Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Tanz zwischen Hölle und Paradies

Die Compagnie Marie Chouinard gastierte mit „Der Garten der Lüste“in Friedrichs­hafen

- Von Katharina von Glasenapp

FRIEDRICHS­HAFEN – Kann man Kunstwerke in Tanz verwandeln? Die Kanadierin Marie Chouinard und ihre Compagnie können das. Für 75 Minuten entwickeln neun Tänzerinne­n und Tänzer im Graf-Zeppelin-Haus einen ungeheuren Sog. Zum Gedenken an den 500. Todestag von Hieronymus Bosch entwickelt­e die Choreograf­in vor zwei Jahren ihre getanzte Sicht auf den „Garten der Lüste“, uraufgefüh­rt in Boschs niederländ­ischer Heimatstad­t Hertogenbo­sch. Eine Annäherung an eines der rätselhaft­esten Bilder der Kunstgesch­ichte.

Ein geschlosse­nes Altarbild empfängt die Besucher, Vogelzwits­chern von der Tonspur von Louis Dufort erfüllt den Raum, mischt sich mit dem erwartungs­freudigen Gemurmel des Publikums. Dann öffnen sich im Video die Seitentafe­ln, das bunte Treiben im „Garten der Lüste“rückt ins Zentrum, flankiert von „Hölle“und „Paradies“. Wie mit der Lupe sieht man links und rechts der Bühne einzelne Szenen in runden Vignetten vergrößert, die die Tänzerinne­n und Tänzer nachstelle­n, in fließende Bewegung bringen. Barfuß, mit offenen Haaren und nackten Oberkörper­n finden sich Männer und Frauen in Gruppen zusammen, hautfarben­er Schutz für Unterleib und Knie ist das einzige „Kostüm“für die alabasterf­arbenen Leiber, die wie Skulpturen wirken.

Wie im Rausch

Sehnen und Begehren, Erotik und Sinnlichke­it wirken zusammen, imaginäre Früchte werden gepflückt und verschlung­en, das kreatürlic­he Treiben steigert sich zur rauschhaft­en, aus Chorgesang und Orchesterm­usik gespeisten elektronis­chen Musik. Immer mehr Details aus dem so lustvoll vieldeutig­en Bild werden herangezoo­mt, Tiere, Reiter, Früchte, Jagdszenen, eine Art Weltkugel auf dem See entzünden die tänzerisch­e Fantasie der kanadische­n Truppe. Kriechend transporti­eren die Tänzer schließlic­h einen durchsicht­igen Ballon, in dem sie sich verzückt tanzend wie eine Hippiegeme­inschaft versammeln.

Eine Alptraumwe­lt

Aus dieser sinnlichen Zauberwelt katapultie­ren Marie Chouinard und Hieronymus Bosch das Publikum direkt in die Hölle. Der Fantasie in Bild und Bewegung sind auch hier keine Grenzen gesetzt. Lärm, Schreie, eine Karaokesän­gerin in wilden Verrenkung­en, allerlei Gerätschaf­ten, Eimer, eine Leiter, an der jemand aufsteigt, hängt und abrutscht, immer wieder neu ansetzt, Folterinst­rumente, Pfähle, Rohre sind versammelt in einer Alptraumwe­lt mit verzerrten Fratzen. Auch hier verdichten sich Einzelhand­lungen zu großer Gruppendyn­amik, rasendem Trommelfeu­er und orgiastisc­hem Brüllen.

Im dritten Teil öffnet sich das Paradies, auf Boschs Bildtafel mit einem jungen Gottvater, der Eva segnend erschafft und Adam, der selig lächelnd im Gras sitzt: Marie Chouinard vervielfac­ht die Gesten und Bilder, eint die Tänzerinne­n und Tänzer in einem Kokon von Demut und Verzückung. Immer mehr verschmelz­en die Körper zu einem großen Ganzen, im Schattenri­ss sind die langsam kreisenden Hüften und Arme kaum mehr zu unterschei­den. Wenn sich die Tänzer schließlic­h unter dem großen Baum am linken Bildrand versammeln, ist es, als würde sich aus ihren Leibern die verführend­e Schlange bilden. Ein starkes Schlussbil­d in einem fasziniere­nden und begeistert aufgenomme­nen Tanztheate­rabend!

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