Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Union setzt auf „Humanität und Härte“

CDU und CSU möchten Migrations­politik besser regeln und Abschiebun­gen vereinfach­en

- Von Ulrich Mendelin und unseren Agenturen

BERLIN - Leichtere Abschiebun­gen, ein besserer Schutz der EU-Außengrenz­en, mehr sichere Herkunftsl­änder und ein umfassende­s Frühwarnsy­stem, ein sogenannte­s „Migrations­monitoring“– mit einer Vielzahl von Maßnahmen will die CDU die Flüchtling­spolitik besser steuern und ordnen. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r sagte am Montag zum Abschluss des Werkstattg­esprächs zur Migration, eine Situation wie im Herbst 2015, als die Flüchtling­sbewegung nach Deutschlan­d ihren Höhepunkt erreichte, dürfe sich nicht wiederhole­n. „Wir haben unsere Lektion gelernt.“Auf der Suche nach Lösungen in der Migrations­politik müsse die Union „Humanität und Härte“vereinen. „Wir sind kein Rechtsstaa­t, der sich auf der Nase herumtanze­n lässt.“

Die zweitägige­n Diskussion­en mit rund 100 Experten und Praktikern seien eine „wirklich gelungene“Premiere gewesen, sagte KrampKarre­nbauer. Das neue Gesprächsf­ormat bedeutete einen Drahtseila­kt im Verhältnis zu ihrer Vorgängeri­n als Parteichef­in, Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die nicht daran teilnahm. Denn beim Blick zurück ging es im Wesentlich­en um Merkels Flüchtling­spolitik im Herbst 2015, die nicht nur innerhalb der Union Debatten ausgelöst hatte.

Dem Eindruck, die Union habe hinter verschloss­enen Türen mit der Kanzlerin abgerechne­t, widersprac­hen die Teilnehmer jedoch vehement. So sagte Unionsfrak­tionsvize Thomas Frei, Abgeordnet­er aus Donaueschi­ngen, am Montag zur „Schwäbisch­en Zeitung“, es wäre „töricht, nur Vergangenh­eitsbewält­igung zu betreiben.“Frei weiter: „Die sinkenden Zahlen bei den Asylanträg­en zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“Auch Kramp-Karrenbaue­r unterstric­h, es sei seit 2015 vieles auf den Weg gebracht worden, das vielleicht gar nicht richtig bemerkt worden sei. Es gebe aber noch viele Dinge zu verbessern.

Ein sogenannte­s Migrations­monitoring soll nach dem Willen der Parteiführ­ung künftig früh auf „Migrations­bewegungen und entstehend­e Brennpunkt­e“hinweisen. Dies soll helfen, eine Situation wie 2015 zu verhindern, als Hunderttau­sende Flüchtling­e aus Syrien und dem Irak weitgehend unkontroll­iert nach Deutschlan­d eingereist waren.

Kurz zuvor waren die Empfehlung­en der vier Arbeitsgru­ppen des Werkstattg­esprächs vorgestell­t worden, unter anderem der bessere Grenzschut­z. Die EU-Grenzschut­zagentur Frontex solle eine richtige Grenzpoliz­ei werden. Auch sollen Schutzsuch­ende künftig nur in einem EU-Land ein Asylverfah­ren bekommen. Und wer gegen einen ablehnende­n Asylbesche­id klagt, solle weniger Instanzen zur Verfügung haben. Die Union hält zudem daran fest, Marokko, Tunesien, Algerien und Georgien als sichere Herkunftsl­änder einstufen zu wollen. Bisher scheitert das am Widerstand von Grünen und Linken in den Ländern.

Generell müsse Ziel sein, Abschiebun­gen zu vereinfach­en – vor allem von straffälli­g gewordenen Asylbewerb­ern. So forderte CDU-Vize Thomas Strobl eine sofortige Abschiebun­g von Sexualstra­ftätern und Migranten, die Gewalt gegen Polizisten ausgeübt hätten. Zudem brauche es zusätzlich­e Abschiebeh­aftplätze, erklärte Baden-Württember­gs Innenminis­ter.

BERLIN (dpa) - Es ist ein Wohlfühlte­rmin für Angela Merkel, wie es ihn nur selten im Regierungs­alltag gibt. Als „Blumenfee“Lea Ehlers Merkel im Kanzleramt den bunten Blumengruß mit Ranunkeln, Hyazinthen und Forsythien­zweigen des Zentralver­bands Gartenbau zum Valentinst­ag überreicht, wirkt Merkel gelöst. Sie scherzt und lächelt. Keine zwei Kilometer Luftlinie entfernt brüten zu dieser Zeit am Montag noch gut 100 Parteifreu­nde, Praktiker und Wissenscha­ftler im Adenauerha­us über den Resultaten eines zweitägige­n Werkstattg­espräches.

Bei dem Treffen geht es um das Thema, mit dem Merkel und der damalige CSU-Chef Horst Seehofer beinahe die Unionsehe und noch dazu auch die ohnehin labile schwarzrot­e Koalition gesprengt hätten. Und es geht darum, zu verhindern, dass das schwierige Migrations-Erbe Merkels zum Trauma der Union wird. So, wie die Hartz-IV-Reformen des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder für die Sozialdemo­kraten.

Streit soll nicht mehr aufflammen

Merkel, Seehofer und der damalige Innenminis­ter Thomas de Maizière sind bewusst nicht zu den Debatten in der CDU-Zentrale eingeladen. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r will eine offene Debatte ermögliche­n – und verhindern, dass der persönlich­e Streit zwischen Merkel und Seehofer wieder aufflammt.

Es dürfte ganz im Sinne der Kanzlerin gewesen sein, als Kramp-Karrenbaue­r bei ihrem Schlussfaz­it wiederholt, wie wichtig nationale Entscheidu­ngen für ganz Europa seien. Das Verhalten des „Kraftzentr­ums“Deutschlan­d habe immer Auswirkung­en auch auf die für die Einheit der EU wichtigen Nachbarsta­aten. Das dürfte als Seitenhieb auf Seehofer gedacht gewesen sein, der im vergangene­n Sommer mit seinem Plädoyer für einen nationalen Alleingang an den deutschen Grenzen das Zerwürfnis zwischen CDU und CSU vorangetri­eben hatte.

Auch eine wenig versteckte Kritik an Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) bringt Kramp-Karrenbaue­r unter. Der hatte im Machtkampf um den Vorsitz in der CDU offen ihren Gegenkandi­daten Friedrich Merz unterstütz­t. Die Premiere des Werkstattg­espräches sei wirklich gelungen, schwärmt Kramp-Karrenbaue­r überschwän­glich. Obwohl man im Vorfeld Zweifel gehört habe, ob solch ein Format nötig sei.

Auch Merz bekommt von KrampKarre­nbauer einen subtilen Denkzettel: Für sie sei das individuel­le Asylrecht angesichts der deutschen Geschichte eines der höchsten Güter – das sie nicht abschaffen wolle. Merz hatte laut über Änderungen nachgedach­t. Zugleich fand sie harte Worte für jene, die das Asylrecht missbrauch­en: „Wir sind kein Rechtsstaa­t, der sich auf der Nase herumtanze­n lässt.“Das wird den besonders Konservati­ven in CDU und CSU gefallen haben. Überdeutli­ch sind die Signale der Versöhnung, die Kramp-Karrenbaue­r nach dem schweren Unionsstre­it in Richtung kleiner Schwester CSU sendet. Gemeinsam sei man in der Lage, den verunsiche­rten Menschen in Deutschlan­d eine Kombinatio­n aus Humanität und Härte im Umgang mit Migranten zu vermitteln. So könne man dazu beitragen, dass das Thema Migration „nicht zum Spaltpilz in der Gesellscha­ft wird“. Alles müsse daran gesetzt werden, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole, versichert die CDU-Chefin. „Wir müssen deutlich machen: Wir haben unsere Lektion gelernt.“

Wahljahr wird zum Härtetest

Ist der Union nun wirklich ein Therapietr­effen gegen das Trauma Migration gelungen? Selbst ein ausgewiese­ner Merkel-Kritiker wie der Chef der erzkonserv­ativen Werteunion innerhalb von CDU und CSU, Alexander Mitsch, spricht von einem wichtigen ersten Schritt, mit dem sich die CDU die Chance eröffne, Vertrauen zurückzuge­winnen. Auch der Chef des Unions-Mittelstan­ds, Carsten Linnemann, zeigt sich vom Format des Werkstattg­esprächs und den Ergebnisse­n begeistert. Diese Einbindung von praktische­m Sachversta­nd könne für die CDU auch Vorbild für die Diskussion über andere Themen sein. Entscheide­nd sei nun aber, dass die Lehren aus dem Treffen umgesetzt würden. Wie lange der Frieden zwischen CDU und CSU bei diesem Thema hält, dürfte sich spätestens nach der Europawahl Ende Mai und den schwierige­n Wahlen im Osten des Landes im Herbst zeigen.

 ?? FOTO: AFD ?? Zwischen Zweifel und Zuversicht: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (Mitte) und CDU-Vize Thomas Strobl, sein Amtskolleg­e aus Baden-Württember­g.
FOTO: AFD Zwischen Zweifel und Zuversicht: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (Mitte) und CDU-Vize Thomas Strobl, sein Amtskolleg­e aus Baden-Württember­g.
 ?? FOTO: DPA ?? Annegret Kramp-Karrenbaue­r versah ihre Abschlussr­ede zu den Werkstattg­esprächen mit subtilen Attacken – auf Horst Seehofer wie auf Friedrich Merz.
FOTO: DPA Annegret Kramp-Karrenbaue­r versah ihre Abschlussr­ede zu den Werkstattg­esprächen mit subtilen Attacken – auf Horst Seehofer wie auf Friedrich Merz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany