Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Anwohner nach Messerattacke verunsichert
Psychisch kranker Angreifer kehrt nicht in ambulante Wohngruppe nach Bad Schussenried zurück
BAD SCHUSSENRIED - Der Schock sitzt immer noch tief. Drei Monate ist es mittlerweile her, dass ein psychisch kranker Mann mit einem Messer Anwohner der Probst-Burchard-Straße in Bad Schussenried bedrohte. Für Thomas Neu und Renate Simmendinger-Neu ist das Erlebte immer noch sehr präsent – und sie sind unzufrieden mit der Art und Weise, wie der Vorfall seitens des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) aufgearbeitet wurde.
Das Schussenrieder Ehepaar saß mit Freunden im Garten, als sie die Schreie hörten. „Ich stand auf, um auf die Straße zu schauen“, erinnert sich Renate Simmendinger-Neu. Sie sah, wie zwei Nachbarinnen schreiend an ihrem Haus vorbeirannten, verfolgt von einem Mann mit einem Messer in der Hand. Der Mann ist kein Unbekannter. Zusammen mit einer Frau wohnt er in einer ambulanten Wohngruppe des ZfP Schussenried – in der Straße, in der auch die Betroffenen leben. Renate Simmendinger-Neu und ihr Mann reagierten in Sekundenschnelle, brachten sich im Haus in Sicherheit und alarmierten die Polizei. „Wir haben nicht genau auf die Uhr geschaut, aber wir sind uns sicher, dass es mindestens 40 Minuten waren,
ANZEIGE bis die Beamten vor Ort waren“, sagt Thomas Neu. Laut Polizei war der erste Streifenwagen nach 20 Minuten vor Ort.
Die beiden können nicht nachvollziehen, dass der Polizeiposten in Bad Schussenried nicht rund um die Uhr besetzt ist. „Wir verstehen und befürworten ganz klar, dass auch psychisch kranke Menschen ein Recht auf Teilhabe haben“, sagt Thomas Neu, der selbst im Rollstuhl sitzt. „Aber wenn das so gewollt ist, dann muss es auch den entsprechenden Schutz für den Rest der Bevölkerung geben“, so seine Meinung. Keiner wisse, was passiert wäre, wenn jene Nachbarinnen nicht so schnell weggelaufen wären. Und wenn es der Polizei nicht möglich sei, dauerpräsent zu sein, so sei es aus seiner Sicht Aufgabe des ZfP, einen Wachdienst zu beschäftigen.
Verärgert sind die Anwohner auch darüber, dass sie in den Wochen nach dem Vorfall so wenig Informationen erhielten. „Es ist niemand auf uns zugekommen, immer mussten wir im ZfP, im Rathaus oder bei der Polizei anrufen, um kleckerlesweise etwas zu erfahren“, kritisiert Simmendinger-Neu. Auch hätten einige Gerüchte in der Nachbarschaft kursiert, wo keiner gewusst habe, was stimme. Anscheinend seien mehrere schwere Waffen in der Wohngruppe gefunden worden, angeblich sogar Drogen. „Falls das stimmt, fragen wir uns schon, ob da nicht die Aufsichtspflicht der Betreuer verletzt worden ist - und ob da jemand im Vorfeld nicht gemerkt hat, dass da was nicht stimmt“, sagt sie.
Christoph Vieten, Regionaldirektor des ZfP in Bad Schussenried, kann die Sorgen und Ängste der Anwohner verstehen. „Aber sie müssen auch verstehen, dass wir aus personenschutzrechtlichen Gründen eigentlich gar keine Informationen herausgeben dürfen“, erklärt er. Es habe mehrere Einzelgespräche mit den betroffenen Anwohnern direkt nach dem Vorfall gegeben, „und für uns war auch immer klar, dass wir alles dafür tun werden, dass der Betroffene nicht mehr in diese Wohngruppe zurückkehrt, eben weil wir wissen, dass ein normales Zusammenleben nicht mehr funktioniert hätte“, so Vieten. Allerdings treffe diese Entscheidung eben nicht das ZfP, sondern der zuständige Richter beziehungsweise die ermittelnde Staatsanwaltschaft. „Hätte der Richter das so entschieden, wir hätten den Mann wieder laufen lassen müssen.“
Gruppe wird aufgelöst
Doch so ist es nicht gekommen. Auf richterliche Anordnung befindet sich der 56-Jährige bis heute stationär im Krankenhaus. In die Probst-BurchardStraße wird er nie mehr zurückkehren. Die Wohngruppe wird aufgelöst. Angesprochen auf das Thema Wachschutz stellt Vieten noch einmal klar, was die Aufgabe des ZfP sind. „Wir betreuen die Menschen, die zu uns ins ZfP kommen, fachlich. Wir sind aber nicht der Sheriff von Bad Schussenried.“Auf dem ZfP-Gelände gebe es nachts einen Sicherheitsdienst. Dieser sei aber dafür zuständig, die ZfPMitarbeiter vor aggressiven Patienten zu schützen. Und es stimme nicht, dass es in Bad Schussenried wegen ZfP-Patienten häufiger als anderswo Polizeieinsätze gebe. 2018 sei es zweimal vorgekommen, dass gerichtlich untergebrachte Patienten des ZfP „entwichen“seien. Beide habe die Polizei aber innerhalb kurzer Zeit wieder gefasst. Und passiert sei dabei nichts. Was ab und zu vorkomme, sei, dass verwirrte Menschen davonliefen und von der Polizei gesucht werden müssten. „Aber das kommt auch in jeder anderen Stadt vor.“
Zu dem Vorwurf, die Mitarbeiter des ZfP hätten besagten Mann nicht ausreichend betreut, sagt Vieten: „Es entspricht der Würde eines Menschen, dass wenn er etwas nicht will, man ihn nicht dazu zwingen kann. Wenn ein Patient einer ambulanten Wohngruppe seinem Betreuer nicht jeden Tag die Tür öffnen will, dann muss er das auch nicht.“Die freie Willensbestimmung sei ein heiliges Grundrecht, das nur im äußersten Notfall umgangen werden dürfe.
Die Inklusion psychisch kranker Menschen sei ein schwieriger Spagat und nicht jede Entscheidung diesbezüglich erweise sich im Nachhinein als richtig. „Wir wollen, dass unsere Patienten eine reelle Chance haben, um wieder am Leben teilzunehmen. Dafür setzen wir uns ein.“