Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wie es nach der Brexit-Einigung weitergeht
Die Reise nach Brüssel hat sich gelohnt für Theresa May: Nach der Einigung mit der EU-Kommission auf eine Erklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit geht die britische Premierministerin gestärkt in die innenpolitische Auseinandersetzung um den vorläufigen Austrittsvertrag. „Ein guter Deal ist in greifbarer Nähe“, sagte Theresa May am Donnerstag im Unterhaus.
Die Regierungschefin war am Mittwochnachmittag in die Machtzentrale der EU gereist. Zwar brachte das zweistündige Gespräch mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch keinen Durchbruch. Über Nacht lag dann aber aber eine neue Version der politischen Erklärung vor. Sie umfasst nun 26 Seiten; der Entwurf von vergangener Woche war lediglich sieben Seiten lang. Jetzt muss May um Zustimmung im eigenen Land kämpfen. Bis zu der für den 10. Dezember geplanten Parlamentsabstimmung plant Mays Team eine PR-Offensive. Loyale Minister sind ausgeschwärmt, um mit dem Umweg über die Medien ihren BrexiteerKollegen ins Gewissen zu reden. Diese sollten sich bewusst sein, dass sie mit der Ablehnung von Mays Verhandlungspaket „Chaos verursachen“, sagte Finanzminister Philip Hammond auf ITV.
Entscheidend für May wird die Reaktion ihrer Fraktion sein. Die Hysterie auf der Parteirechten bleibt groß. Offen hat sich die „Europäische Forschungsgruppe“genannte Vereinigung von Brexit-Ultras mit der erzkonservativen Unionistenpartei DUP Nordirlands darauf verständigt, das Abkommen mit der verhassten EU zu Fall zu bringen.
Im Unterhaus wurde May deutlich freundlicher aufgenommen als vor Wochenfrist, als sie den Austrittsvertrag verteidigen musste. Während der mehr als zweistündigen Befragung meldeten sich immer wieder konservative Hinterbänkler zu Wort und sagten der Regierungschefin Unterstützung zu. Viele erinnerten wie Richard Graham an die pragmatische Grundhaltung der Bevölkerung: „Dieser Deal wird wohl von wenigen geliebt, aber die meisten können damit leben.“Die BrexitUltras in der Fraktion sind geschwächt durch den fehlgeschlagenen Putsch gegen May.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn sprach von „Geschwätz“und kündigte erneut die Ablehnung seiner Fraktion an. Sicher sei nur, dass die bis Ende 2020 geplante Übergangsperiode verlängert werden müsse. Ganz ähnlich äußerte sich die schottische Ministerpräsidentin, deren Nationalpartei SNP die drittgrößte Fraktion im Unterhaus bildet. Nicola Sturgeon sprach von „Einhörnern“ anstelle von Fakten über die zukünftige Zusammenarbeit: „Das ist ein blinder Brexit.“
Streitpunkt zweites Referendum
Eine wachsende Anzahl von Parlamentariern aller Parteien möchte sogar mittels eines zweiten Referendums den Brexit ganz aufhalten. Dazu zählt die konservative Ex-Staatssekretärin Anna Soubry: Bei dem Dokument handele es sich „lediglich um warme Worte, keine Gewissheit“. Tatsächlich muss das gesamte Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung am Sonntag von einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden. Zuvor will May am Samstag erneut nach Brüssel reisen, um mit Juncker etwaige Einwände zu besprechen. So hat sich etwa der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez ablehnend geäußert, weil Spaniens Ansprüchen auf Gibraltar nicht Genüge getan sei.