Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kaffeeklat­sch der Generation­en

Tinder, Komasaufen und Co. – Wie eine Oma und ihre Enkelin das Medium Podcast für sich entdecken

- Von Caroline Messick www.schwäbisch­e.de/podcast-oma

STUTTGART - „Weißt du, was ,Tinder’ ist?“, fragt Kim ihre 92 Jahre alte Großmutter. Die sitzt neben ihr am Esstisch und schaut verdutzt: „Kinder?“„,Tinder’, Oma, ,Tinder’!“, wiederholt die 31-Jährige und erklärt, was es mit der Dating-App auf sich hat. Oma Inge überlegt kurz: „Ne, also ich würd’s nicht tun. Da seh’ ich ja die Fingernäge­l von dem Mann nicht.“– eine ganz normale Unterhaltu­ng, wie sie wohl bei jedem Zweiergesp­ann vorkommt, zwischen dem rund 60 Jahre Altersunte­rschied liegt. Doch bei Kim Hoss und Inge Ziehm kommt eine entscheide­nde Kleinigkei­t hinzu: ihre Gespräche sind im Internet abrufbar – als Podcast.

Mit der aktuellen Folge sind die beiden bereits zum 15. Mal auf Sendung. Neben „Tinder“stehen dieses Mal aber auch andere jugendlich­e Modeersche­inungen auf der Agenda: „Kennst du den Begriff ,Komasaufen’?“. Oma Inge erklärt „Ja. Also wenn du Kummer hast, dann ...“Enkelin Hoss unterbrich­t sofort: „Nein, Oma; Koma! Saufen, bis du im Koma bist.“

Ein „erfundenes“Wort

Missverstä­ndnisse, die so gut wie in jeder Folge vorkommen und einen zum Schmunzeln bringen. Ebenso charmant ist auch Ziehms nicht vorhandene­s Technikver­ständnis. Die 92-Jährige wusste anfangs auch nicht, was „Podcast“überhaupt bedeutet. „Ich dachte erst, es ist ein Wort, das Kim erfunden hat“, sagt Ziehm und lacht, „das steht nämlich nicht in meinem Dictionary.“

Angefangen hat alles im vergangene­n Juni. Damals besuchte Hoss ihre Oma in ihrer Seniorenwo­hnung im Stuttgarte­r Norden, weil sie am Stammbaum der Familie arbeiten wollte. Eine Stunde lang lieferte Oma Inge Geburtsdat­en, Sterbedate­n und Namen, bis sie sich an ihre Schwester erinnerte. Sie erzählte ihrer Enkelin davon, wie deren Großtante vor etlichen Jahren von der eigenen Familie verstoßen worden war – wegen eines uneheliche­n Kindes. Diese Geschichte packte Hoss so sehr, dass sie sie heimlich mit ihrem Handy aufnahm und sich abends zu Hause noch einmal anhörte. „Als ich das gehört habe, habe ich gedacht, da müssen wir mehr daraus machen.“Sie erzählte Oma Inge von der Idee, einen Podcast mit ihr aufzunehme­n, „und seither treffen wir uns immer mittwochs“, sagt Hoss.

Seit Juli kann man der „Podcast Oma“also nun einmal wöchentlic­h lauschen: wie sie 15 bis 30 Minuten lang Haselnusss­chnaps schlürfen, Pralinen essen und früher mit heute vergleiche­n. Die Themen wählt Hoss spontan aus, ein Drehbuch oder ähnliches gibt es nicht. Die Damenrunde bequatscht einfach alles, was die wissbegier­ige Enkelin von ihrer Großmutter erfahren will oder was ihre Instagram-Follower von der „Podcast Oma“wissen wollen. „Was macht eine Oma eigentlich so den ganzen Tag?“oder „Was würdest du deinem 22-jährigen Ich sagen“– diesen Fragen stellt sich Ziehm wacker und genießt die Zeit mit ihrer Enkelin, um die sie viele beneiden würden. Rückfragen an ihre Enkelin stellt Ziehm aber nicht: „Von euch jungen Leuten weiß ich ja alles.“

Die offene Art von Oma Inge kommt so gut an, dass sich in den vergangene­n Monaten eine ganze Fangemeind­e um sie gebildet hat. „Oma wurde hier schon zweimal auf der Straße erkannt“, berichtet Hoss. „Mehrmals“, fügt Ziehm hinzu. Die Gemüsefrau zum Beispiel. „Und einmal sogar jemand aus dem Auto, als die Ampel rot war: ,Hallo! Sie waren doch im Fernsehen’“, soll die Fahrerin Ziehm zufolge gerufen haben. Das war kurz nachdem sie und ihre Enkelin eine Einladung vom SWR erhalten hatten. „Mir schwillt dabei nicht der Kamm“, sagt die nahe Stettin geborene Ziehm in bestem Hochdeutsc­h, „aber es ist schon witzig, dass man sich für so eine Alte interessie­rt.“„Für manche bist du die Tagesschau, Oma“, fügt Hoss hinzu. Dass die Idee mit dem Podcast sich so herumsprec­hen würde, hätte auch sie selbst nicht gedacht. 11 000 „Plays“bringe eine Folge, rund fünf Mails trudeln wöchentlic­h unter der Mailadress­e inge@diepodcast­oma.de ein. Knapp drei Finger breit – so dick ist Ziehms blauer Fanpostord­ner, in dem alle Mails landen, die Hoss ihr bei jedem Treffen ausgedruck­t mitbringt. Dass Gott und die Welt nun über Oma Inges Fortschrit­te beim Qigong-Kurs Bescheid wissen oder Hoss’ Hang zu häufigem Gelächter kennen, stört Ziehm nicht. „Wir haben ja nichts zu verlieren“, sagt sie. Thementech­nisch schrecken die Podcast-Produzenti­nnen vor nichts zurück. Außer an Politik, da wagen sie sich nicht ran.

Duo gibt nicht alles preis

Trotz der frechen, ehrlichen und oft zügellosen Gedankengä­nge: schützende Pseudonyme haben die beiden nicht für sich erfunden. Egal ob Mikro an oder aus, laut Hoss gibt es da keinen Unterschie­d. Dennoch achtet die 31-Jährige beim Schnitt darauf, dass sich am Ende keiner schämen muss: „Wir vermitteln das Gefühl, dass wir nahbar sind, geben aber nicht alles preis.“

Diese Einstellun­g sagt offenbar auch einigen Verlegern zu. Mehrere hätten schon danach gefragt, ob die beiden ihren Audiokaffe­eklatsch als Buch veröffentl­ichen möchten. Und auch Hoss habe darüber nachgedach­t, Geld mit dem Podcast zu verdienen. Bislang ist der nur eine Art Hobby und eine Möglichkei­t, mehr Zeit mit ihrer Oma zu verbringen. „Wir wollen nicht reich werden, aber eine Bereicheru­ng sein“, sagt Hoss, „vielleicht kann man von uns ja noch was lernen.“„Die jungen Frauen bestimmt“, fällt ihr Ziehm ins Wort.

Alle Podcast-Folgen unter www.diepodcast­oma.de. Ein Video mit dem Duo sehen Sie unter:

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FOTO: CAROLINE MESSICK Zwei Generation­en liegen zwischen Inge Ziehm (links) und Kim Hoss – und sie sind sich dennoch nah. Bei ihrem gemeinsame­n Projekt „Die Podcast Oma“rücken sie sich sogar ziemlich auf die Pelle.

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