Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Treffen Trumps mit Putin auf der Kippe
Matthias Platzeck warnt in der Ukraine-Krise vor voreiligen Schritten
MOSKAU/KIEW (dpa) - Angesichts des Ukraine-Konflikts droht ein Treffen der Präsidenten Russlands und der USA zu platzen. Donald Trump drohte, ein Gespräch mit Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Buenos Aires Ende der Woche abzusagen. Moskau geht davon aus, dass das Treffen stattfindet.
BERLIN - Petra Sorge befragte Matthias Platzeck (SPD), den Vorstandsvorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums, zur sich ausweitenden Krise zwischen Russland und der Ukraine.
Herr Platzeck, angesichts der Eskalation vor der Schwarzmeerhalbinsel Krim werden die Forderungen nach weiteren Strafmaßnahmen gegen Russland lauter. Sollten die Sanktionen jetzt verschärft werden?
Was Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt tut, ist völlig richtig: Beide Seiten müssen zur Deeskalation aufgerufen werden. Leider bauen sowohl die Ukraine als auch Russland derzeit intensiv am gegenseitigen Feindbild. Die Ukraine steht zudem vor Präsidentschaftswahlen, das wirkt nicht entspannend auf die Situation. Eine Verschärfung der Sanktionen wird nichts zur Lösung beitragen. Es besteht eher die Gefahr, dass wir etwas tun, was hinterher nicht rückgängig gemacht werden kann.
Aus westlicher Sicht aber hat Russland die Provokation begonnen. Wie sollte man darauf reagieren?
Gegenfrage: Wenn wir uns die seit Jahren bestehenden Sanktionen anschauen – was hat sich durch sie denn positiv verändert? Die militärische Eskalationsgefahr ist eklatant gewachsen. Die Stimmung in Russland ist antiwestlicher und nationalistischer geworden. Die wirtschaftlichen Beziehungen haben gravierend gelitten. Bei den politischen Verhältnissen stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Nichts hat sich verbessert.
Wie sollte die Staatengemeinschaft mit Russland umgehen?
Wir sollten die Kraft und Weitsicht haben, einen Schritt zurückzugehen, um aus der Eskalationsspirale herauszukommen. Das lehrt uns die Geschichte: 1968 hat die Sowjetunion brutal den Prager Frühling niedergeschlagen. Und was war kurz danach die Antwort des SPD-Bundeskanzlers? Willy Brandt hat 1969 und 1970 die Grundlagenvertragsverhandlungen mit der Sowjetunion geführt. Wandel durch Annäherung angeboten. Ein kluger, ein mutiger, fast paradox wirkender Schritt – er hat so damals den Frieden gesichert und Helsinki möglich gemacht.
In der Ukraine ist seit Dienstag das 30-tägige Kriegsrecht in Kraft. Hat das Minsker Friedensabkommen überhaupt noch eine Chance?
Das frage ich mich jeden Tag. Das traditionell sehr enge Verhältnis beider Länder – historisch, kulturell und teils auch familiär – ist bei vielen in Hass und Verachtung umgeschlagen. Das macht mir große Sorgen. Nach den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sollte Europa daher eine gemeinsame Initiative ergreifen, um die Sicherheitslage, die teils gefährlicher ist als im Kalten Krieg, wieder zu stabilisieren. Dafür brauchen wir eine Neuauflage der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), wie es sie 1975 mit der Helsinki-Konferenz und 1991 mit der Charta von Paris gab. Bei der ersten Helsinki-Konferenz war die Welt noch in zwei Lager gespalten, bei der zweiten dachte man, der Weltfrieden sei für immer ausgebrochen. Beides hat sich heute gravierend verändert. Eine dritte Friedenskonferenz sollte nun drängende Fragen zur Abrüstungskontrolle, der militärischen Sicherheit und der Konfliktlösung und des künftigen Umgangs miteinander klären.