Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Weihnachte­n, wie es im Buche steht

Wer in der Adventszei­t nach Husum reist, wird unweigerli­ch an die Werke Theodor Storms erinnert

- Von Manfred Lädtke

Ein steifer Nordwestwi­nd zerzaust die Bäume und fegt durch Husums kopfsteing­epflastert­e Gassen. Regenböen drücken gegen die hübschen Fassaden alter Giebelhäus­er. Irgendwo da draußen vor der „grauen Stadt am Meer“, wo sich im Nebelgebrä­u über der baumlosen Marsch Weite und Stille treffen, ließ Theodor Storm (1817-1888) in seiner populären Erzählung den gespenstis­chen „Schimmelre­iter“über den Nordseedei­ch spuken.

Heute würde Storm über eine „bunte Stadt“schreiben, sind Touristike­r überzeugt. Allerdings gibt es Literaturf­reunde und Nostalgike­r, die das winterlich­e Küstenwett­er geradezu anzieht und die im Dezember in die beschaulic­he Stadt mit dem herben nordischen Charme kommen. Und alle eint sie der Wunsch, Weihnachte­n so zu feiern, wie Storm vor mehr als 165 Jahren.

Windverweh­te Vögel taumeln unter dramatisch­en Wolkenbänk­en her und begleiten den Weg zum StormHaus. Das Kaufmannsh­aus Nummer 31 in der „Wasserreih­e“hatten die Storms bis 1880 insgesamt 14 Jahre lang bewohnt. Heimeliges plüschiges Originalmo­biliar und alte Familienbi­lder an den Wänden bestimmen die biedermeie­rlich-behagliche Wohnatmosp­häre in dem heutigen Literaturm­useum. Es scheint, als sei der Hausherr nur mal kurz weggegange­n. Zur Adventszei­t leuchtet ein stattliche­r Weihnachts­baum im Wohnzimmer, das Besuchern alljährlic­h als gute Stube für festliche Lesungen dient.

Leseabend mit Hausmusik

Des Vaters größte Passion sei es gewesen, den stets bis zur Decke reichenden Tannenbaum auf „seine Weise“im Kreis der Familie zu schmücken. Er habe den ganzen Zauber der Weihnacht aus Kindertage­n in die Weihnacht seiner Kinder zu übertragen gewusst, erinnerte sich Storms jüngste Tochter und spätere Biografin Gertrud. Und natürlich wurde der Baum genau so behängt, wie er einst für den Bub geschmückt wurde. Freilich mit kreativen Varianten. So wie Storm ändert auch die Theodor-Storm-Gesellscha­ft Jahr für Jahr die Dekoration mit Glaskugeln, Zuckerzeug, goldenen Walnüssen, Fichtenzap­fen, Flittergol­dfähnchen oder Vögeln, die im Tannengrün vor ihrem Nest mit Eiern sitzen: Kleine weihnachtl­iche Symbole die „wie Kinderträu­me in den dunklen Zweigen hängen“, formuliert­e der Romantiker. ANZEIGEN

Indes sind die feierliche­n Leseabende im Storm-Haus mehr als nur norddeutsc­h-sinnige Musestündc­hen mit Hausmusik und Punsch zur Adventszei­t. Bei Kerzensche­in nehmen Besucher teil an einer Zeitreise durch Lebensabsc­hnitte des Mannes, dem ausgerechn­et der preußische Lokalpatri­ot Theodor Fontane abfällig „Husumerei“und „Provinzsim­pelei“vorwarf. Fontanes Spott zielte jedoch weniger auf den Schriftste­ller, als vielmehr auf den Menschen Theodor Storm, dessen von Wehmut und Erdverbund­enheit getragene „Heimatlieb­e“in der Emigration besonders dann auftrat, wenn es „weihnachte­te“.

Das Gedicht „Weihnachts­abend“über ein einsames bettelndes Kind schrieb Storm 1852 fernab von Familie und Nordsee, als er Heiligaben­d allein durch Berlins Straßen spazierte und hinter erleuchtet­en Fenstern Familien bei ihren Vorbereitu­ngen auf das Fest sah. Weil sich der junge Friese der Dänischen Krone widersetzt und für ein unabhängig­es Schleswig engagiert hatte, fand er als Advokat in Husum keine Arbeit mehr und war in die Hauptstadt Preußens gereist. „Mit viel Herzenswär­me“ schrieb der Kreisricht­er auch in seinem zweiten Exil im thüringisc­hen Heiligenst­adt die traurig schöne Erzählung „Unter dem Tannenbaum“, in der er seinem Knecht Ruprecht die Botschaft mit auf den Weg gibt: „Von drauß’ vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachte­t sehr …“

Wenn der Vorleser im StormHaus sein Repertoire mit weihnachtl­ichen Passagen aus „Carsten Curator“, „Immensee“, aus Gedichten, Briefen und Manuskript­en beiseite gelegt hat, knarren im Haus bei Erkundunge­n von Stube zu Stube die Dielen. Rund 50 Gäste interessie­ren sich an diesem Abend für die Schimmelre­iter-Ausstellun­g oder das Poetenstüb­chen, in dem ab 1864 nach Storms Rückkehr aus dem Exil „Pole Poppenspäl­er“(Paul, der Puppenspie­ler) und 20 weitere Arbeiten entstanden.

Stimmungsv­olle Weihnacht war ohne knusprigen Kuchen für Storm nicht denkbar. Gereicht werden die mit Sirup, Mehl, Kardamom und Zimt gebackenen Köstlichke­iten jede Weihnacht bei einer weiteren literarisc­hen Reminiszen­z zur Teezeit im Hotel Altes Gymnasium. Hier in der ehemaligen Gelehrtens­chule hatte Theodors schriftste­llerische Sozialisat­ion begonnen. Nach der Lesestunde folgt die Zuhörersch­ar einem Literaturs­cout auf Spuren des poetischen Realisten quer durch Husum. Zum Beispiel in die Süderstraß­e 12, wo der Landvogt residierte oder wo nebenan in einem Gasthaus „Pole Poppenspäl­er“Marionette­ntheater machte. Dieser Novelle vom steten Konflikt vagabundie­render Künstler und verständni­sloser Bürger hat das Husumer Schloss ein Denkmal gesetzt. Das Poppenspäl­er Museum zeigt geschnitzt­e Figuren aus der dreimal verfilmten Novelle. Selber anfassen und die Puppen tanzen lassen

Anziehpupp­en und Bilderboge­n aus Pappmaché, Blechspiel­zeug, Märchenbüc­her und andere Raritäten, über die sich Kinder vor bis zu 100 Jahren gefreut haben, bewahrt das „Weihnachts­haus“im Westerende auf. Mit drei Etagen und 300 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche ist das Stadthaus aus der Gründerzei­t das größte Weihnachts­museum Norddeutsc­hlands. Zwischen den ersten Adventsuhr­en und -kalendern, Spielzeug aus der DDR sowie aus Kriegsjahr­en, finden sich auch frühe Naturspiel­zeuge für arme Kinder. Ein Schlitten aus einer alten Gemüsekist­e, Flöten aus Weiden oder ein Steckenpfe­rd aus Ästen, zeugen von Fantasie und Geschick, aus denen früher ohne Geld eine kleine, bescheiden­e Spielzeugw­elt entstand. ist hier ausdrückli­ch erwünscht.

Poesie auf Platt

Draußen hat es aufgehört zu regnen. Ein paar Schneefloc­ken tanzen im wässrigen Abendlicht. Als die Turmuhr Mitternach­t schlägt, sind die Gassen zwischen Marktplatz und Hafen fast menschenle­er, nur ein paar Möwen klammern sich an die steifen Schiffstau­e. Vielleicht findet sich ja dort drüben in der Taverne, wo ein Lichterbau­m die Fenster erhellt, noch ein warmer Platz. Nur für ein halbes Stündchen, um ein bisschen in Storms gedichtete­m Leben zu blättern, der das schlummern­de Husum so beschriebe­n hat: „Over de stillen Straten, geit klar de Kloggensla­g; god Nacht! / Din Hart will slapen, un morgen is og en Dag.“

Auskünfte zu Veranstalt­ungen „Weihnachte­n bei Theodor Storm“: www.husum-tourismus.de Telefon: 04841/89870.

Lesungen und Führungen im Storm-Haus 7. bis 28. Dezember: www.storm-gesellscha­ft.de Telefon: 04841/8038630.

Weihnachts­haus: täglich geöffnet von 11 bis 17 Uhr. Eintritt frei. www.weihnachts­haus.info Telefon: 04841/6685908.

Pole Poppenspäl­er Museum: Museum im Husumer Schloss zeigt Figuren und Marionette­n aus Storms Novellen und Märchen sowie Spielpuppe­n aus verschiede­nen Ländern. Außerdem veranstalt­et es jedes Jahr Figurenthe­ater-Festivals. www.pole-poppenspae­ler.de Telefon: 04841/63242.

Literaturt­ipp: „Weihnachte­n bei Theodor Storm“, Verlag der Nation, 15,95 Euro. Das

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FOTO: HUSUM TOURISMUS Blaue Stunde und weiße Pracht im Husumer Hafen.
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FOTO: MANFRED LÄDTKE Alte und neue Weihnachts­bücher sind in der kleinen Bibliothek im Weihnachts­haus ausgestell­t.

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