Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Reparaturbedürftig
Kaputte Züge, kein Personal, unpünktlich: Deutsche Bahn berät über Zukunftsstrategie
BERLIN - Wenn man viel Geld benötigt, malt man den Ernst der Lage gerne in besonders bedrohlichen Farben. So sickerten in den vergangenen Monaten immer wieder Schreckensmeldungen über den Zustand der Deutschen Bahn an die Öffentlichkeit durch. Das jüngste Beispiel dafür liefert ein Bericht des TV-Magazins „Kontraste“, veröffentlicht während einer entscheidenden Strategietagung von Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens. Danach fehlen der Bahn derzeit fast 5800 Fachleute, vor allem in den Instandhaltungswerken und im Führerstand der Lokomotiven. Repariert werden oft nur noch sicherheitsrelevante Teile der Züge, die oft monatelang mit kaputten Türen oder anderen leichten Malaisen weiterfahren. Nur jeder fünfte ICE sei voll funktionstüchtig, zitiert „Kontraste“einen internen Bericht der Bahn.
Von weiteren Symptomen der tiefen Krise der Deutschen Bahn können deren Kunden ein trauriges Lied singen. Neuerdings fahren zum Beispiel voll besetzt am Berliner Hauptbahnhof startende Züge am nächsten Halt in Spandau einfach durch, weil kein Passagier mehr mitgenommen werden kann. Und gerade einmal wenig mehr als sieben von zehn Zügen kommen pünktlich ans Ziel. Der Ausfall von Reservierungsanzeigern oder Kaffeemaschinen fällt dagegen schon gar nicht mehr ins Gewicht. All dies beraten die Aufsichtsräte des Konzerns bis zu diesem Freitagabend mit dem Vorstand, der auf einem rund 200 Seiten umfassenden Strategiepapier Wege aus dieser Krise skizziert. Dutzende Einzelmaßnahmen sind darin aufgeführt. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verlangt aber schnelle Erfolge. Spätestens im nächsten Frühjahr müssten in Sachen Pünktlichkeit Erfolge sichtbar werden.
Die Aufsichtsräte haben genügend Zündstoff für ihre Beratungen. Denn die Symptome werden durch tieferliegende Ursachen ausgelöst. Der Chef der Lokführergewerkschaft (GDL), Claus Weselsky befürchtet, dass die Bahn so lange kaputtgespart wurde, bis sie jetzt vor dem Kollaps steht. So gab er es „Kontraste“gegenüber zu Protokoll.
Bahnchef Richard Lutz weist einem Mangel dabei die Hauptschuld zu: Es fehle an Kapazitäten für mehr Verkehr auf den Schienenwegen. Vor allem die Knotenbahnhöfe in Hamburg, Köln, Frankfurt und Mannheim sowie München sind überlastet. Allein dadurch kommt die Hälfte der Verspätungen zustande. Weiter fehlen Züge, um das stark wachsende Passagieraufkommen zu bewältigen. Mehr und mehr macht sich auch der Personalmangel bemerkbar. Erkranken Lokführer, fallen Züge schon einmal ganz aus. Mittelfristig hat Lutz Vorstellungen, wie die Misere beendet werden kann, durch Investitionen in die Digitalisierung der Bahn und zusätzliche Züge. Doch beides kostet viel Geld. Darum geht es am Ende auch auf der Strategiesitzung. Fast fünf Milliarden Euro zusätzlich braucht die Bahn, wenn sie pünktlicher und effizienter werden soll. Die politischen Vorgaben sind zudem ehrgeizig. Bis zum Jahr 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste verdoppeln. Nur kann das Unternehmen die notwendigen Mittel nicht mehr allein aus den Gewinnen aufbringen. Der Konzern steht mit fast 20 Milliarden Euro in der Kreide. Bald ist die vom Parlament verordnete Schuldenobergrenze von 20,4 Milliarden Euro erreicht. Neue Kredite zur Finanzierung der Vorstandsstrategie verbieten sich daher.
Schon im Herbst hat Lutz mit einem Brandbrief an seine Führungskräfte viele Missstände im Unternehmen angeprangert und die Ausgaben der einzelnen Ressorts praktisch unter Beobachtung gestellt. Klamm ist die Bahn, weil zwar immer mehr Menschen mit ihr fahren, aber im Durchschnitt weniger dafür bezahlen. Auch schafft es das Unternehmen nicht, den Dauerverlustbringer Güterverkehr wieder nachhaltig in die schwarzen Zahlen zu bringen. Schließlich sind die Gewinne aus dem staatlich finanzierten Regionalverkehr im ersten Halbjahr regelrecht eingebrochen.
Vermarktung des Glasfasernetzes
Woher die nötigen Milliarden kommen könnten, wird wohl erst im kommenden Jahr entschieden. Es gibt mehrere Optionen. Naheliegend und vom Vorstand erwünscht ist eine Vermarktung des wertvollen Glasfasernetzes entlang der Schienenwege. Darüber könnte das superschnelle Internet weit in die Fläche hineingetragen werden. 18 000 Kilometer lang ist dieses Netz schon heute. Nur ein kleiner Teil der Kapazitäten wird von der Bahn selbst genutzt. Eine zweite Geldquelle wäre ein Teilverkauf der Spedition Schenker oder der britischen Tochter Arriva. Beide Unternehmen tragen erheblich zum Bahngewinn bei. Insbesondere Arriva, das Busse und Bahnen im europäischen Ausland betreibt, hat sich als lohnenswertes Engagement erwiesen. Die letzte Option ist, dass der Bund als Eigentümer der Bahn erneut Milliarden springen lässt.
Das ist wenig wahrscheinlich, weil auf den Steuerzahler ohnehin zusätzliche Ausgaben für die Bahn zukommen. Denn unabhängig von der Unternehmensstrategie kostet der Erhalt von Schienenwegen und die Sanierung maroder Brücken in den kommenden Jahren viel Geld. Dafür ist der Staat zuständig. Überdies soll das Netz digitalisiert werden. Nur dann können mehr Züge in kürzeren Abständen fahren. Das alles wird in einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung festgeschrieben, wohl im kommenden Jahr. Es liegt also nicht an der Bahn alleine, den Schienenverkehr zum modernsten und umweltfreundlichsten Verkehrsträger auszubauen.
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