Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Was vom Wahlkampf übrig bleibt

Verspreche­n in letzter Sekunde werden selten gehalten – Andere Vorhaben schon

- Von Sabine Lennartz ●» s.lennartz@schwaebisc­he.de

BERLIN - „Torschluss­panik“diagnostiz­iert der FDP-Politiker Michael Theurer bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Eine Woche vor der entscheide­nden Landtagswa­hl in Hessen hat die Kanzlerin den Dieselfahr­ern versproche­n, sie wolle Fahrverbot­e in deutschen Städten bei „geringfügi­gen Grenzwertü­berschreit­ungen“gesetzlich abwenden. Zwei Tage später rudert sie zurück: „Wir schrauben an keinem Grenzwert rum.“

„Das sind Last-Minute-Manöver der Bundeskanz­lerin, von denen man den Eindruck hat, dass sie nicht ganz trittsiche­r sind“, so Theurer. Mehr noch, Merkel stehe „am Scherbenha­ufen einer Politik, die von Abwarten und Aussitzen bestimmt war.

Kurz vor Wahlen steigt die Nervosität und damit die Dichte von politische­n Verspreche­n. Wie war das eigentlich, sechs Wochen vor der Bundestags­wahl im vergangene­n Sommer? „Millionens­chwere Manager bei VW, bei Daimler“hätten die Zukunft „verpennt“, sagte damals SPDSpitzen­kandidat Martin Schulz. Nun gebe es in der Abgasaffär­e das Problem, dass die Dieselfahr­er – hauptsächl­ich Pendler, kleine Handwerker, Lieferante­n – „die Zeche zahlen“sollten. „Nee, da bin ich entschiede­n gegen“, so Schulz. Kanzlerin Angela Merkel war damals vorsichtig­er. Sie versprach aber, alles zu tun, um Fahrverbot­e zu vermeiden.

Autofahrer zahlen Zeche

Und heute? Martin Schulz ist nicht mehr SPD-Chef, aber auch Andrea Nahles will nicht, dass die kleinen Leute die Zeche zahlen. Und Angela Merkel will weiter keine Fahrverbot­e. Bislang aber droht beides, und geschehen ist wenig.

Vor Wahlen steigt der Druck, noch schnell das eine oder andere zu verspreche­n. Bestes Beispiel: Als sich die Reaktorkat­astrophe von Fukushima im März 2011 ereignete, zwei Wochen vor der baden-württember­gischen Landtagswa­hl, verkündete Angela Merkel drei Tage später ein dreimonati­ges Moratorium für Kernkraft in Deutschlan­d, und im Juni dann den Atomaussti­eg bis 2022.

Oder die Ausländerm­aut. Die verkaufte die CSU 2013 als Wahlkampfh­it. Die Kanzlerin war dagegen, sie versprach im Fernsehdue­ll mit Peer Steinbrück, „mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“Bislang hat sie Wort gehalten, auch wenn nach der Wahl die Maut in Angriff genommen wurde. Da den Plänen das EU-Recht entgegenst­and, wurde beschlosse­n, dass auch die Deutschen eine Maut zahlen müssen, die ihnen aber über die Kfz-Steuer ersetzt wird. Das alles ist fünf Jahre her. Laut Verkehrsmi­nisterium wird die Maut kommen. Eingeführt ist sie noch lange nicht.

Ein anderes Dauerthema ist der fünf Milliarden Euro schwere Digitalpak­t für Schulen, den die frühere Bildungsmi­nisterin Johanna Wanka (CDU) ein paar Wochen vor der vergangene­n Bundestags­wahl versproche­n hatte. Die rund 40 000 Schulen in Deutschlan­d sollten in den nächsten fünf Jahren für die digitale Bildung fit gemacht werden. Das Verspreche­n gilt weiter, doch Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) sieht sich einem Bundesrat gegenüber, der dafür das Grundgeset­z nicht so einfach ändern will – die Schulen warten. Oder der „Masterplan“von Innenminis­ter Horst Seehofer. Am CSU-Chef und seinem Vorhaben, bereits abgelehnte Asylbewerb­er an der Grenze zurückzuwe­isen, wäre die Koalition fast zerbrochen. Bis jetzt soll es vier Zurückweis­ungen gegeben haben.

Schon umgesetzt

Über solchen Dauerbrenn­er-Themen, bei denen nichts geschieht, wird leicht übersehen, was schon alles umgesetzt wurde. Allem voran die Musterfest­stellungsk­lage, die künftig Geschädigt­en wie den Dieselfahr­ern erlaubt, sich einer Verbandskl­age anzuschlie­ßen, ohne dabei persönlich ein hohes finanziell­es Risiko einzugehen. Das Baukinderg­eld

wurde rückwirken­d zum 1. Januar 2018 eingeführt.

Die Parität in der Krankenver­sicherung wurde wiederherg­estellt, Arbeitnehm­er und Rentner zahlen ab 1. Januar 2019 nur noch den halben Zusatzbeit­rag.

Der dritte Punkt bei der Mütterrent­e wurde zwar auf einen halben Punkt reduziert, aber wird zum 1. Januar 2019 eingeführt.

Die Mietpreisb­remse wird gerade nachgebess­ert, Modernisie­rungsumlag­en werden gedeckelt.

Die Brückentei­lzeit wurde verabschie­det. Der Volleinsti­eg nach Teilzeitar­beit wird erleichter­t.

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FOTO: DPA Grenzwerte für saubere Luft ändern – oder doch nicht? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Hessen-Wahlkampf.

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