Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Essen aus der Mülltonne
„Containern“: Student Fabien entnimmt Nahrungsmittel aus Mülltonnen von Supermärkten
FRIEDRICHSHAFEN - Fabien isst, was Supermärkte wegwerfen. Deshalb schleicht er sich nachts in die Hinterhöfe der Geschäfte, um deren Container nach noch essbaren Dingen zu durchforsten. Diese Vorgehen wird „Containern“genannt. Der 23-Jährige Student will so etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun.
Fabien steht vor dem Zaun eines Supermarkts in Friedrichshafen und sieht sich vorsichtig um. Es ist kurz nach 22.30 Uhr – zu dieser Zeit haben die meisten Läden schon geschlossen und auch die Mitarbeiter sind schon zuhause. Fabien zögert nicht lange, springt über den Zaun, und läuft zu einer der Tonnen, die im Hinterhof des Supermarkts stehen. Er muss schnell sein, damit ihn keiner der Sicherheitsmänner entdeckt, die manchmal da sind. Schließlich ist das, was er tut, illegal.
Eigentlich ist das, was Fabien tut, illegal. Wer Lebensmittel aus der Supermarkttonne holt, begeht laut Christine Weiß, Pressesprecherin des Landgerichts Ravensburg, Diebstahl. „Im Regelfall gehört auch Abfall jemandem. Wird der Müll geklaut, kann das rechtlich gesehen unter Umständen Diebstahl einer geringwertigen Sache sein“, erklärt sie. Die Frage sei nur, inwiefern die Straftat wirklich verfolgt werde. Wer auf dem Weg zur Tonne über ein Tor oder einen Zaun klettert, riskiert laut Weiß sogar einen Diebstahl in besonders schwerem Fall. Laut Andreas Mathy, Pressestaatswanwalt der Staatsanwaltschaft in Konstanz, kann das Übersteigen des Zauns sogar unter Hausfriedensbruch laufen – vor allem „wenn der Supermarkt kein Interesse daran hat, dass man sich auf dem Grundstück aufhält“, sagt Mathy.
Viele Supermärkte schließen ihre Mülltonnen zudem ab. Bricht man diese auf, ist auch das ein Delikt. Die Supermärkte der Region wollten sich nicht äußern, wie sie mit „Containern“umgehen. Der Student ist überzeugt von dem, was er tut. An diesem späten Abend zieht sich der 23-Jährige wieder einen Handschuh an und öffnet langsam die schwarze Tonne, die vor ihm steht. Darin liegt neben fauligen Tomaten oder schimmeligen Zitronen, auch Gemüse, das noch essbar ist. Fabien greift nach einer Zwiebel und legt sie in seine Tüte zu einer Papaya, zwei reifen Bananen und einem Fenchel. Regelmäßig macht er sich so auf die Suche nach Lebensmitteln, die von den Supermärkten nicht mehr verkauft werden können. Entweder, weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist oder sie nicht mehr makellos frisch sind. Fabien ist an diesem Abend zufrieden. Nach rund fünf Minuten, schleicht der Student wieder in Richtung Zaun und radelt mit seiner Ausbeute heim – auch erleichtert, dass alles geklappt hat und er nicht erwischt worden ist. „Einmal hab ich einen Sicherheitsmann beim Supermarkt gesehen, kurz nachdem ich an einer der Mülltonnen am Supermarkt stand“, erzählt er. Er sei deshalb schnell zu seinem Fahrrad gegangen und weggefahren.
18 Millionen Tonnen landen im Müll
Laut der WWF-Studie „Das große Wegschmeißen“landen in Deutschland über 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln pro Jahr im Mülleimer. Aus der Studie geht hervor, dass jährlich 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaftet werden, nur um die darauf angebauten Produkte wieder zu wegzuwerfen. Hinzukommen unnötig freigesetzte Treibhausgasemissionen in Höhe von 48 Millionen Tonnen. Davon gehen rund 40 Prozent der verschwendeten Lebensmittel auf das Konto der Verbraucher. Die restlichen 60 Prozent seien den Produzenten, Supermärkten oder auch Restaurants zu verschulden.
Für Fabien ist das nicht nachvollziehbar. „Es ist wirklich krass, wie viele noch essbare Lebensmittel man in den Mülltonnen findet“, sagt er. Er habe eine Zeit lang bei der Entwicklungshilfe in Nepal gearbeitet. „Da hab ich gesehen, was wirklich Hunger ist und was die Leute dort aus ihrem Essen machen“, sagt er.