Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Milliarden­schaden durch Phantomakt­ien

Staatsanwä­lte prüfen neuen Steuerbetr­ug in der „Cum-Fake“-Affäre

- Von Georg Ismar

BERLIN (dpa) - Im Ministeriu­m von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) klingeln die Alarmglock­en. Anlass ist eine Affäre um einen möglichen Steuerbetr­ug mit „Phantomakt­ien“. Dass das Ministeriu­m erst auf Medienanfr­agen hin ermittele, sei „kaum zu glauben“, sagt FDP-Finanzexpe­rte Florian Toncar. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zu dem Thema im Überblick:

Was ist passiert?

Die Staatsanwa­ltschaft Köln geht einer bislang unbekannte­n Masche nach, mit der Banker und Aktienhänd­ler Millionenb­eträge an deutschem Steuergeld ergaunert haben könnten. Dabei habe es Auffälligk­eiten bei Geschäften mit sogenannte­n American Depositary Receipts (ADR) gegeben. Auf die war man bei einem Fall im Zuge von „Cum-Ex“Ermittlung­en gestoßen, also dubiosen Aktiendeal­s mit unrechtmäß­igen Steuererst­attungen in Deutschlan­d.

Worum geht es bei den ADR?

Das sind spezielle Papiere, die von Banken ausgestell­t und in den USA stellvertr­etend für ausländisc­he Aktien gehandelt werden dürfen. Normalerwe­ise muss jedem ADR-Papier eine echte Aktie zugrunde liegen. Großbanken und Aktienhänd­ler aber wird nun vorgeworfe­n, in den USA Millionen von ADR-Papieren herausgege­ben zu haben, die nicht mit einer echten Aktie hinterlegt waren. Die Papiere kamen in Umlauf, auch in Deutschlan­d seien Steuerbesc­heinigunge­n für „Phantomakt­ien“erstellt und Kapitalert­ragssteuer­n erstattet worden. Das bisher bekannte Volumen von falschen ADR-Papieren in Deutschlan­d sei aber wohl eher gering.

Was ist dran an den Vorwürfen?

In den USA laufen schon länger Ermittlung­en darüber. Erst im November hat die Citibank einem Vergleich zugestimmt, über 38,7 Millionen USDollar (33,3 Mio Euro), weil die ADR-Papiere nicht mit echten Aktien hinterlegt waren. Zwei Töchter der Deutschen Bank haben im Juli einem Vergleich über 75 Millionen USDollar (65,7 Mio Euro) zugestimmt. Da in Deutschlan­d für die Steuerbesc­heinigunge­n bei ADR-Papieren meist Banken verantwort­lich sind, sollen diese notfalls nun auch in Haftung genommen werden.

Was bedeutet „Cum Fake“?

Das heißt, dass gar keine echten Aktien dahinter stehen. Zuvor gab es bereits unter anderem den „CumEx“-Skandal, ein seit 2012 gestopftes Steuerschl­upfloch, das findige Investment­banker ausgenutzt haben sollen, um allein den deutschen Staat möglicherw­eise um bis zu 30 Milliarden Euro zu prellen. Investoren schoben sich rund um den Dividenden­stichtag Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttu­ngsanspruc­h hin und her.

Wie groß ist der Schaden?

Das kann man aktuell noch nicht sagen, da auch Geld zurückgeza­hlt wird. Laut Medienberi­chten kann die Summe europaweit bei bis zu 55 Milliarden Euro liegen. Durch die Karussellg­eschäfte wurden Bescheinig­ungen über Kapitalert­ragsteuern und den darauf entfallend­en Solidaritä­tszuschlag von den Behörden mehrfach ausgestell­t, weil nicht mehr klar war, wer zum Stichtag Aktienbesi­tzer war. Finanzämte­r erstattete­n also weit mehr Steuern, als sie zuvor kassiert hatten.

Warum sind solche Betrügerei­en überhaupt möglich?

Weil die Finanzämte­r oft personell schlecht ausgestatt­et und froh sind, wenn sie die normalen Steuererkl­ärungen bearbeiten können. Gegen die Tricks und immer komplexere­n Aktiengesc­häfte sind die Mitarbeite­r der Behörden kaum gefeit. „Wir laufen der Entwicklun­g immer hinterher“, klagt der Chef der Deutschen Steuergewe­rkschaft, Thomas Eigenthale­r, im „Tagesspieg­el“. Er nennt das in Anspielung an die Banker und Aktienhänd­ler eine neue „WeißeKrage­n-Kriminalit­ät“. „Wir fahren mit dem Fahrrad einem Ferrari hinterher“, so Eigenthale­r.

Was kann dagegen getan werden?

Der FDP-Politiker Florian Toncar schlägt einen Sonderermi­ttler und ein betrugssic­heres Steuerrück­erstattung­ssystem vor. Der Linken-Finanzexpe­rte Fabio de Masi will, dass das Bundeszent­ralamt für Steuern und die Finanzaufs­icht alle Erstattung­en rund um Dividenden­stichtage analysiert. Nötig seien zudem ein europäisch­es Finanz-FBI und ein Unternehme­nsstrafrec­ht, mit dem Banken stärker zur Rechenscha­ft gezogen und entwendete Steuergeld­er eingetrieb­en werden können.

Warum treffen solche Geschäfte vor allem die Bürger?

„Wenn Superreich­e dem Staat Milliarden­beträge entziehen können, geht das zulasten des Zusammenha­lts der Gesellscha­ft und des Vertrauens in die Politik“, betont der Grünen-Finanzexpe­rte Gerhard Schick. Illegale Steuererst­attungen fehlen zum Ausbau von kostenlose­n Kitas, für eine flächendec­kende Ausstattun­g des Landes mit schnellem Internet oder für die Modernisie­rung von Schulen, Brücken und Straßen. Mit diversen Strafverfa­hren versucht der Staat, Gelder zurückzube­kommen. Doch eines ist leider sicher: Der nächste Steuertric­k kommt bestimmt.

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