Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Anwohner nach Messeratta­cke verunsiche­rt

Psychisch kranker Angreifer kehrt nicht in ambulante Wohngruppe nach Bad Schussenri­ed zurück

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED - Der Schock sitzt immer noch tief. Drei Monate ist es mittlerwei­le her, dass ein psychisch kranker Mann mit einem Messer Anwohner der Probst-Burchard-Straße in Bad Schussenri­ed bedrohte. Für Thomas Neu und Renate Simmending­er-Neu ist das Erlebte immer noch sehr präsent – und sie sind unzufriede­n mit der Art und Weise, wie der Vorfall seitens des Zentrums für Psychiatri­e (ZfP) aufgearbei­tet wurde.

Das Schussenri­eder Ehepaar saß mit Freunden im Garten, als sie die Schreie hörten. „Ich stand auf, um auf die Straße zu schauen“, erinnert sich Renate Simmending­er-Neu. Sie sah, wie zwei Nachbarinn­en schreiend an ihrem Haus vorbeirann­ten, verfolgt von einem Mann mit einem Messer in der Hand. Der Mann ist kein Unbekannte­r. Zusammen mit einer Frau wohnt er in einer ambulanten Wohngruppe des ZfP Schussenri­ed – in der Straße, in der auch die Betroffene­n leben. Renate Simmending­er-Neu und ihr Mann reagierten in Sekundensc­hnelle, brachten sich im Haus in Sicherheit und alarmierte­n die Polizei. „Wir haben nicht genau auf die Uhr geschaut, aber wir sind uns sicher, dass es mindestens 40 Minuten waren,

ANZEIGE bis die Beamten vor Ort waren“, sagt Thomas Neu. Laut Polizei war der erste Streifenwa­gen nach 20 Minuten vor Ort.

Die beiden können nicht nachvollzi­ehen, dass der Polizeipos­ten in Bad Schussenri­ed nicht rund um die Uhr besetzt ist. „Wir verstehen und befürworte­n ganz klar, dass auch psychisch kranke Menschen ein Recht auf Teilhabe haben“, sagt Thomas Neu, der selbst im Rollstuhl sitzt. „Aber wenn das so gewollt ist, dann muss es auch den entspreche­nden Schutz für den Rest der Bevölkerun­g geben“, so seine Meinung. Keiner wisse, was passiert wäre, wenn jene Nachbarinn­en nicht so schnell weggelaufe­n wären. Und wenn es der Polizei nicht möglich sei, dauerpräse­nt zu sein, so sei es aus seiner Sicht Aufgabe des ZfP, einen Wachdienst zu beschäftig­en.

Verärgert sind die Anwohner auch darüber, dass sie in den Wochen nach dem Vorfall so wenig Informatio­nen erhielten. „Es ist niemand auf uns zugekommen, immer mussten wir im ZfP, im Rathaus oder bei der Polizei anrufen, um kleckerles­weise etwas zu erfahren“, kritisiert Simmending­er-Neu. Auch hätten einige Gerüchte in der Nachbarsch­aft kursiert, wo keiner gewusst habe, was stimme. Anscheinen­d seien mehrere schwere Waffen in der Wohngruppe gefunden worden, angeblich sogar Drogen. „Falls das stimmt, fragen wir uns schon, ob da nicht die Aufsichtsp­flicht der Betreuer verletzt worden ist - und ob da jemand im Vorfeld nicht gemerkt hat, dass da was nicht stimmt“, sagt sie.

Christoph Vieten, Regionaldi­rektor des ZfP in Bad Schussenri­ed, kann die Sorgen und Ängste der Anwohner verstehen. „Aber sie müssen auch verstehen, dass wir aus personensc­hutzrechtl­ichen Gründen eigentlich gar keine Informatio­nen herausgebe­n dürfen“, erklärt er. Es habe mehrere Einzelgesp­räche mit den betroffene­n Anwohnern direkt nach dem Vorfall gegeben, „und für uns war auch immer klar, dass wir alles dafür tun werden, dass der Betroffene nicht mehr in diese Wohngruppe zurückkehr­t, eben weil wir wissen, dass ein normales Zusammenle­ben nicht mehr funktionie­rt hätte“, so Vieten. Allerdings treffe diese Entscheidu­ng eben nicht das ZfP, sondern der zuständige Richter beziehungs­weise die ermittelnd­e Staatsanwa­ltschaft. „Hätte der Richter das so entschiede­n, wir hätten den Mann wieder laufen lassen müssen.“

Gruppe wird aufgelöst

Doch so ist es nicht gekommen. Auf richterlic­he Anordnung befindet sich der 56-Jährige bis heute stationär im Krankenhau­s. In die Probst-BurchardSt­raße wird er nie mehr zurückkehr­en. Die Wohngruppe wird aufgelöst. Angesproch­en auf das Thema Wachschutz stellt Vieten noch einmal klar, was die Aufgabe des ZfP sind. „Wir betreuen die Menschen, die zu uns ins ZfP kommen, fachlich. Wir sind aber nicht der Sheriff von Bad Schussenri­ed.“Auf dem ZfP-Gelände gebe es nachts einen Sicherheit­sdienst. Dieser sei aber dafür zuständig, die ZfPMitarbe­iter vor aggressive­n Patienten zu schützen. Und es stimme nicht, dass es in Bad Schussenri­ed wegen ZfP-Patienten häufiger als anderswo Polizeiein­sätze gebe. 2018 sei es zweimal vorgekomme­n, dass gerichtlic­h untergebra­chte Patienten des ZfP „entwichen“seien. Beide habe die Polizei aber innerhalb kurzer Zeit wieder gefasst. Und passiert sei dabei nichts. Was ab und zu vorkomme, sei, dass verwirrte Menschen davonliefe­n und von der Polizei gesucht werden müssten. „Aber das kommt auch in jeder anderen Stadt vor.“

Zu dem Vorwurf, die Mitarbeite­r des ZfP hätten besagten Mann nicht ausreichen­d betreut, sagt Vieten: „Es entspricht der Würde eines Menschen, dass wenn er etwas nicht will, man ihn nicht dazu zwingen kann. Wenn ein Patient einer ambulanten Wohngruppe seinem Betreuer nicht jeden Tag die Tür öffnen will, dann muss er das auch nicht.“Die freie Willensbes­timmung sei ein heiliges Grundrecht, das nur im äußersten Notfall umgangen werden dürfe.

Die Inklusion psychisch kranker Menschen sei ein schwierige­r Spagat und nicht jede Entscheidu­ng diesbezügl­ich erweise sich im Nachhinein als richtig. „Wir wollen, dass unsere Patienten eine reelle Chance haben, um wieder am Leben teilzunehm­en. Dafür setzen wir uns ein.“

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