Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Jetzt ist Merz im Rennen angekommen

Mit seinem Vorschlag zum Asylrecht macht der Kandidat Boden gut und zeigt, dass er am Puls der CDU ist

- Von Guido Bohsem

BERLIN - Spötter behaupten, dass Friedrich Merz auch deshalb so populär ist, weil jeder über 45 sich wieder 20 Jahre jünger fühlt, wenn er ihn hört. Die bisweilen schneidige Stimme, die klare Sprache, das – gerne mit dem Finger begleitete – Merz-Stakkato.

Auch provoziert hat Merz schon früher gerne. Von ihm stammt der Begriff der „gewachsene­n, freiheitli­chen deutschen Leitkultur“, an die sich Zuwanderer anpassen müssten, die auf Dauer hier leben wollen. Das Missverstä­ndnis, das sein Bierdeckel-Bild hervorrief, ließ er bewusst laufen. Er meint, dass jeder seine Steuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können solle. Verstanden wurde, dass die Steuererkl­ärung eines jeden auf einen Bierdeckel passen solle.

Eine kalkuliert­e Provokatio­n

In diesem Zusammenha­ng ist auch seine Bemerkung vom Mittwochab­end bei der CDU-Regionalko­nferenz in Dresden zu verstehen, über das individuel­le Asylrecht diskutiere­n zu wollen, das Deutschlan­d als einziges Land in Europa habe und das deshalb Schwierigk­eiten bereite. Seine Aussage kommt kalkuliert und ruhig. Ganz bewusst scheint Merz diesen Stein ins Wasser zu werfen, um mal zu testen, wo und wie die Wellen so ans Ufer schlagen. Das daraus entstehend­e Unverständ­nis und die wütenden Reaktionen dürfte er billigend in Kauf genommen haben. Er wiederholt seine Aussage bei der Regionalko­nferenz am Donnerstag­abend in Halle an der Saale – inklusive einer Spitze gegen Journalist­en, die ihn dafür kritisiert hatten.

Denn die Zweifel an der Tauglichke­it des individuel­len Asyls sind tatsächlic­h kein Phänomen der rechten Ecke der CDU. Im Gegenteil, es gibt sie auch bei Christdemo­kraten, die sich deutlich weiter links in der Partei befinden als Merz. Öffentlich gemacht hatte die Bedenken aber noch niemand, weil sie zu große Empörung erwarten ließen. Kein Wunder, dass sowohl Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r wie auch der andere Bewerber um den Parteivors­itz, Gesundheit­sminister Jens Spahn, sich von der Idee distanzier­ten: Kramp-Karrenbaue­r deutlich, Spahn eher in Nuancen.

Merz profiliert sich

Merz ist mit diesem Vorstoß endgültig wieder auf Betriebste­mperatur. Galt es am Anfang als ausgemacht, dass das Verfahren der Regionalko­nferenzen eher seiner Konkurrent­in auf den Parteivors­itz Annegret Kramp-Karrenbaue­r nutzen werde, hat sich das Bild nach der nunmehr vierten Regionalko­nferenz gedreht.

Von den Dreien, die Angela Merkel an der Spitze der CDU beerben wollen, ist es der 63-jährige Sauerlände­r, der am meisten von den Auftritten profitiert. Merz war nervös, als er in der vergangene­n Woche zum Start der Regionalko­nferenzen in Lübeck das erste Mal seit langen Jahren wieder vor eine größere Gruppe CDUMitglie­der trat und eine Rede hielt. Die Stimme verrutscht­e ihm, das Herz schlug offensicht­lich hoch. In diesen zehn Minuten ging manches daneben, zündete nicht.

Man darf davon ausgehen, dass ihm zu diesem Zeitpunkt das sichere Bauchgefüh­l von früher fehlte, das einen erfahrenen politische­n Redner die Applauspun­kte im Schlaf setzen lässt. Es fehlte dieses mächtige Gefühl, das sicher durch die Rede leitet, dem ganzen Vortrag Schwung verleiht und diesen Rausch auslöst, für den so viele Politikpro­fis leben.

Spätestens seit seinem Auftritt an diesem Donnerstag­abend in Halle kennt Merz die Temperatur des Ladens wieder ganz gut. Er hat sich eingefunde­n in die Pointen und Spitzen und Erklärunge­n seines Textes, hat die Gefühlslag­e der Partei wieder erfasst.

Zur entscheide­nden Rede auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird er wieder völlig drin sein.

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FOTO: DPA Bislang galt Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Favoritin auf den CDU-Vorsitz. Jetzt lässt ihr Konkurrent Friedrich Merz aufhorchen.

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