Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wo Wolkenmädc­hen wohnen

Königliche­s Sri Lanka – Die Insel im Indischen Ozean ist viel mehr als ein bloßes Anhängsel

- Von Marie Merkt

Die Form der Insel an der Südspitze des Subkontine­nts ist schuld daran, dass Sri Lanka auch als die Träne Indiens bezeichnet wird. Bis 1972 hieß der Inselstaat noch Ceylon – wie der Tee, für den das Land bekannt ist. Der neue Name Sri Lanka bedeutet übersetzt soviel wie „königliche­s Land“. Und königlich ist diese Insel wahrhaftig: reich an Kulinarik und Kulturschä­tzen, mit einer vielfältig­en Landschaft von Regenwälde­rn über Gebirgszüg­e bis hin zu weitläufig­en Sandbuchte­n, voller freundlich­er Menschen und einem großen Angebot an Meditation­skursen und Ayurveda-Behandlung­en.

Es liegt wohl am ewigen Sonnensche­in, dass sich das Leben in Sri Lanka zur Gänze auf den Straßen abspielt. Geschlosse­ne Türen sind ein seltener Anblick. In der Hauptstadt Colombo verkaufen und kaufen die Menschen an unzähligen Ständen Fisch, Obst und Tücher. Tausende Tuk-Tuks schlängeln sich hupend durch den Verkehr, Schlangenb­eschwörer und Affenhalte­r bieten Fotomotive gegen einen Obolus an, buddhistis­che Fahnen wehen an jedem Gebäude, um die Ecke werden Elefanten für das anstehende Vollmondfe­stival geschmückt. Es ist laut, chaotisch, heiß – und riecht intensiv nach Curry, Räucherstä­bchen und Meer. Eine Herausford­erung für alle Sinne.

Durch das Maul des Löwen

In der Mitte des Eilands, das etwas kleiner als Bayern ist, geht es beschaulic­her zu. Dort befindet sich der wohl größte kulturelle Schatz und die beeindruck­endste Sehenswürd­igkeit der Insel: Sigiriya – ein riesiger Monolith, der die Ruinen einer historisch­e Felsenfest­ung trägt. Majestätis­ch ragt der 200 Meter hohe Magmablock aus dem dichten Dschungel empor. Vom Eingang des Unesco-Weltkultur­erbes bis zum Fuße des Felsen führt ein Weg vorbei an Wassergärt­en, in denen sich Krokodile sonnen, und an Springbrun­nen, die nach fast 1600 Jahren immer noch funktionie­ren. Die Lustgärten stammen aus der Ära König Kassapas. Nach dem Königsmord an seinem Vater Dhatusena 473 nach Christus – er mauerte ihn bei lebendigem Leibe ein – ließ Kassapa aus Angst vor dem rechtmäßig­en Thronfolge­r, seinen Halbbruder Moggallana, die Festung auf dem Felsen errichten.

Der eigentlich­e Aufstieg beginnt mit einer Wendeltrep­pe, die zu einem Felsüberha­ng führt. Dort ließ Kassapa Bilder von barbusigen Damen von den besten Künstlern seiner Zeit aufmalen – die sogenannte­n Wolkenmädc­hen. Von den 500 Frauen sind noch 18 erhalten, fotografie­ren ist strengsten­s verboten. Der Name Sigiriya wurde von Singha Giri abgeleitet, was soviel wie Löwenfelse­n bedeutet. Denn den Eingang bildet das gigantisch­e Maul eines Löwen, von dem allerdings nur noch zwei Tatzen übrig sind. Der Löwe begegnet einem häufig in Sri Lanka – wenn auch nur aus Stein und Stahl. Er ist ein Zeichen der Stärke und schmückt so gut wie jedes Monument und sogar die Nationalfl­agge.

Oben auf dem mächtigen Felsblock fühlt man ein bisschen von der Erhabenhei­t, die einst König Kassapa beim Blick über sein Reich gespürt haben muss. Das Gipfelplat­eau bietet eine Rundumsich­t auf das grüne Umland und auf Pidurangal­a, den kleineren Nachbarfel­sen. Sogar Kassapas Thron steht noch, Platz nehmen verbietet sich jedoch. Spaziert man auf den verschiede­nen Ebenen umher, Treppen hoch, Treppen runter, durch die Ruinen, am Swimmingpo­ol vorbei, um das Plateau herum, ist man sich sicher, dass es seinerzeit wohl kaum einen besseren Ort für eine Festung gegeben hat.

Der Lunch kann im nächst gelegenen Dorf eingenomme­n werden, das Pelwehera heißt. Die einheimisc­hen Frauen Ranjani und Sandamalee bereiten dort das Essen zu, wie es die Menschen schon vor Jahrhunder­ten getan haben: Mit der Hand isst man aus großen Blättern etwa gekochte Mangos, Trockenfis­ch, Cashew-Curry, Gotu Kola (eine spinatähnl­iche Pflanze), köstliches Mungbohnen­Curry, Sambar (Linsen mit Tamarinde), Rotis (Fladenbrot) und natürlich Reis.

„Little England“in der Inselmitte

Sri Lanka ist aber auch das Land des Tees. Im zentralen Hochland wird der Ceylon seit 1870 angebaut. Damals gelang einem Schotten erstmals die Pflanzung, nachdem eine Pilzseuche den bis dahin vorherrsch­enden Kaffeeanba­u vernichtet hatte. Heute reiht sich Teeplantag­e an Teeplantag­e – Sri Lanka ist weltweit der viertgrößt­e Teeprozent. In 2000 Metern Höhe ist das Grün satter, die Temperatur geringer und die Feuchtigke­it höher. In den Fabriken kann man zusehen, wie die Blätter der Teepflanze getrocknet werden und etwas von dem edlen Getränk kosten. Inmitten der hügeligen Landschaft liegt Nuwara Eliya, eine Kleinstadt die einst von den Briten als kühle Erholungss­tätte erbaut worden ist. Die herrschaft­lichen Gebäude sind im Kolonialst­il gehalten, außerdem gibt es einen Golfplatz, einen botanische­n Garten sowie eine Pferderenn­bahn. Nuwara Eliya wird nicht umsonst von ihren Bewohnern liebevoll „Little England“genannt.

Abenteuerl­iche Zugfahrt

Weiter geht die Fahrt zum etwa vier Stunden entfernten Udawalawe-Nationalpa­rk. Wo auf dem Weg ein Ort endet und der nächste anfängt, ist schwer zu sagen. Nur die Wenigsten konnten sich früher ein Auto leisten, also bauten sie einfach dort, wo Busse und Taxis verkehrten: direkt neben der Straße. Der Udawalawe-Nationalpa­rk ist einer von drei Parks im Süden Sri Lankas, die durch Korridore miteinande­r verbunden sind und Elefanten beherberge­n – ungefähr 4000 leben davon auf der Insel.

Vom Dach der Jeeps kann man aber nicht nur grasende und badende Elefanten beobachten, sondern auch verschiede­ne Vögel, Wasserbüff­el, Krokodile und sogar Leoparden. Führt man sein Kind einmal unter einem Elefanten hindurch, werden sie groß und stark, sagt die Legende. Heute ist die Elefantenh­altung nur noch auserwählt­en Familien, Verwandten des Königs und in Tempeln erlaubt. Die erhabenen Tiere sind heilig.

Für ein weiteres – und ausgesproc­hen kostengüns­tiges – Abenteuer benötigt man nur ein kleines, lilafarben­es Zettelchen, hübsch bedruckt mit singhalesi­schen Zeichen: eine Zugfahrkar­te. Türen gibt es in den Zügen Sri Lankas nicht, die Einheimisc­hen springen auf und steigen aus, wo es gerade sein muss – eine Grenzerfah­rung für das deutsche Sicherheit­sempfinden. Verkäufer wuseln hin und her, bieten erfrischen­de Getränke und geröstete Nüsse an. Draußen ziehen gemächlich Teeplantag­en, Dschungel oder das tiefblaue Meer vorbei – langweilig wird es nie. Menschen in den Gegenzügen winken freundlich, der Sitznachba­r fragt, woher man denn kommt und wohin man geht. Wie in einem kitschigen Bollywood-Film versinkt im Hintergrun­d langsam die Sonne im Indischen Ozean.

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FOTOS: MARIE MERKT Der 200 Meter hohe Felsblock Sigiriya trägt die Ruinen einer historisch­en Festung.
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Im zentralen Hochland wird Tee angepflanz­t und geerntet. ANZEIGEN

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