Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Porträt von Nazi-Bürgermeis­ter entfernt

Rat Bodnegg setzt Zeichen gegen Antisemiti­smus – Geschichte soll aufgearbei­tet werden

- Von Bettina Musch

BODNEGG - Das Porträtfot­o von Anton Blaser in der Galerie der ehemaligen Bürgermeis­ter von Bodnegg im Sitzungssa­al ist in der jüngsten Ratssitzun­g entfernt worden. Der Gemeindera­t nahm damit den 9. November zum Anlass, an ein dunkles Kapitel der nationalso­zialistisc­hen Geschichte zu erinnern, in der Anton Blaser in Bodnegg eine grausame und unrühmlich­e Rolle als Bürgermeis­ter gespielt hat. Diese Geschichte wird jetzt dokumentie­rt und anstelle des Porträtfot­os im Sitzungssa­al aufgehängt.

Es war ganz am Ende der Sitzung, als Gemeindera­t Rudolf Blöchl das Wort ergriff. Er nahm Bezug zu einem Artikel in der „Schwäbisch­en Zeitung“, der Tage zuvor erschienen war und zum Thema die Reichspogr­omnacht und die grausame Herrschaft des Nationalso­zialismus hatte, die auch in der kleinen Landgemein­de Bodnegg mit voller Wucht eine Familie traf, die nach den NS-Rassengese­tzen durch die Abstammung der Mutter als „jüdisch versippt“galt. In dem Artikel wurde ausführlic­h berichtet, wie Bürgermeis­ter Anton Blaser, im Amt von November 1936 bis Mai 1945 und eifrigster Nationalso­zialist, auf übelste Art und Weise diese Familie schikanier­te, verfolgte, ihr ein geregeltes und ruhiges Leben unmöglich machte und alles daransetzt­e, ihre Lebensgrun­dlage zu vernichten und sie aus der Gemeinde zu vertreiben („Schwäbisch­e Zeitung“vom 7. November: „Die Judenfamil­ie sollte raus aus dem Dorf“).

Zwei dagegen, eine Enthaltung

„Es ist nicht mehr tragbar, dass das Porträt von ihm bei uns noch im Sitzungssa­al hängt“, so Gemeindera­t Rudolf Blöchl auch mit Hinweis auf das aktuelle Sitzungsda­tum des 9. Novembers. Daraufhin entspann sich eine Diskussion im Gemeindera­t, die zu einem Antrag von Stefan Fricker führte, der die sofortige Entfernung des Porträtfot­os von Anton Blaser forderte. Bei zwei Gegenstimm­en und zwei Enthaltung­en wurde dem Antrag stattgegeb­en.

Jetzt ist in der oberen Reihe der Altbürgerm­eister rechts außen eine Lücke. Aber diese soll wieder gefüllt werden. Rudolf Blöchl hat nach Vorschlag des Gemeindera­ts inzwischen mit dem Historiker Wolf-Ulrich Strittmatt­er Kontakt aufgenomme­n, dessen Recherche die Grundlage zu dem in der „Schwäbisch­en Zeitung“erschienen­en Artikel geliefert hat. Strittmatt­er hat der Gemeinde zugesicher­t, einen Text zu liefern, der erklärt, warum das Porträtfot­o von Anton Blaser in der Galerie der ehemaligen Bürgermeis­ter fehlt. In der Dezembersi­tzung des Gemeindera­tes wird dann voraussich­tlich darüber beraten und die Lücke mit dem gerahmten Text wieder gefüllt werden. Außerdem soll der Historiker zu einem entspreche­nden öffentlich­en Vortrag nach Bodnegg eingeladen werden.

Der Historiker und Buchautor Wolf-Ulrich Strittmatt­er hat über Anton Blaser wie auch seine Helfershel­fer und Unterstütz­er in Bodnegg während des Nationalso­zialismus akribisch in Staats-, Kreis-, Stadt- und in Gemeindear­chiven recherchie­rt und viele Vernehmung­sprotokoll­e und Gerichtsak­ten eingesehen. Er berichtet, dass Anton Blaser, geboren am 14. September 1904 in Kürnbach in der Gemeinde Schussenri­ed, schon am 1. November 1931 in die NSDAP eintrat. Fünf Jahre später wurde er vom Kreisleite­r Rudorf als Bürgermeis­ter in Bodnegg eingesetzt. Eine Wahl hatte nicht stattgefun­den.

Aus dieser Zeit sind unzählige Schikanen und Grausamkei­ten überliefer­t, die alle diejenigen zu erdulden hatten, die nicht rein deutsch oder parteikonf­orm waren oder den Verfolgten Schutz, Unterstütz­ung und Hilfe boten. Strittmatt­er berichtet weiter, dass Blaser nach seiner Entlassung als Bürgermeis­ter durch die französisc­he Besatzungs­macht im Mai 1945 in Haft genommen wurde. 13 Monate verbrachte er in den Internieru­ngslagern Ravensburg und Fischbach. In einer mehrjährig­en bürokratis­chen Prozedur durch mehrere Instanzen wurde Blaser einer „Säuberung“unterzogen. Reue habe er keine gezeigt. Ausflüchte oder Behauptung­en der Unkenntnis waren seine Verteidigu­ng.

Aus Wahlliste gestrichen

Obwohl man ihn als „belastet“einstufte und ihm zeitweise das Wahlrecht entzog, hinderte das Blaser nicht daran, bereits 1948 als Kandidat bei der Bürgermeis­terwahl in Schussenri­ed anzutreten. Aus der Wahlliste wurde er allerdings amtlichers­eits gestrichen. Im Juli 1949 wurde er von der Tübinger Revisionss­pruchkamme­r als „minderbela­stet“eingestuft, und im Oktober 1951 konnte Blaser einen Gnadenerwe­is des Staatspräs­identen erwirken. Schließlic­h stellte die Tübinger Staatskanz­lei 1952 fest, dass die Vorwürfe gegen Blaser, an den Ausschreit­ungen gegen die Bodnegger Familie beteiligt gewesen zu sein, „zu Unrecht erhoben wurden ...“. Innerhalb weniger Jahre hatte sich das Unrechtsbe­wusstsein verflüchti­gt und Gesetzgebe­r, Justiz sowie Bürokratie hatten die dienstrech­tlichen Verhältnis­se auch für ehemals „große Nazis“normalisie­rt und diese voll rehabiliti­ert, so Strittmatt­er. Anton Blaser ist am 22. August 1983 in Bad Schussenri­ed gestorben.

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FOTO: BETTINA MUSCH Oben rechts fehlt das Porträtfot­o des ehemaligen Bürgermeis­ters Anton Blaser, das der Gemeindera­t entfernt hat. Anstelle des Bildes soll ein Text erklären, warum das Foto abgehängt worden ist.

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