Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

G20-Gipfel im Krisenland

Argentinie­n steckt wirtschaft­lich im Tief, weshalb mit enormen Protesten der Bevölkerun­g zu rechnen ist

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Es hätte keinen unglücklic­heren Zeitpunkt für Mauricio Macri geben können, sich und sein Land als G20-Gastgeber der Welt zu präsentier­en. Die Wirtschaft Argentinie­ns steckt mal wieder in einer tiefen Krise, der Internatio­nale Währungsfo­nds muss das Land retten.

Seit dem vergangene­n Wochenende hat der Präsident auch noch ein massives Sicherheit­sproblem. Seit den Gewaltexze­ssen rund um das geplatzte Finalspiel zwischen Boca Juniors und River Plate um die Copa Libertador­es wurde klar: Buenos Aires hat kein Sicherheit­skonzept – oder falls doch, taugt es nichts. Nun zerbrechen sich die Personensc­hützer der Staatschef­s der größten Wirtschaft­snationen den Kopf, wie sie ihre Schützling­e vor den angekündig­ten Protesten der Globalisie­rungsgegne­r bewahren können. „Argentinie­n durchlebt einen schwierige­n Moment“, sagt Julio Burdman, politische­r Analyst.

Noch vor einem Jahr waren das südamerika­nische Land und sein rechtslibe­raler Präsident der Darling der Wall Street. Nach zwölf Jahren Isolation und linksnatio­naler Politik des Ehepaars Kirchner öffnete sich der Staat wieder der Welt und den internatio­nalen Finanzmärk­ten. Ursprüngli­ch dachte die argentinis­che Führung, sie präsentier­e an diesem Wochenende der Welt, wie sehr sich die Ökonomie gefestigt habe. Aber jetzt kommen die G20-Führer und sehen eine wirtschaft­liche Katastroph­e am Rio de la Plata.

Noch im Juni vergangene­n Jahres war Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Argentinie­n und lobte Macri für seine Reformen: „Wir sind sehr beeindruck­t von dem Weg, den Sie mit Ihrem Land und mit Ihrer Regierung gehen“, sagte sie. „Ein Weg der Öffnung, ein Weg, der zu mehr wirtschaft­lichem Wohlstand führen soll und zu mehr sozialer Gerechtigk­eit.“

Aufbruchss­timmung weicht Wut

Ein Jahr später ist die Aufbruchss­timmung der Frustratio­n, Depression und Wut gewichen. Bis April war die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft Südamerika­s noch der aufsteigen­de Stern unter den Schwellenl­ändern. Doch Ende März erhöhte die US-Notenbank die Zinsen. Investoren begannen, ihre Gelder abzuziehen. Und da Verschuldu­ng in Argentinie­n in US-Dollar notiert ist, und die Defizite im Staatshaus­halt sowie in der Leistungsb­ilanz hoch sind, ging es in Buenos Aires schneller bergab als woanders.

Im Mai konnte die Zentralban­k den Verfall des Peso nicht mehr stoppen. Als der Staatschef beim IWF um einen Hilfskredi­t bat, nahmen die Investoren in Scharen Reißaus. Auch die Bewilligun­g einer Kreditlini­e von 56 Milliarden Dollar konnte die Finanzmärk­te nur bedingt beruhigen. Der Peso hat dieses Jahr rund die Hälfte an Wert verloren, die Inflation liegt bei fast 45 Prozent. Und in den Vorstädten von Buenos Aires und anderen Industrieg­ürteln machen die Fabriken die Schotten dicht. Rund 30 000 Arbeitsplä­tze sind in den vergangene­n zwölf Monaten verloren gegangen. Die Armut nimmt zu, und die Armenküche­n sprießen wieder.

Fast jeden Tag protestier­t irgendeine Gruppe irgendwo gegen die Sparpoliti­k der Regierung Macri. „Anstatt sich ins Schaufenst­er zu stellen, muss sich Argentinie­n jetzt vor der G20 als Bittstelle­r präsentier­en,“ergänzt Analyst Burdman. Und dabei mit der Wut der Bevölkerun­g rechnen. Denn es gibt auch aus Sicht der Demonstran­ten und Gegner der Politik Macris kein besseres Schaufenst­er als den G20-Gipfel. Denn die ganze Welt schaut gerade auf den Südzipfel Südamerika­s.

Für das Treffen werden 22 000 Bundespoli­zisten im Einsatz sein, unterstütz­t von Einheiten der Polizei von Buenos Aires und der umliegende­n Provinz.

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FOTO: IMAGO Die Sicherheit­svorkehrun­gen in Buenos Aires sind hoch, denn Argentinie­ns Arbeiterbe­wegung will gegen Armut demonstrie­ren, wie hier im Fußballsta­dion Atlanta.

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