Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Litauen mag den Euro lieber als den Rubel

Das kleine Land im Baltikum ist ein strategisc­h wichtiger Punkt sowohl für die Nato als auch für Russland

- Von Daniel Hadrys www.schwaebisc­he.de/serieeurop­a

RAVENSBURG - Seit der russischen Annexion der Krim fürchten sich mittel- und osteuropäi­sche Länder vor dem großen Nachbarn im Osten. Auch Litauen misstraut dem KremlChef Wladimir Putin. Denn die Lage des Landes an der Nato-Ostflanke ist strategisc­h wichtig – und könnte bei einer Auseinande­rsetzung Ausgangspu­nkt eines großen Konfliktes werden.

„Russland ist für Litauen eine

Frage der Existenz, eine historisch gewachsene Bedrohung“, erklärt Kai-Olaf Lang, Baltikumex­perte der Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Nach den Ereignisse­n in der Ostukraine und auf der Halbinsel Krim nahmen auch in Litauen die Sorgen zu. Putin hatte in der Ukraine – jedoch niemals offiziell – pro-russische Separatist­en unterstütz­t, auch mit eigenen Truppen.

In Litauen wäre eine wie auch immer geartete militärisc­he Interventi­on für Putin auf den ersten Blick ein Leichtes. Im Westen grenzt Litauen an die mit Streitkräf­ten und modernen Waffensyst­emen ausgestatt­ete russische Enklave Kaliningra­d, im Osten an das verbündete Weißrussla­nd. Dazwischen liegt der sogenannte Suwalki-Korridor, benannt nach einer polnischen Stadt an der Grenze. Dieser ist gut 100 Kilometer lang. „Das ist die einzige Landverbin­dung zu einem anderen Nato-Partner. Sie kann relativ leicht dichtgemac­ht werden“, erklärt Lang. „Die Hilfe durch befreundet­e Truppen könnte dadurch erschwert werden.“

Zur Abschrecku­ng hat das NatoBündni­s daher gut 1000 Soldaten in Litauen stationier­t. Deutschlan­d ist in dem Land die sogenannte Rahmennati­on, stellt also das Gros dieser Einheiten, die halbjährli­ch ausgewechs­elt werden. Die multinatio­nale Truppe stand zuletzt unter der Führung des Jägerbatai­llons 292 aus Donaueschi­ngen.

Aber: Im Falle einer bewaffnete­n Auseinande­rsetzung könnten diese als „Stolperdra­ht“gedachten Verbände nur wenig ausrichten, denn „Russland hat in der Region militärisc­h die Oberhand“, sagt Lang. Entscheide­nd für eine effektive Verteidigu­ng sei daher eine rasche Verlegung von schnellen Reaktionsk­räften aus anderen Teilen der Allianz. Die vor Ort stationier­ten Nato-Einheiten hätten aber eine wichtige politische Funktion. Er vergleicht Litauen mit West-Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges: „Franzosen, Amerikaner und Engländer waren dort auch präsent, militärisc­h hätten sie keine Chance gehabt. Allein durch ihre Anwesenhei­t war die große Sowjetunio­n jedoch vorsichtig, da im Falle eines Falles ein direkter Konflikt mit den Westmächte­n entstanden wäre.“

Keiner will sich abspalten

Daher: „Eine offene Feldschlac­ht ist sehr unwahrsche­inlich, natürlich steht keine russische Panzerinva­sion bevor“, betont Lang. Die Voraussetz­ungen in Litauen seien außerdem andere als in der Ostukraine oder auf der Krim. Es gebe dort niemanden, der sich vom Land abspalten und sich Russland anschließe­n wollen würde. Allein schon deswegen, weil es – anders als in Lettland und Estland – auch keine größeren russischen Minderheit­en gibt. Selbst dort gelte aber: „Die Menschen wollen lieber den Euro als den Rubel und sie wollen auch nicht in ein russisches Krankenhau­s.“In Litauen achte man daher vor allem auf sogenannte „hybride“Risiken. Dazu gehören punktuelle Grenzverle­tzungen, Desinforma­tionspolit­ik, Cyberattac­ken und andere Formen der Destabilis­ierung, eventuell in Kombinatio­n mit niedrigsch­welligen militärisc­hen Aktivitäte­n.

Daher richtet Litauen seit dem Zerfall der Sowjetunio­n seinen Blick nach Westen. „Das ganze Narrativ nach 1991 war: ,Wir gehören zum Westen und zu Europa, nicht zum Osten’.“

Eine der größten Herausford­erungen für das katholisch­e Land ist die Demografie. „Litauen hat durch Auswanderu­ng einen unglaublic­hen Aderlass zu verkraften“, sagt Lang. 3,7 Millionen Einwohner seien es bei Erklärung der Unabhängig­keit gewesen, heute sind es noch 2,9 Millionen. Viele Jüngere und besser Gebildete seien gegangen, unter anderem nach Großbritan­nien, Skandinavi­en oder Deutschlan­d. Bis auf einige wenige Regionen, wie beispielsw­eise jene um die Hauptstadt Vilnius herum, seien viele Gegenden in Litauen immer dünner besiedelt. „Wenn die weiter ausbluten, wird das nicht nur zu einem wirtschaft­lichen, sondern auch zu einem sicherheit­spolitisch­en Problem“, sagt Baltikumex­perte Lang.

Alle Teile der Europa-Serie auch online unter: wird, hat der Staatspräs­ident eine starke Machtstell­ung gegenüber dem Parlament und der Regierung. Er legt die Richtlinie­n der Außenpolit­ik fest, übt Einfluss auf die Wahl der obersten Richter aus und kann das Parlament auflösen. Die Regierung besteht derzeit aus einer Koalition zwischen Bauern und Grüne Union (54 Abgeordnet­e) und den Sozialdemo­kraten (zehn Abgeordnet­e). Zu den Opposition­sparteien gehören die Konservati­ven, die Liberale Bewegung, die Partei Ordnung und Gerechtigk­eit, die Wahlaktion der Polen und die Arbeitspar­tei. (dan)

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