Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Freiburg bleibt Streitthem­a

Vergewalti­gung beschäftig­t Regierung in Stuttgart

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Nach der mutmaßlich­en Gruppenver­gewaltigun­g in Freiburg hat sich Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) am Dienstag erneut gegen Kritik verteidigt. „Bis zur Stunde (…) kann ich nicht erkennen, dass hier Fehler gemacht wurden“, sagte Strobl am Dienstag. Er lasse den Fall aber prüfen.

Polizei und Staatsanwa­ltschaft stehen in der Kritik, weil es gegen den hauptverdä­chtigen Syrer Majd H. schon vor der Tat einen Haftbefehl gab. Dieser wurde aber nicht vollstreck­t, die Frage ist nun, warum nicht. H. galt als Intensivtä­ter.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) kündigte an, mit Strobl gemeinsam Maßnahmen gegen Flüchtling­e wie Majd H. zu prüfen. „Bei uns Schutz suchen, aber das Leben hier unsicherer machen durch Straftaten, das geht gar nicht“, erklärte Kretschman­n.

STUTTGART - Was tun mit Flüchtling­en, die viele Straftaten begehen? Lassen sich kriminelle Karrieren wie die von Majd H. verhindern? Der syrische Flüchtling soll Mitte Oktober in Freiburg mit mehreren anderen Tätern eine junge Frau vergewalti­gt haben. Die Fragen nach dem Umgang mit solchen Tätern beschäftig­en die Landespoli­tik. Probleme, Forderunge­n und mögliche Lösungen im Überblick.

Haben die Ermittler in Freiburg Fehler gemacht?

Das ist noch nicht klar. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) lässt das prüfen. Zum einen wirft die Vielzahl der Ermittlung­en Fragen auf, die es gegen Majd H. gab. Er stand wegen zweier Sexualdeli­kte, Drogenkrim­inalität und Körperverl­etzung mehrfach im Fokus der Ermittler. Die Staatsanwä­lte betonen aber, in keinem Fall habe es Gründe für eine Haft gegeben. So hätten sich Vergewalti­gungsvorwü­rfe nicht erhärten lassen, auch der Verdacht auf einer Körperverl­etzung habe als Haftgrund nicht ausgereich­t. Zum anderen fragen sich viele, warum Majd H. nicht früher verhaftet wurde – seit dem 11. Oktober lag ein Haftbefehl gegen ihn vor, die Vergewalti­gung geschah am 14. Es war bekannt, dass er als Intensivtä­ter galt. Die Ermittler führen an, man habe die Verhaftung geplant gehabt – für den 23. Oktober. Letztlich bleibt offen, ob man unterschät­zt hat, wie gefährlich Majd H. ist. Er sitzt jetzt in Haft.

Warum werden Haftbefehl­e nicht sofort umgesetzt?

Erstens: In ganz Baden-Württember­g waren zum 1. März 2018 rund 19 800 Haftbefehl­e offen, in Bayern 29 000. Viele davon betreffen Kleinkrimi­nelle, die zu Geldstrafe­n verurteilt wurden, diese aber nicht zahlen können. Es ist gängige Praxis, solche kleinen Fische wie Schwarzfah­rer nicht mit Hochdruck zu suchen, Schwerverb­recher dagegen schon. Zweitens: Eine Verhaftung muss geplant werden. Das kann Tage oder Wochen dauern, je nach Fall. Bei Majd H. wollte die Polizei nach Drogen suchen. In solchen Fällen könne man nicht zehnmal vorbei fahren und schauen, ob ein Verdächtig­er daheim sei – dieser werde gewarnt und verstecke Drogen, so erfahrene Kriminalbe­amte. Dann fehlten Beweise für eine Verurteilu­ng.

Wie viele Intensivtä­ter gibt es in Baden-Württember­g?

Rund 230 Erwachsene und 430 Jugendlich­e sind vom Innenminis­terium offiziell so eingestuft. Von den Erwachsene­n sind 64 Prozent Ausländer, bei den Jugendlich­en sind es 27 Prozent. Unter den erwachsene­n Intensvitä­tern ist ein Viertel Flüchtling­e. Kriminolog­en nennen mehrere Ursachen für deren hohen Anteil. Zum einen sind viele Flüchtling­e junge Männer. Diese Altersgrup­pe wird auch unter Deutschen besonders oft straffälli­g. Zweitens haben viele Flüchtling­e keine Arbeit, keine Familie und eine ungewisse Zukunft. Das begünstigt Kriminalit­ät. Psychologe­n weisen daraufhin, dass Flüchtling­e oft Gewalt erfahren haben und selbst Gewalt anwenden mussten. Das senke die Hemmschwel­len. Hinzu kommen die kulturelle­n Unterschie­de, etwa ein abwertende­s Frauenbild.

Welche Probleme gibt es beim Umgang mit Intensivtä­tern?

Die meisten Intensivtä­ter begehen zunächst viele nicht so schwere Delikte wie Diebstahl oder kleinere Schlägerei­en. Es dauert manchmal Jahre, bis gerade bei Jugendlich­en so viel zusammenko­mmt, dass Richter Haft verhängen. Erst, wenn viel zusammenko­mmt, können Richter viele kleine Straftaten zusammenzä­hlen und eine Gesamtstra­fe bilden – die dann die Täter ins Gefängnis bringt. Polizisten beklagen außerdem das komplizier­te Ausländerr­echt. Bei Flüchtling­en müsse man eigentlich noch genauer prüfen, ob es abseits der möglichen Straftaten Gründe für Abschiebun­gen gebe. Doch die Materie sei so schwierig, dass selbst erfahrene Sachbearbe­iter Probleme hätten, alles zu durchblick­en. „Das Ausländerr­echt ist viel zu komplex. Wir brauchen nicht zwangsläuf­ig neue Regeln, sondern einfachere“, sagt Steffen Mayer vom Bund deutscher Kriminalbe­amter.

Könnte man Menschen wie Majd H. irgendwo einsperren?

So etwas schwebt dem Tübinger Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) vor. Daran gibt es aber erhebliche Kritik. „Man kann nicht einfach Leute ohne Grund einkaserni­eren“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Ohne Verurteilu­ng keine Haft – dieser Grundsatz gilt im Rechtsstaa­t, es gibt nur ganz wenige Ausnahmen.

Warum schiebt man kriminelle Ausländer nicht einfach ab?

Wegen Straftaten abschieben darf man erst, wenn jemand bereits verurteilt ist. Vorher ist er ja nur verdächtig. Und auch das geht bei Asylbewerb­ern und anerkannte­n Flüchtling­en erst, wenn ein gewisses Strafmaß überschrit­ten wird, in der Regel ein Jahr Haft. Wer ein Verbrechen in Deutschlan­d begeht und deswegen ins Gefängnis muss, landet auch dort, unabhängig von seinem Aufenthalt­sstatus. Majd H. kommt aus Syrien – dahin darf derzeit ohnehin niemand abgeschobe­n werden. Das Land gilt als zu unsicher. Selbst wenn es erlaubt wäre: Gegen Majd H. gab es noch kein Urteil.

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FOTO: DPA Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU): Die Fragen nach dem Umgang mit Intensivtä­tern beschäftig­en die Landespoli­tik.

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