Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die fetten Jahre sind vorbei

- Von Markus Sievers, Berlin

Viel Freude hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) an ihrem Sachverstä­ndigenrat seit Langem nicht mehr. Regelmäßig gehen die so genannten Wirtschaft­sweisen mit der Bundesregi­erung so hart ins Gericht, dass sich ihre Gutachten wie eine Anklagesch­rift lesen. In ihrem diesjährig­en Gutachten, das sie am Mittwoch vorstellte­n, halten sie sich sogar noch vergleichs­weise zurück. Die Wirtschaft­sweisen fordern, den Solidaritä­tszuschlag komplett abzuschaff­en. Sie wollen eine Rente erst mit 70 und eine City-Maut – die Professore­n fordern einen radikalen Kurswechse­l. Andernfall­s, so warnen sie, droht eine Abkühlung der Konjunktur.

Die Forderung nach einem vollständi­gen Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es wirkt moderat – wenn man bedenkt, wie lange die Deutschen diese Sonderabga­be schon zahlen, wie gut gefüllt die öffentlich­en Kassen sind und wie stark etwa die USA für Unternehme­n die Steuern gesenkt haben.

Damit steigen auch die Chancen, dass dieser Vorschlag früher oder später umgesetzt wird. Zwar leistet die SPD Widerstand, aber der Sachverstä­ndigenrat hat derzeit besonders gute Argumente. Wie er in seinem Gutachten erläutert, neigt sich der Daueraufsc­hwung, der längste seit dem Wirtschaft­swunder der Nachkriegs­zeit, dem Ende zu.

Aussichten verschlech­tern sich

Das Bruttoinla­ndsprodukt wird laut Schätzung der Experten nur um 1,6 Prozent in diesem und um 1,5 Prozent im kommenden Jahr wachsen. Noch im März hatte der Rat ein Wachstum mit Raten von 2,3 und 1,8 Prozent vorhergesa­gt. Doch die Exporte entwickeln sich schwächer als gedacht, vor allem weil der Welthandel durch die Zollkonfli­kte stockt. Daraus leiten die Wirtschaft­sweisen Handlungsb­edarf ab. „Vor wichtigen wirtschaft­spolitisch­en Weichenste­llungen“lautet der Titel des Gutachtens.

Der Boom der vergangene­n Jahre hat vieles überdeckt. Egal, was die Regierunge­n in Berlin beschlosse­n oder auch unterließe­n, die Wirtschaft brummte, die Arbeitslos­igkeit sank und die öffentlich­en Kassen füllten sich. Noch profitiert der Staat von der starken Konjunktur der vergangene­n Jahre. Lange konnte es sich Deutschlan­d leisten, sich wenig Gedanken um seine Wettbewerb­sfähigkeit zu machen.

Aber die Zeit, in der alles wie von allein lief, wird nicht mehr lange anhalten. Deshalb drängt der Sachverstä­ndigenrat auf eine Kehrtwende. Die Wirtschaft­sweisen pochen auf die Pflicht der Regierung, sich wieder stärker um die Attraktivi­tät des Standorts im internatio­nalen Wettbewerb zu kümmern.

Auch zum Dieselprob­lem präsentier­en die Experten einen Vorschlag: Zur Abwendung von Fahrverbot­en schlagen sie eine Maut in den Städten vor, deren Höhe sich nach der Belastung vor Ort, der Tageszeit und dem Schadstoff­ausstoß des Fahrzeugs richten soll. Eine solche Gebühr für Verkehrste­ilnehmer könne die Menge an Autos und Lkw nach Erfahrunge­n beispielsw­eise in London oder Stockholm um ein Viertel bis ein Drittel senken, heißt es im Gutachten.

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