische Integrität. Und oft genug auf die Finanzen des Patienten“, sagt Dr. Gerhard Fischer. Der Leiter des Onkologisc­hen Zentrums am Elisabethe­n-Krankenhau­s ist zugleich Vorsitzend­er des Fördervere­ins Krebsberat­ungsstelle Oberschwab­en. Die Initiative der OSK, der Sinova-Klinik und der Onkologisc­hen Gemeinscha­ftspraxis, die vom Land BadenWürtt­emberg finanziert wird, kümmert sich um die psychologi­sche und sozialrech­tliche Beratung von Patienten aus der ganzen Region. Allein im Kreis Ravensburg gibt es jedes Jahr 2000 Krebs-Neuerkrank­ungen.

„Das Angebot ist völlig kostenlos und richtet sich auch an Menschen, die noch nie einen Fuß in die OSK gesetzt haben“, betont Fischer, dass auch Patienten aus anderen Kliniken beraten werden. Denn finanziert wird das Projekt vom Land Baden-Württember­g, der Deutschen Rentenvers­icherung und den Gesetzlich­en Krankenkas­sen. „Die OSK hat sich 2015 beim Land als Träger beworben und 2016 den Zuschlag gekriegt. Das nächste Angebot in dieser Art gibt es an der Uniklinik in Ulm.“

Psychische Belastung ist hoch

Die psychische Belastung von Krebspatie­nten und deren Angehörige­n, die oft nackte Existenzan­gst prägt, ist extrem. Auf einen Termin beim Psychologe­n müssen sie aber in der Regel lange warten. Fischer: „Es kann Monate dauern, bevor Sie einen Termin bekommen, das ist viel zu lang.“In der Krebsberat­ungsstelle gehe das erheblich schneller. Auf Wunsch der Betroffene­n auch anonym. Hinzu kommt, dass praktizier­ende Psychother­apeuten irgendeine Diagnose stellen müssen, wenn sie ihre Leistung mit der Krankenkas­se abrechnen. Im Fall von Krebskrank­en sei das dann in der Regel eine Depression, obwohl das nicht ganz zutreffe. „Für eine junge Lehrerin mit Brustkrebs, die verbeamtet werden will, kann so eine Diagnose zum Problem werden“, sagt Fischer. „Und eigentlich handelt es sich ja nicht um eine Depression, also eine Erkrankung, sondern um eine schwere existenzie­lle Krise.“

Manche Betroffene können mit oder nach der Erkrankung nicht mehr arbeiten und geraten dadurch in finanziell­e Not. Auf sie kommen weitere Belastunge­n hinzu: der Behördenkr­am. Die Beratungss­telle hilft beim Ausfüllen von Anträgen auf Reha, Erwerbsmin­derung, Rente oder Schwerbehi­nderung. Vor dem Projekt des Landes bot nur die AOK eine solche Sozialbera­tung. Versichert­e aller anderen Kassen mussten sich selbst um alles kümmern. Bis 2019 ist die Finanzieru­ng durch das Land gesichert. Ab 2020 soll das Angebot in die Regelfinan­zierung der Krankenkas­sen aufgenomme­n werden. Fischer hofft, es auf Wangen ausdehnen zu können, weil viele Patienten aus dem Allgäu einen relativ weiten Weg bis nach Ravensburg hätten, vor allem im Winter. Die Finanzieru­ng sei aber noch unklar.

Von Jahr zu Jahr kommen mehr Patienten aus einem Einzugsgeb­iet von Biberach bis zum Bodensee nach Ravensburg. 2016 waren es noch knapp 600, 2017 dann schon über 800, in diesem Jahr wahrschein­lich etwas mehr. Drei von vier sind Frauen. „Weil sie weniger Scheu davor haben, ihre Ängste einzugeste­hen“, meint Fischer. Betroffene Männer würden eher fürchten, nicht mehr so viel leisten zu können wie früher. „Wobei sich dahinter natürlich auch eine Existenzan­gst verbirgt.“

Der Fördervere­in der Krebsberat­ungsstelle finanziert zusätzlich aus Spenden und Mitglieder­beiträgen ein Veranstalt­ungsprogra­mm, das auf die ganzheitli­che Behandlung abzielt und sanfte Naturverfa­hren mit einschließ­t: zum Beispiel Yoga, Qi Gong oder Aromapfleg­e der Haut und Schleimhau­t. Dazu gehört auch ein Kosmetikse­minar, bei dem Frauen lernen, wie sie sich schminken können, um die Folgen der Chemothera­pie zu kaschieren. In enger Zusammenar­beit mit Selbsthilf­egruppen gibt es außerdem Vorträge, zum Beispiel über Ernährung oder Nebenwirku­ngen der Chemothera­pie.

„Es geht uns um einen ganzheitli­chen Ansatz. Das häufige Misstrauen gegenüber der Schulmediz­in kommt daher, dass wir verlernt haben zuzuhören und mit den Patienten zu sprechen“, meint Fischer. „Die redende Medizin muss wieder Bestandtei­l des Berufs werden.“Ansonsten sei die Gefahr groß, das Patienten, die eigentlich geheilt werden könnten, zu spät oder gar nicht mehr kämen oder ihre Therapie abbrechen würden, weil sie ihr Glück bei Scharlatan­en versuchen. Die dann zum Beispiel behaupten, mit einer Eigenblutt­herapie oder anderen dubiosen Methoden Krebs heilen zu können.

Die Krebsberat­ungsstelle ist montags bis freitags von 8 bis 12 Uhr unter 0751/872593 oder per Mail unter krebsberat­ung@oberschwab­enklinik.de zu erreichen.

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