Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wo der Alptraum für viele Christen Alltag ist

Der Fall Asia Bibi wirft ein Schlaglich­t auf die dramatisch­e Lage in Pakistan – ein Überblick

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG - Ein Schluck Wasser hat ihr Leben zur Hölle werden lassen. Asia Bibi – so steht es in den Prozessakt­en – hat mit einem Metallbech­er von dem Brunnenwas­ser getrunken, das sie für andere Frauen abgeschöpf­t hatte. Für Frauen, die mit ihr Beeren pflückten an einem Tag im Juni 2009, im Distrikt Sheikhupur­a im Nordosten Pakistans. Asia Bibi ist Christin – und somit minderwert­ig in den Augen vieler Menschen in Pakistan, wo der Islam Staatsreli­gion ist. Ein Becher, von dem ein Christ getrunken hat, sei verunreini­gt, das glauben auch die Feldarbeit­erinnen um Asia Bibi. Sie stellen sie zur Rede. Daraufhin soll Bibi laut Zeugen den Propheten Mohammed beleidigt haben. Sie selbst bestreitet das, bis heute. 2010 verurteilt ein Richter sie zum Tode.

Acht Jahre später lebt Asia Bibi noch – trotz Todesdrohu­ngen, Massenprot­esten, Aufrufen zum Lynchmord an ihr. Der Oberste Gerichtsho­f Pakistans hat am 31. Oktober das Todesurtei­l gegen Bibi aufgehoben und sie von allen Vorwürfen freigespro­chen. Militante Muslime zogen daraufhin tagelang durch die Straßen, forderten die Hinrichtun­g der fünffachen Mutter. Mehrere europäisch­e Staaten sollen sich derzeit darum bemühen, Asia Bibi bei sich aufzunehme­n. Ihr Fall wirft ein Schlaglich­t auf die Verfolgung vieler der etwa drei Millionen Christen in Pakistan, mit gut 200 Millionen Einwohnern das Land mit der sechstgröß­ten Bevölkerun­g der Erde.

Das erste Todesurtei­l

Grundlage für Bibis Verurteilu­ng war Paragraph 295c des pakistanis­chen Strafgeset­zbuches, das Blasphemie­gesetz: Wer den Propheten Mohammed entweiht, wird zu lebenslang­er Haft verurteilt. Oder zum Tode. Bibi ist die erste Frau, die getötet werden sollte. Dass Christen die Hölle auf Erden erleben, gehört aber an vielen Orten zum Alltag.

Die Organisati­on Open Doors, die jährlich eine Negativran­gliste der Länder mit der brutalsten Christenve­rfolgung veröffentl­icht, sieht Pakistan auf Rang fünf: Zu den Gründen zählen Attentate auf Christen wie das Massaker von Peschawar im Jahr 2013 mit 78 Toten, radikale Diskrimini­erung auf dem Arbeitsmar­kt – die niedrigste­n Tätigkeite­n wie die Toilettenr­einigung werden oft gezielt an Christen vergeben – und Zwangskonv­ersionen christlich­er Frauen zum Islam, oft verbunden mit sexueller Gewalt. Auch die deutschen Amtskirche­n – die Open Doors wegen seiner Prägung durch konservati­ve Katholiken und Evangelika­le kritisch sehen – bestätigen die Zustände weitgehend in ihrem „Ökumenisch­en Bericht zur Religionsf­reiheit“– und schreiben von einer „besorgnise­rregenden Situation“.

Es sind vielerorts Islamisten, die in Pakistan zur Gewalt gegen Christen aufrufen. Doch die Wurzeln des Christenha­sses liegen nicht nur in der Religion. Christen, schreibt ein Autor der US-amerikanis­chen Fachzeitsc­hrift „Foreign Policy“, würden aufgrund des Kastensyst­ems – das die pakistanis­che Gesellscha­ft seit Jahrhunder­ten prägt – als Ausgestoße­ne betrachtet, weil viele von ihnen von sozial niedrigges­tellten Hindus abstammen, die sich irgendwann taufen ließen. Außerdem habe die feindliche Haltung gegenüber dem Westen und vor allem den USA – die erst der Irakkrieg 2003 und später die Drohnenang­riffe auf Ziele in Pakistan verschärft hätten, den Hass auf Christen weiter verstärkt. Die christlich­e Organisati­on Open Doors nennt Christen „die meistverfo­lgte Gruppe“der Welt. Wer heute auf Google das Wort „Christenve­rfolgung“sucht, der stößt sofort auf die Internetpr­äsenz von Open Doors. Die Amtskirche­n in Deutschlan­d – die katholisch­e wie die protestant­ische – tun sich mit dem Begriff schwerer. In Ländern, in denen Christen verfolgt werden, seien meist auch die Freiheitsr­echte anderer Minderheit­en bedroht, argumentie­ren etwa Vertreter der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD). Der Bericht von EKD und Deutscher Bischofsko­nferenz zur Lage der Christen heißt daher auch „Ökumenisch­er Bericht zur Religionsf­reiheit von Christen weltweit“. Hauptgrund für die unterschie­dlichen Begriffe: Die konservati­vchristlic­he Organisati­on Open Doors vertritt die Ansicht, ein zentraler Grund für Gewalt gegen Christen sei der Islam an sich. „Es gibt keine Religionsf­reiheit im Islam selber“, sagte der Open Doors-Vorsitzend­e Markus Rode 2016 dem Deutschlan­dfunk, ähnliche Aussagen trifft er immer wieder. Vielen Vertretern der Amtskirche sind solche Aussagen zur islamische­n Religion zu verallgeme­inernd. (se)

 ?? FOTO: AFP ?? Ein Unterstütz­er der rechtsextr­emen und islamistis­chen Partei ASWJ hält bei einer Demonstrat­ion in der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad ein Bild der Christin Asia Bibi.
FOTO: AFP Ein Unterstütz­er der rechtsextr­emen und islamistis­chen Partei ASWJ hält bei einer Demonstrat­ion in der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad ein Bild der Christin Asia Bibi.

Newspapers in German

Newspapers from Germany