Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Gradmesser der Weltordnung
US-Präsident Trump hat wegen der Ukraine-Krise sein Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin abgesagt
BUENOS AIRES (dpa) - Unzählige bewaffnete Sicherheitskräfte und Zehntausende Demonstranten draußen, so viel politischer Zündstoff wie lange nicht mehr drinnen: Wenn heute die mächtigsten Frauen und Männer der Welt in Buenos Aires zu zweitägigen Beratungen zusammenkommen, wird es heiß hergehen. Im Mittelpunkt werden drei Krisen stehen:
Ukraine:
Die Eskalation vor der Küste der von Russland annektierten Krim hat dem Gipfel ein unerwartetes Topthema beschert. US-Präsident Donald Trump hat sein für Samstag geplantes Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin abgesagt. Er begründete die Entscheidung am Donnerstag auf Twitter damit, dass die von Russland festgenommenen ukrainischen Seeleute bisher nicht freigelassen worden seien. Das geplatzte Treffen dürfte auch das restliche Gipfelgeschehen massiv belasten.
Handelsstreit: Auch hier spielt Trump eine Hauptrolle. Mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping wird er über die Strafzölle reden, die er dem mächtigen Rivalen auf den Weltmärkten auferlegt hat. Und auch beim Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel dürfte es in erster Linie um dieses Thema gehen. Berichten zufolge könnte Trump schon in der nächsten Woche deutsche Autos mit Strafzöllen belegen. Ein eigentlich für diese Woche geplantes Treffen mit den Chefs von VW, BMW und Daimler kam nicht zustande.
Khashoggi-Affäre: Schon zwei Tage ● vor Gipfelbeginn traf der Teilnehmer in Buenos Aires ein, der es am G20-Tisch am schwersten haben wird. Jeder Schritt, jeder Handschlag, jedes Gespräch des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman wird genau beobachtet werden. Denn dass jemand mit den Mächtigsten der Welt verhandelt, der selbst verdächtigt wird, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben, ist ein Novum. Zum Tod des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul gibt es weiterhin erheblichen Erklärungsbedarf.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sich als Chefaufklärer in der Sache geriert, ist ebenfalls in Buenos Aires dabei. Gegen ein Treffen mit Salman hat er grundsätzlich nichts einzuwenden – anders als Trump, der das bereits ausgeschlossen hat.
Von Trump wird am Ende wohl wieder abhängen, ob der Gipfel zumindest kleine Teilerfolge bringt oder wie zuletzt der G7-Gipfel in Kanada Anfang Juni in einem Desaster endet. Damals kündigte der US-Präsident die mühsam ausgehandelte Abschlusserklärung nachträglich aus dem Flugzeug per Twitter auf. In zehn Jahren G20-Gipfel gab es bisher immer solche Kommuniqués. Diesmal ist das alles andere als sicher.
Das wird dann auch ein Gradmesser dafür sein, wie durchlöchert die auf internationalen Verträgen und Organisationen basierende Weltordnung nach zwei Jahren Trump schon ist. Kanzlerin Merkel hat in ihrer Bundestagsrede in der vergangenen Woche noch einmal ein flammendes Plädoyer für internationale Zusammenarbeit gehalten. „Deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken“, hielt sie den „Amerika zuerst“-Parolen Trumps entgegen.
Aber hört überhaupt noch jemand auf die Kanzlerin, nachdem sie ihren schrittweisen Rückzug aus der Politik verkündet hat? Merkel war bisher bei jedem G20-Gipfel dabei. In der Runde bringt wohl nur noch Putin so viel Erfahrung in der internationalen Politik mit wie sie. Und so etwas kann in solch bewegten Zeiten eigentlich ganz hilfreich sein.