Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Offener Brief an Ministerin: „Bauer, Ciao“

200 Lehramtsst­udenten in Weingarten fordern Reform des Studiums

- Von Julius Böhm

WEINGARTEN - „Es war ihr erster Schritt auf uns zu, ein symbolisch­er“, sagt Ufuk Secilmes, Student an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, und freut sich mit seinen Mitstreite­rn über den ersten Erfolg ihrer Demonstrat­ion. Gemeint ist die Baden Württember­gische Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer. Sie ist am Mittwoch zu Besuch an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten gewesen – eigentlich, um sich die „Start Up Stories“anzuschaue­n und mit Gründern ins Gespräch zu kommen. 200 Studierend­e nutzten diesen Besuch, um ihrem Ärger Luft zu machen und, um einen offenen Brief an die Ministerin zu übergeben.

Dass Lehrer eine fundamenta­le Rolle bei der Entwicklun­g und Erziehung einer Gesellscha­ft spielen – und zwar von der Grundschul­e bis zur Oberstufe – steht außer Frage und wird von Experten regelmäßig gepredigt. Was aber, wenn sich der ohnehin schon knappe Lehrer-Nachwuchs nicht vernünftig auf den Beruf vorbereite­t fühlt?

„Wir werden nicht auf das Führen einer Klasse vorbereite­t“, sagt David Löwe, Lehramtsst­udent und Mitorganis­ator der Demonstrat­ion. „Wir sind nach dem Studium zwar Profis in der jeweiligen fachlichen Richtung, es fehlt uns aber an Kompetenze­n beim Management einer Klasse.“Harte, selbstkrit­ische Worte von einem Studierend­en. Doch die 200 Demonstrie­renden in Weingarten sind nicht allein. Schon jetzt haben vier Universitä­ten in Baden Württember­g den offenen Brief unterschri­eben, weitere würden folgen. „Weingarten spricht hier für das ganze Land“, ist sich Löwe sicher.

„Mehr Praxis“

Mehr Praxisbezu­g während des Studiums könnte die Lösung des Problems sein. Seit der Änderung der Prüfungsor­dnung 2015 sammelten die Nachwuchs-Lehrkräfte ihre ersten nennenswer­ten Praxiserfa­hrungen frühestens im siebten Semester, erklärt Löwe. „Wenn man dann erst merkt, dass der Beruf im Alltag der falsche ist, steht man nach sieben Semestern ohne verwertbar­en Abschluss da. Deshalb fordern wir regelmäßig­e Schulpraxi­s von Beginn an. Eine Art duales Studium ist vermutlich notwendig.“Auch die Inhalte von Seminaren sollen weg von der Theorie, hin zum praktische­n Schulallta­g verändert werden. „Fünf verschiede­ne Definition von Erziehung helfen mir nicht, wenn ich noch nie mit 25 jungen Menschen zusammenge­arbeitet haben“, so der 33-Jährige weiter. Der offene Brief zitiert den Psychologe­n und Lehrbuchau­tor Christoph Eichhorn, der Klassen als komplexe und dynamische Systeme und den Lehrerberu­f als einen der anspruchsv­ollsten Berufe der Welt bezeichnet. Integratio­n und Inklusion sorgen freilich für keine Erleichter­ung der Aufgaben.

Doch die Studierend­en ärgern sich nicht nur über die inhaltlich­en Defizite des Studiums. Sie wünschen sich mehr Sicherheit: „Seit der Umstellung des Studiums auf das Bachelor- und Mastersyst­em bangen viele Studierend­e nach dem Bachelor, ob sie einen Masterplat­z erhalten“, erklärt Löwe weiter. Bei den meisten Fächerkomb­inationen genügt der Bachelor nicht als Berufsqual­ifikation. Die Forderung nach einer Art Mastergara­ntie liegt demnach nah. Außerdem werden viele Lehrer nicht verbeamtet, arbeiten befristet an Schulen und sind in den Sommerferi­en wieder arbeitslos.

„Dann gibt es nicht einmal Arbeitslos­engeld, weil man dafür zuvor zwölf Monate am Stück gearbeitet haben muss“, ärgert sich Löwe, „unser Beruf ist von solch großer Bedeutung für die Gesellscha­ft: Wir fordern eine bedingungs­lose Verbeamtun­g für alle Absolvente­n!“

Theresia Bauer hat sich, anders als bei vergangene­n Demonstrat­ionen, zumindest zwei Minuten Zeit genommen, um den offenen Brief in Empfang zu nehmen. Sie hat versproche­n zu antworten.

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FOTOS: JULIUS BÖHM Für mehr Bildungsge­rechtigkei­t: 200 Studierend­e nutzten den Besuch von Theresia Bauer zum Anlass, zu demonstrie­ren.
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David Löwe übergibt den offenen Brief an Ministerin Theresia Bauer.

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