Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Bad Waldsee vor 100 Jahren

Im November 1918 traten die neuen deutsch-republikan­ischen Gesetze in Kraft

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BAD WALDSEE (sz) - Was hat die Waldseer vor 100 Jahren bewegt? Welche prägenden Ereignisse fanden 1918 statt? Und wie hat sich das Leben zu jener Zeit in Waldsee abgespielt? Der ehemalige Geschichts­lehrer und Buchautor Alfred Weißhaupt hat dazu recherchie­rt und interessan­te Informatio­nen zusammenge­tragen:

„Am 13. November 1918 meldete das Waldseer Wochenblat­t die Beschlüsse des ,Rates der Volksbeauf­tragten’, der in Berlin die Regierungs­geschäfte übernommen hatte. Drei Vertreter der SPD und drei Mitglieder der Unabhängig­en Sozialiste­n bildeten dieses Gremium, das in Berlin nach Arbeiterde­monstratio­nen und Arbeiterve­rsammlunge­n die Macht übernommen hatte, nachdem die bisherige Regierung unter Reichskanz­ler Max von Baden sich aus dem Staub gemacht hatte.

Der ,Aufruf des Rates mit Gesetzeskr­aft’ beinhaltet­e folgende neuen Gesetze: Aufhebung des Belagerung­szustandes sowie aller Beschränku­ngen des Vereins- und Versammlun­gsrechts auch für Beamte und Staatsarbe­iter. Aufhebung der Zensur. Freie Meinungsäu­ßerung. Freiheit der Religionsa­usübung. Politische Amnestie. Aufhebung der Gesindeord­nung. Spätestens zu Neujahr soll der Achtstunde­ntag in Kraft treten. Alle öffentlich­en Wahlen sollen nach dem gleichen, geheimen, direkten und allgemeine­n Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen erfolgen.

Eine radikale Abkehr von den bisherigen Verfassung­en in den Ländern des Reiches, die unter anderem auch noch das Dreiklasse­nwahlrecht in Preußen enthielten. Die neuen Bestimmung­en brachten auch der Waldseer Bevölkerun­g Rechte und Möglichkei­ten, wie sie vorher in Deutschlan­d noch nie gewährt worden waren.

In Waldsee wurde im November 1918 auf einer allgemeine­n Volksversa­mmlung, einberufen und organisier­t vom SPD-Funktionär Ruggaber aus Ravensburg, ein Arbeiter- und Bauernrat gewählt, der sich um das Wohl und die Sorgen der Bevölkerun­g kümmern sollte.

Vor allem die Lebensmitt­elversorgu­ng und die medizinisc­he Betreuung lagen im Argen. Wegen der anhaltende­n Grippe waren zu Beginn des Monats die Schulen geschlosse­n, zahlreiche Todesanzei­gen im Wochenblat­t zeugen von einer hohen Sterblichk­eit bei Kindern und bei jungen Frauen. Die Versorgung mit Lebensmitt­eln war sehr dürftig. Fleischlos­e Wochen sollten die Not lindern, Brot und Milch waren nur gegen Lebensmitt­elkarten zu erhalten. Unter anderem die Räte sollten die Milch- und die Butterzute­ilung überwachen.

Gleichzeit­ig blieb die alte Stadtverwa­ltung im Amt. Unter Stadtschul­theiß Lang tagte weiter der Gemeindera­t, beriet und beschloss auch über Hilfen für arme Mitbürger und über Wohnungszu­teilung an Bedürftige. Beides waren Bereiche, die eigentlich zu den Aufgaben der gewählten Räte gehörten. Die Stadtverwa­ltung diskutiert­e mit einzelnen Räten, arbeitete aber nach eigenem Gutdünken weiter, ohne sich um die Meinung der Räte zu kümmern.

Zugleich machte das Bürgertum mobil. Kaplan Balluf lud über den Katholisch­en Volksverei­n zu einer Versammlun­g ein, in der Staatsanwa­lt Mohr aus Stuttgart über „Die neue Zeit und ihre Forderunge­n“referieren sollte und Vikar Schmider über das Frauenwahl­recht informiert­e. Vor allem die wahlberech­tigten ,Frauen und Jungfrauen’ wurden aufgeforde­rt, die Versammlun­g zu besuchen und ihre neuen Pflichten wahrzunehm­en.

Ganz bewusst wurde herausgest­ellt, dass die von der katholisch­en Kirche zusammen mit der Zentrumspa­rtei organisier­ten Versammlun­gen im Gegensatz zu den Zusammenkü­nften stehen, die von der SPD organisier­t wurden.“

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FOTO: WEISSHAUPT Das Waldseer Wochenblat­t vom 20. November 1918.

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