Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Heftige Kritik an Bahnplänen
Behinderte fühlen sich wegen Wegfalls der Barrierefreiheit „diskriminiert“
KISSLEGG (mag/jps) - Die Ankündigung der Bahn, ab Februar 2019 im Zuge anstehender Bauarbeiten die Barrierefreiheit am Bahnhof Kißlegg über mehrere Monate einschränken zu müssen, hat bei den Oberschwäbischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (OWB) in Kißlegg für heftigen Gegenwind gesorgt: „Wenn der Bahnhof auf längere Zeit nicht mehr barrierefrei ist, fühlen wir uns in unserer Möglichkeit der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft benachteiligt und diskriminiert“, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme des Werkstattrats. Unterdessen denkt die Bahn nun laut einem Sprecher über eine andere Übergangslösung nach. Ideen kommen auch vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Deutliche Kritik an Plänen der Bahn
Mit dem Werkstattrat hatte am Donnerstag die Behindertenvertretung der OWB die vor wenigen Tagen öffentlich gewordenen Pläne der Bahn debattiert. Das Ergebnis ist eine Stellungnahme, in der die davon Betroffenen deutliche Kritik üben. „Wenn man nur über einen sehr steilen und sehr hohen Fußgängersteg zu den Bahngleisen gelangen kann, ist das für Menschen mit einer Gehbehinderung sehr schwer oder gar nicht möglich“, schreiben sie. Aber nicht nur für sie: Gleiches gilt für Senioren mit Rollator, Pendler mit Fahrrädern oder Eltern mit Kinderwagen. Auch den von der Bahn gegebenen Hinweis auf den nächsten barrierefreien Bahnhof in Leutkirch lehnen sie ab: „Das ist unserer Meinung nach viel zu umständlich und mit einem enormen Mehraufwand verbunden.“
Auch der VCD hat sich in die Debatte eingeschaltet. Sein Alternativvorschlag lautet, für die Bauzeit einen schienengleichen Bahnübergang für Reisende mit Postensicherung über die bestehende Karrenüberfahrt bei der Güterhalle einzurichten, sagt Walter Siedow, Vorsitzender des Kreisverbands Ravensburg. Auch ein Übergang nach der Güterhalle am Ende des Mittelbahnsteigs sei während der Bauarbeiten denkbar.
Unterdessen deutet sich bei der Deutschen Bahn ein Umdenken an. Nach eigenen Angaben sucht sie derzeit nach einer Übergangslösung ab Februar und bittet noch um Geduld, wie ein Bahnsprecher auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilte. Als Lösung für mobilitätseingeschränkte Reisende hatte die Bahn den Bahnhof Leutkirch als Alternative vorgeschlagen – und um Verständnis geworben: So sagte ein Unternehmenssprecher: „Die DB bedauert, dass keine andere Lösung möglich ist und bittet um Verständnis für die Unannehmlichkeiten.“
Zur Erinnerung: Nach dem Aufbau des Fußgängerstegs hatte die Bahn zunächst mitgeteilt, die Barrierefreiheit am Bahnhof einschränken zu müssen. Der Grund: Eigentlich hätte bereits in diesem Jahr eine Unterführung mit Aufzügen am Bahnhof Kißlegg gebaut werden sollen – also vor den großen Bauarbeiten für die Elektrifizierung im kommenden Jahr. Trotz wiederholter Ausschreibung der Bauarbeiten sei jedoch kein geeignetes Angebot einer Firma eingegangen, erklärte ein Bahnsprecher weiter: „Das ist sehr ärgerlich und hat zu der misslichen Lage geführt. Wir konnten also nicht bauen. Stattdessen mussten wir auf das Jahr 2019 verschieben.“
Der Bahnhof Kißlegg wird 2019 einer der Bauschwerpunkte auf der Ausbaustrecke München-Lindau sein. Während der Streckensperrungen von April bis Oktober 2019 soll nun die Unterführung gebaut, der Oberbau des Gleises 3 und das Streckengleis in Richtung Wangen erneuert sowie die Oberleitungsanlage errichtet werden. Der Fußgängersteg ist übrigens wegen dieser geplanten Oberleitungsanlage so hoch. Die Gleise 1 und 2 müssen laut Bahn durchgängig als Baugleise genutzt werden.
Im September 2019 folgt eine weitere Änderung am Bahnhof Kißlegg, gleichzeitig mit dem Beginn der Elektrifizierung: Das Betriebspersonal wechselt nach Leutkirch. Von dort aus werden dann die Signalanlagen in Kißlegg ferngesteuert.
Den kompletten Wortlaut der Stellungnahme des OWB-Werkstattrats finden Sie online unter