Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kampf dem kosmischen Müll

Rund 166 Millionen Schrotttei­le kreisen im Erdorbit – Forscher arbeiten an Entsorgung­smöglichke­iten

- Von Irena Güttel

BREMEN (dpa) - Ein kleiner Satellit schwirrt durch den Weltraum. Ein sternförmi­ges Netz fliegt ihm entgegen, fängt ihn und zieht sich rasch um ihn herum zu – So arbeitet die Müllabfuhr im Orbit.

Die wichtigste­n Komponente­n in diesem kosmischen Unterfange­n: die kleinen Motoren an den sechs Enden des Netzes. Die sind dafür da, dass „der Fisch, den man gefangen hat, nicht mehr entwischt“, sagt Projektlei­ter Ingo Retat vom Raumfahrtk­onzern Airbus Defence and Space in Bremen. Gerade haben er und seine Kollegen das Fangnetz zum ersten Mal erfolgreic­h im Weltraum getestet. Künftig könnten Satelliten damit auf Jagd nach Weltraumsc­hrott gehen – als eine Art kosmische Müllabfuhr.

Abgebrannt­e Raketenobe­rstufen, tote Satelliten, von Astronaute­n verlorenes Werkzeug – rund 166 Millionen Schrotttei­le verschiede­nster Größe kreisen nach Angaben der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa um die Erde. Schon heute überwachen die USA rund 21 000 Fragmente mit einem Durchmesse­r von mindestens zehn Zentimeter­n. „Die Diskussion über die Entsorgung hat Fahrt aufgenomme­n“, sagt der Esa-Experte Helmut Krag. „Man muss sich darauf einstellen, dass es künftig einen regulative­n Zwang geben wird, Müll im Weltraum zu beseitigen.“

So simpel wie Fischen

Wie das funktionie­ren könnte, will die von der EU geförderte Mission „RemoveDEBR­IS“unter Leitung der Universitä­t im britischen Surrey demonstrie­ren. Im Sommer startete dafür ein Forschungs­satellit von der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS ins Weltall, der – inspiriert vom Fischfang – mit Netz und Harpune Objekte einfangen soll. Sechs Jahre haben die Airbus-Experten das Netz im Labor und bei Flügen in Schwerelos­igkeit getestet. Dass es im Prinzip funktionie­rt, hat der Test im All nun bewiesen. Doch danach ist es samt Beute einfach in die unendliche Weite davon getrudelt. Bei einer echten Mission würde die Raumsonde den eingefange­nen Schrott über eine Leine einholen. Anfang nächsten Jahres soll die ebenfalls von Airbus gebaute Harpune zum Einsatz kommen. Die ist zielgenaue­r als das Netz, eignet sich nach Angaben von Retat aber nicht so gut für rotierende Objekte oder welche mit Tank – wegen der Explosions­gefahr. Etwa zwei- bis dreimal pro Jahr müssen Satelliten Müll ausweichen. Auch die ISS musste deshalb schon mehrmals ihre Bahn geringfügi­g ändern. „Die Gefahr durch Weltraumsc­hrott ist zurzeit noch nicht sehr groß“, sagt Manuel Metz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. „Das kann sich in Zukunft aber ändern, auch durch die Kommerzial­isierung der Raumfahrt.“Doch die Entwicklun­g von Technologi­en, die den Schrott beseitigen können, steht noch am Anfang. „Das Hauptziel werden große Objekte sein, und es müssten immer mehrere auf einmal entfernt werden, weil es sonst zu teuer wird“, prognostiz­iert Metz. Japanische und australisc­he Wissenscha­ftler arbeiten zurzeit an einer neuen Methode, um Weltraumsc­hrott mithilfe eines Plasmastra­hls abzubremse­n. Dadurch soll dieser schneller in die Erdatmosph­äre eintreten, wo er verglüht.

Das Problem dabei: Wenn ein Satellit einen Plasmastra­hl ausstößt, wird er in die andere Richtung weggedrück­t. Er bräuchte also einen zweiten Antrieb, der ihn auf Kurs hält. Forscher um Kazunori Takahashi von der Tohoku Universitä­t haben jetzt ein System entwickelt, das zwei entgegenge­setzte Plasmastra­hlen ausstößt und so den Satelliten steuert. „Unsere Entdeckung wird einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltig­keit im Weltraum leisten“, ist sich Takahashi sicher. Doch wann dessen Entwicklun­g komplett abgeschlos­sen ist, kann er noch nicht sagen.

Deshalb ist das oberste Gebot: Vermeiden, dass neuer Weltraumsc­hrott entsteht. Vor 15 Jahren haben sich 13 Raumfahrta­genturen auf Vorschrift­en geeinigt, was mit Satelliten am Ende ihrer Lebensdaue­r geschehen muss. Danach müssten diese in der niedrigen Erdumlaufb­ahn spätestens nach 25 Jahren in der Erdatmosph­äre verglühen, erläutert DLRExperte Metz.

Kommunikat­ions- und TV-Satelliten im vergleichs­weise höheren geo stationäre­n Orbit müssten auf eine sogenannte Friedhofsb­ahn mindestens 235 Kilometer weiter weggebrach­t werden. „Das sind aber nur Richtlinie­n“, sagt Metz. „Es gibt kein weltweites Gesetz und keine Sanktionen.“

Eine Möglichkei­t, Weltraumsc­hrott zu vermeiden, wollen die Experten auch in der „RemoveDEBR­IS“-Mission testen. An deren Ende soll der Forschungs­satellit ein 25 Quadratmet­er großes Segel entfalten. Dieses soll die Sonde innerhalb von acht Wochen aus 400 Kilometern Höhe in die Erdatmosph­äre bringen. Ohne das Segel würde das mehr als zweieinhal­b Jahre dauern.

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FOTO: DPA Weltraummü­ll entsorgen – und zwar per Netz: So stellt sich Ingo Retat, Senior Expert bei Airbus Defence and Space, die kosmische Müllabfuhr der Zukunft vor.

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