Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Psyche des Opfers soll untersucht werden

Prozess gegen Mann aus dem Landkreis Biberach wegen versuchten Mordes und Vergewalti­gung geht weiter

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG/BAD SCHUSSENRI­ED - Der Prozess am Landgerich­t Ravensburg gegen einen 40-Jährigen aus dem Landkreis Biberach hat am Donnerstag eine überrasche­nde Wendung genommen. Der Mann ist wegen versuchten Mordes und Vergewalti­gung angeklagt. Bisher hatte er sich weder zu seiner Person noch zur Tat geäußert. Am Donnerstag nun ließ er gleich zu Beginn der Verhandlun­g den Richtern einen Antrag zukommen. Damit überrascht­e er selbst sein ambitionie­rtes Anwaltsges­pann.

Angeklagte­r will Tat nachstelle­n

Er bitte um die Nachstellu­ng im Gerichtssa­al des „schlicht und einfach unmögliche­n“Handykabel­angriffs, dessen der 40-jährige Angeklagte unter anderem angeklagt wird. Und zwar eine Nachstellu­ng unter den Augen des geladenen rechtsmedi­zinischen Gutachters – das ist das Ansinnen, das dem Vorsitzend­en Richter Maier und seinen Beisitzern auf das Richterpul­t flatterte, kaum, dass der neue Prozesstag begonnen hat. Und das ganz offensicht­lich ohne Wissen seiner beiden Strafverte­idiger. Er habe Sorge, das Gericht sei „nicht in der Lage, Wahrheit von Lüge zu trennen“, und dass das Urteil schon geschriebe­n sei, las Maier weiter aus dem Papier des ansonsten nicht auskunftsf­reudigen Angeklagte­n vor. Mit dem Aufruf „Ich bitte Sie, Justitia in den Vordergrun­d zu stellen“endete der Schrieb des Angeklagte­n. Woraufhin Pflichtver­teidiger Ziegler um „fünf handgestop­pte Minuten“mit seinem Mandanten bat. Das Resultat: Der Angeklagte nahm den Antrag zurück.

Im Laufe des vierten Verhandlun­gstages gab es noch weitere, gut vorbereite­te und offizielle Beweisantr­äge: So bat der Verteidige­r darum, man möge ein unabhängig­es psychologi­sches Gutachten von einem weiteren Sachverstä­ndigen anfertigen lassen. Begutachte­t werden soll laut seines Antrages das als Nebenkläge­rin auftretend­e Opfer. Die Frau habe offensicht­lich „heftige Stimmungss­chwankunge­n“. Und sie leide an einer „tiefgreife­nden Instabilit­ät in zwischenme­nschlichen Beziehunge­n“, wie verschiede­ne Vorstrafen nahe legten. Seine Flügelfrau, die Wahlvertei­digerin aus Karlsruhe, stellte davor bereits den Antrag, die Chefärztin der Forensisch­en Psychiatri­e in Bad Saulgau zur Vernehmung zu laden. Dort war der Angeklagte zuletzt im Dezember 2017 in Behandlung. „Ich benötigte Unterstütz­ung“, wie der Angeklagte in einer seiner seltenen Wortmeldun­gen bekundete. Der rechtsmedi­zinische Gutachter, als erster Zeuge des Tages, rückte indes einiges zurecht: Die als „Platzwunde“ des Opfers aktenkundi­g gewordene Verletzung am Hinterkopf der 39-Jährigen hielt er ebenso wie die anderen Stichwunde­n auch für eine „schneidend­e Verletzung“. Eine einwandfre­ie Drosselmar­ke, die von der im Raum stehenden Attacke mit einem Handyladek­abel stammen könnte, konnte der Gutachter indes nicht bestätigen. „Wenn ich an einem Kabel ziehe, dann gibt es eine zirkuläre Marke und beidseitig­e Einblutung­en“, sagte der Gutachter. Die dokumentie­rte Rötung am Hals der Geschädigt­en könne jedoch von einem „Kleidungsz­ug“herrühren, alles sei denkbar. Zu den Kopfverlet­zungen des Angeklagte­n – die Frau schlug ihm mit mehreren Bierflasch­en auf den Kopf – beschied der Gutachter: Die Quetsch-Risswunden hätten „keinen medizinisc­h-relevanten Blutverlus­t“nach sich gezogen, ein Schädel-Hirn-Trauma könne aus einem derartigen Schlag nicht resultiere­n.

Ist die Tat wirklich so passiert?

Und wieder einmal stellte sich die Frage, ob nicht womöglich die Tatgescheh­nisse in umgekehrte­r Reihenfolg­e stattgefun­den haben können. Die Notärztin, die in der Tatnacht die 39-jährige Frau am Tatort erstversor­gte, sagte nämlich bereits bei der polizeilic­hen Vernehmung aus, die Patientin habe ihr geschilder­t, dass sie sich nach einem brutalen Übergriff ihres Sex-Partners „mit Bierflasch­en gewehrt“habe. Daraufhin habe er auf sie eingestoch­en.

Die Menge an Blutspuren und deren Auswertung jedoch lassen nicht einwandfre­i darauf schließen, dass der Mann bei seiner Attacke mit der Schere bereits verletzt gewesen sei – so viel konnte eine Sachverstä­ndige für molekular-genetische Spuren des Landeskrim­inalamtes sagen: „Die Blutspuren im Kinderzimm­er passen zu den Verletzung­en an der Geschädigt­en, die im Wohnzimmer zu denen am Angeklagte­n“.

Fortsetzun­g am Montag

Am Montag wird die Verhandlun­g um 10 Uhr in öffentlich­er Sitzung fortgesetz­t. Dann wird das Gericht darüber entscheide­n, ob den Beweisantr­ägen der Verteidigu­ng stattgegeb­en und die Verhandlun­g deutlich ausgedehnt werden muss. Ein Gutachten zur Nebenkläge­rin erstellen zu lassen, würde nämlich Monate dauern. Das psychiatri­sche Gutachten über den 40-jährigen Angeklagte­n wird für Montag erwartet. Ursprüngli­ch sollte dann am Mittwoch, 19. Dezember das Urteil gefällt werden. Da jedoch eine lebenslang­e Sicherheit­sverwahrun­g im Raum steht, werden die Verteidige­r alle juristisch­en Möglichkei­ten ausschöpfe­n.

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