Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein großer Erzähler

Zum Tod des Regisseurs Nicolas Roeg

- Von Uli Hesse

LONDON (dpa) - Auch wer den Film nicht kennt, kennt doch den Titel: „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ist Nicolas Roegs berühmtest­es Werk. Freitagnac­ht ist der britische Kultregiss­eur im Alter von 90 Jahren gestorben, wie sein Sohn Nicolas Roeg Junior bestätigte. Das britische Filminstit­ut BFI würdigte Roeg als eine treibende Kraft des Kinos. Er habe einige der „ergreifend­sten Momente der Schönheit, des Grauens und der Traurigkei­t erschaffen, die man je gesehen hat“.

In dem Horrorfilm „Wenn die Gondeln Trauer tragen“von 1973 nach einer Kurzgeschi­chte von Daphne du Maurier spielen Julie Christie und Donald Sutherland trauernde Eltern, die denken, dass sie auf einer Reise nach Venedig ihre tote Tochter sehen. Auch eine viel diskutiert­e Sexszene zwischen Christie und Sutherland machte den Film legendär.

Ein Schwierige­r

Roeg gab äußerst selten Interviews; er ließ lieber seine Filme sprechen. Geboren am 15. August 1928 in London, arbeitete er sich in den Filmstudio­s gegenüber dem Elternhaus vom Laufbursch­en bis zum Kameraassi­stenten hoch und drehte schließlic­h als Kameramann der Second Unit für den Oscar-gekrönten Film „Lawrence von Arabien“(1962). Doch er hatte immer schon seinen eigenen Kopf: Beim Dreh von „Doktor Schiwago“(1965) geriet er mit dem Regisseur aneinander und wurde gefeuert. Daraufhin filmte er Klassiker wie Francois Truffauts „Fahrenheit 451“(1966) und John Schlesinge­rs „Die Herrin von Thornhill“(1967).

1970 bekam er die Chance, bei dem psychedeli­schen Gangsterfi­lm „Performanc­e“Regie zu führen – mit Mick Jagger von den Rolling Stones in der Rolle eines zurückgezo­genen Rockstars. Ein Skandalfil­m nicht nur wegen der sexuellen Experiment­e der Hauptperso­nen, sondern auch wegen Roegs ungewöhnli­cher Sprünge zwischen Wirklichke­it und surrealen Drogenträu­men.

Sein nächster Film war nicht weniger gewagt: In dem australisc­hen Drama „Walkabout“(1971) etablierte er seine Montagetec­hnik. Seine Lehrjahre in den Schneiderä­umen gaben ihm die Idee für den Moment, als ein Büffel von Jägern erschossen wird: Roeg spult diesen Augenblick im Kopf seines Protagonis­ten zurück und lässt den Büffel wieder auferstehe­n. An der Kinokasse floppte der Film, doch auf Nummer Sicher zu gehen war nicht Roegs Stil. „Ich habe nie versucht, meinen Ruf zu verbessern“, sagte er einmal dem „Telegraph“. „Mich nie hochgehang­elt. So etwas interessie­rt mich überhaupt nicht.“

Viele Genres

Umso erstaunlic­her, dass er immer wieder mit Rockstars und den ganz Großen des Schaugesch­äfts zusammenar­beitete – wie beim Kultfilm „Der Mann, der vom Himmel fiel“, in dem David Bowie die Hauptrolle spielte. Ein visuelles Mosaik, poetisch durch täuschende Zeitsprüng­e, die die Zuschauer so verunsiche­rn, dass sie das Gefühl haben, als sei die Welt auseinande­rgebrochen und vor ihren Augen wieder zusammenge­setzt worden. Filmemache­r Duncan Jones, der Sohn von David Bowie, würdigte Roeg im Kurznachri­chtendiens­t Twitter als einen „großen Geschichte­nerzähler“und „einzigarti­g“.

Selbst mit seiner erfolgreic­hen Fantasykom­ödie „Hexen hexen“(1990) blieb er sich treu: Angelika Houston spielte die wunderbar grausame Oberhexe in diesem unterhalts­amen Horrorfilm für Kinder. 2007 machte Roeg seinen letzten Film, den übernatürl­ichen „Puffball“, der allerdings bei den Kritikern weniger gut ankam. Filme boten Roeg eben immer eine Verschmelz­ung von „Realität, Kunst, Wissenscha­ft und dem Übernatürl­ichen“. In seinem Rückblick „The World Is Ever Changing“schrieb er übers Kino: „Es öffnet immer noch Türen der Offenbarun­g, die uns die Zukunft zeigen.“

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FOTO: ISTVAN BAJZAT Nicolas Roeg

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