Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wo der Alptraum für viele Christen Alltag ist
Der Fall Asia Bibi wirft ein Schlaglicht auf die dramatische Lage in Pakistan – ein Überblick
RAVENSBURG - Ein Schluck Wasser hat ihr Leben zur Hölle werden lassen. Asia Bibi – so steht es in den Prozessakten – hat mit einem Metallbecher von dem Brunnenwasser getrunken, das sie für andere Frauen abgeschöpft hatte. Für Frauen, die mit ihr Beeren pflückten an einem Tag im Juni 2009, im Distrikt Sheikhupura im Nordosten Pakistans. Asia Bibi ist Christin – und somit minderwertig in den Augen vieler Menschen in Pakistan, wo der Islam Staatsreligion ist. Ein Becher, von dem ein Christ getrunken hat, sei verunreinigt, das glauben auch die Feldarbeiterinnen um Asia Bibi. Sie stellen sie zur Rede. Daraufhin soll Bibi laut Zeugen den Propheten Mohammed beleidigt haben. Sie selbst bestreitet das, bis heute. 2010 verurteilt ein Richter sie zum Tode.
Acht Jahre später lebt Asia Bibi noch – trotz Todesdrohungen, Massenprotesten, Aufrufen zum Lynchmord an ihr. Der Oberste Gerichtshof Pakistans hat am 31. Oktober das Todesurteil gegen Bibi aufgehoben und sie von allen Vorwürfen freigesprochen. Militante Muslime zogen daraufhin tagelang durch die Straßen, forderten die Hinrichtung der fünffachen Mutter. Mehrere europäische Staaten sollen sich derzeit darum bemühen, Asia Bibi bei sich aufzunehmen. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf die Verfolgung vieler der etwa drei Millionen Christen in Pakistan, mit gut 200 Millionen Einwohnern das Land mit der sechstgrößten Bevölkerung der Erde.
Das erste Todesurteil
Grundlage für Bibis Verurteilung war Paragraph 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches, das Blasphemiegesetz: Wer den Propheten Mohammed entweiht, wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Oder zum Tode. Bibi ist die erste Frau, die getötet werden sollte. Dass Christen die Hölle auf Erden erleben, gehört aber an vielen Orten zum Alltag.
Die Organisation Open Doors, die jährlich eine Negativrangliste der Länder mit der brutalsten Christenverfolgung veröffentlicht, sieht Pakistan auf Rang fünf: Zu den Gründen zählen Attentate auf Christen wie das Massaker von Peschawar im Jahr 2013 mit 78 Toten, radikale Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt – die niedrigsten Tätigkeiten wie die Toilettenreinigung werden oft gezielt an Christen vergeben – und Zwangskonversionen christlicher Frauen zum Islam, oft verbunden mit sexueller Gewalt. Auch die deutschen Amtskirchen – die Open Doors wegen seiner Prägung durch konservative Katholiken und Evangelikale kritisch sehen – bestätigen die Zustände weitgehend in ihrem „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit“– und schreiben von einer „besorgniserregenden Situation“.
Es sind vielerorts Islamisten, die in Pakistan zur Gewalt gegen Christen aufrufen. Doch die Wurzeln des Christenhasses liegen nicht nur in der Religion. Christen, schreibt ein Autor der US-amerikanischen Fachzeitschrift „Foreign Policy“, würden aufgrund des Kastensystems – das die pakistanische Gesellschaft seit Jahrhunderten prägt – als Ausgestoßene betrachtet, weil viele von ihnen von sozial niedriggestellten Hindus abstammen, die sich irgendwann taufen ließen. Außerdem habe die feindliche Haltung gegenüber dem Westen und vor allem den USA – die erst der Irakkrieg 2003 und später die Drohnenangriffe auf Ziele in Pakistan verschärft hätten, den Hass auf Christen weiter verstärkt. Die christliche Organisation Open Doors nennt Christen „die meistverfolgte Gruppe“der Welt. Wer heute auf Google das Wort „Christenverfolgung“sucht, der stößt sofort auf die Internetpräsenz von Open Doors. Die Amtskirchen in Deutschland – die katholische wie die protestantische – tun sich mit dem Begriff schwerer. In Ländern, in denen Christen verfolgt werden, seien meist auch die Freiheitsrechte anderer Minderheiten bedroht, argumentieren etwa Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Bericht von EKD und Deutscher Bischofskonferenz zur Lage der Christen heißt daher auch „Ökumenischer Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“. Hauptgrund für die unterschiedlichen Begriffe: Die konservativchristliche Organisation Open Doors vertritt die Ansicht, ein zentraler Grund für Gewalt gegen Christen sei der Islam an sich. „Es gibt keine Religionsfreiheit im Islam selber“, sagte der Open Doors-Vorsitzende Markus Rode 2016 dem Deutschlandfunk, ähnliche Aussagen trifft er immer wieder. Vielen Vertretern der Amtskirche sind solche Aussagen zur islamischen Religion zu verallgemeinernd. (se)