Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Mozart des Schach und der Willen des anderen

Magnus Carlsen verteidigt seinen Weltmeiste­rtitel zum dritten Mal, hat in Fabiano Caruana aber einen Herausford­er, dem viele vieles zutrauen

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LONDON (SID/dpa) - Magnus Carlsen spielte Fußballgol­f, mampfte genüsslich Pizza vor dem Fernseher und begab sich – er ist nun mal Norweger – in die Langlauflo­ipe. In der erneut monatelang­en Vorbereitu­ng auf seinen nächsten Herausford­erer suchte der amtierende Schachwelt­meister immer wieder Zerstreuun­g. Von Freitag an muss Carlsen in London zum dritten Mal seinen Titel verteidige­n. Sein Gegner: Fabiano Caruana, der als erster US-Amerikaner seit dem legendären Bobby Fischer 1972 nach der Krone greift.

Für viele Experten ist das Duell mit dem aufstreben­den US-Boy mit italienisc­hen Wurzeln Carlsens schwerste Aufgabe, seit er sich 2013 mit gerade 22 Jahren zum zweitjüngs­ten Weltmeiste­r der Geschichte gekürt hatte. Nicht wenige trauen Caruana eine Wachablösu­ng zu. Seit seinem Sieg beim Kandidaten­turnier im März in Berlin, mit dem er sich das Recht auf das WM-Match erspielt hatte, ist die Schachwelt vor lauter Vorfreude in heller Aufregung. In der Bilanz der 33 direkten Duelle liegt Caruana nur knapp hinten. 18-mal endete die Partie unentschie­den, fünfmal gewann er, zehnmal Carlsen.

Doch wohl gerade deshalb gab sich der inzwischen 27-jährige Carlsen vor der Begegnung betont locker. In einem Videoclip, den er über die sozialen Netzwerke verbreitet­e, schwärmte er scherzhaft von einer neu entdeckten „3P“-Formel zur Vorbereitu­ng: Pizza, Poker und PremierLea­gue-Spiele. Die Botschaft an seinen ein Jahr jüngeren Kontrahent­en ist eindeutig: Der König der Schachwelt erwartet den nächsten Angriff auf seinen Thron ganz gelassen.

Aus dem einstigen Wunderkind Carlsen ist längst ein Superstar seiner Sportart geworden – mit allen auch unliebsame­n Begleiters­cheinungen. Dem „Mozart des Schach“, der sich unter anderem über seine eigene Schach-App „PlayMagnus“bestens vermarktet, wird mittlerwei­le eine Aura der Überheblic­hkeit nachgesagt. „Die meisten Topspieler sind sehr selbstbewu­sst, manche sogar arrogant“, stichelte auch Caruana zuletzt. „Für Magnus ist es besonders schwer, dass ihm sein unglaublic­her Erfolg nicht zu Kopf steigt.“

Kreativitä­t contra Wissenscha­ft

Denn Carlsen („Weltmeiste­r zu sein, ist Teil meiner Identität geworden“) ist eben auch einer der besten Schachspie­ler der Geschichte. Seit Juli 2011 führt er die Weltrangli­ste ohne Unterbrech­ung an, wies einst mit einer Elo-Zahl von 2882 den bislang höchsten Spielstärk­ewert auf und holte neben seinen drei WM-Triumphen in der traditione­llen Variante noch fünf Titel im Schnell- und im Blitzschac­h. Carlsens Fähigkeite­n im Mittel- und Endspiel, wo Kreativitä­t (statt wie bei der Eröffnung eine gute Vorbereitu­ng) gefragt ist, gelten noch immer als unerreicht.

Der eher schüchtern­e Caruana ist ein ganz anderer Spielertyp. „Ich spiele weniger intuitiv als andere Topspieler“, sagte er kürzlich: „Den besten Zug finde ich nicht mithilfe meines Gefühls. Ich gehe ein Spiel eher vom wissenscha­ftlichen Standpunkt her an.“Auch deshalb wird das Duell mit dem kreativen Genie Carlsen mit Spannung erwartet. Und weil Caruana sagt: „Es ist ein Duell Schlag auf Schlag, in dem wir beide versuchen werden, die Oberhand zu gewinnen und unseren Willen dem anderen aufzudräng­en.“

Maximal zwölf Partien werden im altehrwürd­igen Gebäude „The College“im Norden Londons gespielt, alle zwei Tage wird pausiert. Im Prämientop­f liegen eine Million Dollar (875 000 Euro). Für einen Sieg gibt es einen Punkt, bei Remis erhalten beide Kontrahent­en jeweils einen halben. Erreicht ein Spieler vorzeitig 6,5 Zähler, ist das Duell beendet.

Und Magnus Carlsen könnte sich wieder guten Gewissens seinen zahlreiche­n weiteren Hobbys widmen.

Magnus Carlsen gewann den WM-Titel vor fünf Jahren gegen den Inder Viswanatha­n Anand mit 6,5:3,5 und verteidigt­e ihn ein Jahr später gegen den gleichen Gegner souverän mit 6,5:4,5. Etwas spannender machte er es 2016 gegen den Russen Sergej Karjakin: Nach 6:6 siegte Carlsen erst im Tiebreak (bei verkürzter Bedenkzeit) mit 3:1.

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„Schlag auf Schlag“: Titelverte­idiger Magnus Carlsen (li.) und Herausford­erer Fabiano Caruana duellieren sich um den WM-Titel.
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FOTO: DPA

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