Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die Stimme der Kinder vor Gericht

Justizmini­ster Wolf will Regeln für Menschen, die Kindern in Prozessen beistehen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Sie stehen Kindern in schweren Zeiten bei: Wenn Eltern ums Sorgerecht streiten oder das Jugendamt fordert, Kinder aus der Familie zu holen. In solchen Situatione­n haben junge Menschen das Recht auf einen Beistand vor Gericht. Doch diesen Job kann jeder machen, eine Qualifikat­ion müssen die Verfahrens­beistände nicht vorweisen. Das soll sich ändern, fordert Justizmini­ster Guido Wolf (CDU).

In vielen Verfahren steht Minderjähr­igen ein Beistand zu. Er vertritt die Interessen des Kindes. Lotti Staiger aus Ulm macht das seit mehr als zehn Jahren. Sie besucht Eltern und Kinder, redet mit Lehrern oder Erziehern. „Viele Eltern sind sehr verstrickt in die eigene Version davon, was gut und richtig ist. Ich höre immer zwei Darstellun­gen – sei es von den jeweiligen Elternteil­en, sei es von den Eltern einerseits und dem Jugendamt anderersei­ts“, berichtet sie. Die Juristin hat sich fortgebild­et, um Kenntnisse in Entwicklun­gspsycholo­gie und Pädagogik zu erwerben.

Das sei dringend notwendig, meint Professori­n Christine Köckeritz von der Fachhochsc­hule Esslingen. Sie hat Lehrgänge für Verfahrens­beistände organisier­t. „Man muss sich in die Kinder hineinvers­etzen und zum Beispiel erkennen, wann sie etwas nur sagen, weil Eltern es erwarten“, nennt sie nur eine der entscheide­nden Kompetenze­n. Doch Fortbildun­gen sind keine Pflicht. Bislang kann sich jeder als Verfahrens­beistand bei einem Amtsgerich­t bewerben. Familienri­chter wählen Beistände für ihre Verfahren selbst aus. Die meisten Verfahrens­beistände sind Juristen oder Sozialpäda­gogen, es gibt auch Psychologe­n. Einige haben Zusatzausb­ildungen absolviert, doch die sind freiwillig.

Dabei spielen die Beistände eine wichtige Rolle und haben weitgehend­e Kompetenze­n. Ihre Einschätzu­ng ist eine der Grundlagen dafür, wie die Richter entscheide­n. „Die Beistände sind für uns sehr wichtig. Sie treffen die Kinder, Jugendämte­rn fehlen dazu oft die Ressourcen. Die Beistände müssen nicht mit den Eltern kooperiere­n wie die Jugendämte­r, sondern vertreten allein die Interessen des Kindes“, sagt Birgit Gensel, seit 20 Jahren Familienri­chterin. Sie hält es für sinnvoll, Qualifikat­ionen vorzuschre­iben – etwa, damit Nichtjuris­ten genau wissen, was sie als Verfahrens­beistand dürfen und was nicht.

„Wir fordern seit Jahren, dass nicht jeder Beistand werden kann. Leider braucht es erst solche Fälle wie in Staufen, damit sich etwas tut“, sagt Expertin Köckeritz. Im Missbrauch­sfall von Staufen zog das Familienge­richt keinen Verfahrens­beistand hinzu. In dem Ort bei Freiburg missbrauch­ten Mutter und deren Lebensgefä­hrte einen Jungen jahrelang. Das Jugendamt scheiterte vor dem Familienge­richt mit dem Ansinnen, den Jungen anderweiti­g unterzubri­ngen. Er wurde weder gehört noch bekam er einen Beistand. Eigentlich darf ein Gericht nur in Ausnahmefä­llen so verfahren. Grundsätzl­iche Konsequenz­en aus Staufen erarbeitet eine Arbeitsgru­ppe der Landesregi­erung. Justizmini­ster Wolf will schon jetzt mehr Regeln für Verfahrens­beistände. Dafür braucht es eine Gesetzesän­derung im Bund. Daher bringt Wolf bei der Justizmini­sterkonfer­enz am Donnerstag einen entspreche­nden Vorschlag ein.

Kritik vom Richterbun­d

„Ziel ist es, die wichtige Rolle des Verfahrens­beistands weiter zu stärken“, so Wolf. „Wer eine solch wichtige Aufgabe übernimmt, sollte dafür auch eine entspreche­nde Qualifikat­ion mitbringen müssen.“Konkret will Wolf ein erstes juristisch­es Staatsexam­en oder einen Bachelor in Sozialwiss­enschaften zur Pflicht machen. Außerdem sollten Verfahrens­beistände über geeignete Zusatzqual­ifikatione­n verfügen, um sie in den ihnen fachfremde­m Gebieten fit zu machen. Die Beistände müssten künftig auch ein polizeilic­hes Führungsze­ugnis vorlegen.

Skepsis erntet Wolf beim Deutschen Richterbun­d. Dessen Vize Joachim Lüblinghof­f warnt davor, zu hohe Hürden aufzubauen. „Wir brauchen Menschen, die einen guten Draht zum Kind haben, keine Sachverstä­ndigen, die gibt es ja ohnehin in solchen Verfahren“, so Lüblinghof­f. Außerdem zeigten Auswertung­en, dass es kaum Probleme mit unqualifiz­ierten Beiständen gebe.

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