Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Rollende Augen, heilige Hände
Schwergewichtskampf zwischen Deontay Wilder und Tyson Fury endet unentschieden
LOS ANGELES (SID/dpa) - Tyson Fury küsste seinen linken Boxhandschuh und sprang in die Ringseile, siegessicher reckte der Skandal-Boxer mit einem Jubelschrei beide Fäuste in die Höhe – doch das böse Erwachen folgte schnell. Buhrufe hallten durch das Staples Center in Los Angeles, als nach dem spektakulären WM-Fight im Schwergewicht gegen Titelverteidiger Deontay Wilder das Urteil verkündet wurde. 115:111 für Wilder, 114:112 für Fury, 113:113 – das Duell zwischen dem weiter amtierenden WBCChampion Wilder (33 Jahre alt) und Klitschko-Bezwinger Fury (30) endete mit einem kontroversen Unentschieden. Beide Kämpfer blieben ungeschlagen. Wirklich zufrieden waren mit dem Ergebnis aber beide nicht.
Sowohl Fury als auch Wilder sahen sich als Sieger. „Wir beide sind große Kämpfer und haben unser ganzes Herz gegeben. Aber ich denke, dass ich den Fight durch die beiden Niederschläge gewonnen habe“, sagte Wilder, der Fury in den Runden neun (mit einem rechten Haken) und zwölf (mit einem linken) auf die Bretter geschickt hatte. „Ich habe seine Augen rollen gesehen. Da dachte ich, es ist vorbei.“Fury indes zweifelte trotz der Niederschläge nicht an seinem Triumph: „Ich bin zwar zweimal zu Boden gegangen, aber ich glaube trotzdem, dass ich gewonnen habe“sagte er. Bei den Ringrichtern und Boxern, aber auch Beobachtern gingen die Meinungen auseinander. Ex-Weltmeister George Foreman etwa sah Wilder im Vorteil, Lennox Lewis hingegen hätte Fury als den verdienten Sieger empfunden.
An der guten Show hatte indes niemand Zweifel. Fury zeigte eine prima boxerische Leistung, clever wich er dem gefürchteten Puncher Wilder (39 von 40 Siegen durch K.o.) immer wieder aus. Lediglich 17 Prozent der Schläge des US-Amerikaners landeten im Ziel. Im zunehmenden Kampfverlauf agierte Fury immer selbstbewusster. Bei seinen Niederschlägen zeigte Fury starke Nehmerqualitäten. Dass er in Runde zwölf nochmals aufstehen würde, schien im ersten Moment ausgeschlossen. „Heilige Hände“hätten über ihn gewacht, sagte Fury – aber: „Es war nicht das Ergebnis, das wir wollten. Ich werde deshalb nicht wie ein Baby weinen. Ich habe großen Kampfgeist gezeigt.“
Und das nicht zum ersten Mal. Aufstehen ist inzwischen eine der großen (li.) schickt Fury zu Boden, am Ende aber gibt es ein Remis.
Stärken des extrovertierten Briten. Die Bilder seiner dunklen Vergangenheit schossen ihm in den Stunden nach dem Kampf in den Kopf. Alkoholund Drogenexzesse, Depressionen, Dopingsperre, Übergewicht – nachdem er Wladimir Klitschko in Düsseldorf nach Punkten besiegt und vom Thron gestoßen hatte, nahm ein selbst im Profiboxen beispielloser Abstieg seinen Lauf. „Ich habe wie ein Rockstar gelebt, stand kurz vor dem Selbstmord“, sagte Fury: „Nicht viele haben an mich geglaubt, aber ich habe mich zurückgekämpft. Ich wollte der Welt zeigen, dass alles möglich ist.“
Er wolle nun erst einmal Weihnachten mit seiner Familie genießen
und im Januar Pläne schmieden. Die wahrscheinlichste Option ist ein Rückkampf gegen Wilder, für den sich beide Kämpfer aussprachen. Von einem Vereinigungskampf für Wilder gegen den Briten Anthony Joshua war zunächst keine Rede. Geht es nach Fury und seinem Promoter Frank Warren, steigt der Rückkampf in seiner Heimat Großbritannien. „Wir könnten Fußballstadien füllen“, sagte Warren, ehe ihm Fury ins Wort fiel: „Ins Old Trafford, komm’ schon, Frank.“
Eindruck in den USA hat Fury zweifellos hinterlassen. An seiner schrägen Interpretation von „American Pie“zum Abschluss seiner Pressekonferenz lag das allerdings nicht.