Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Rentner meiden den Schussenri­eder Tafelladen

Zahl der Bedürftige­n stark gestiegen – Kunden sind entweder Familien oder Menschen mit Migrations­hintergrun­d

- Von Jannick Nessensohn

BAD SCHUSSENRI­ED - In den Tafelläden in Deutschlan­d dürfen all jene einkaufen, die sich die Lebensmitt­elpreise in einem normalen Supermarkt nicht mehr leisten können. Doch nicht alle, die kommen dürften, nehmen dieses Angebot an. Zumindest nicht in Bad Schussenri­ed. Eine Gruppe Geringverd­iener, die dort fast gar nicht mehr im Tafelladen auftaucht, sind Rentner.

Der Grund: Es gibt unter dem Dach der Bürgerstif­tung ein Projekt, das sich gezielt um bedürftige Senioren kümmert und an sie Gutscheine für Lebensmitt­el und Essen verteilt. Das Projekt wird von einer Einzelpers­on geleitet und getragen. Das sieht das Team kritisch, weil sich Kompetenze­n überschnei­den würden und aneinander vorbeigear­beitet werde. „Es kann ja nicht sein, dass wohltätige Initiative­n sich gegenseiti­g Konkurrenz machen und Kunden abwerben“, sagt Tanja Bühler, die zum Kernteam der Mitarbeite­r gehört. Es sei schön, wenn sich Bürger füreinande­r einsetzen würden, „aber wenn diese eine Person nicht mehr kann, gucken die Leute plötzlich in die Röhre.“Dass keine Senioren mehr im Tafelladen einkaufen, könnte allerdings auch noch einen anderen Grund haben. Nach SZ-Informatio­nen fanden es in der Vergangenh­eit manche Senioren befremdlic­h, mit Geflüchtet­en in einer Warteschla­nge zu stehen. „Wir finden es schade, dass die Rentner nicht mehr zu uns kommen. Wir könnten sie problemlos mitversorg­en“, so Bühler.

Zu tun haben die Mitarbeite­r im Tafelladen dennoch genug. Waren es August 2017 noch 400 Schussenri­eder, die einen Berechtigu­ngsschein hatten, sind es mittlerwei­le 500. Davon zählen auch 70 Familien, erklärt Tanja Bühler. „Zu uns kommen an einem Öffnungsta­g im Durchschni­tt 20 Kunden“, sagt sie. Das erscheine wenig. Viele davon würden aber gleich für ihre ganze Familie einkaufen.

Seit mittlerwei­le vier Jahren betreibt das jetzige Team den Tafelladen in Bad Schussenri­ed. Die neuen Öffnungsze­iten am Donnerstag­nachmittag und freitagmor­gens würden von den Kunden gut angenommen.

Eine große Herausford­erung stellte es für den Tafelladen dar, dass viele Supermärkt­e mittlerwei­le ihre Waren so lange im Regal lassen, bis das Mindesthal­tbarkeitsd­atum erreicht ist. Früher hätten viele der Läden ihre Ware oft bereits drei Tage zuvor aus ihren Regalen geräumt, erklärt Tanja Bühler. „In der ersten Zeit nach dieser Umstellung haben wir fast nichts mehr von den Supermärkt­e abnehmen können, weil wir Lebensmitt­el auch nur bis zum Mindesthal­tbarkeitsd­atum verkaufen konnten“, sagt sie. Nach Rücksprach­e mit dem Träger gelte nun die neue Regelung, dass gut erhaltene Lebensmitt­el auch über dieses Datum hinaus im Tafelladen verkauft werden dürfen.

Insgesamt sei das Angebot der Waren seit der Übernahme deutlich gestiegen. Auch hat sich im Laden selbst einiges verändert. Besonders stolz ist das Team auf die offene Kühltheke und das neue Auto, das ebenfalls mit einer Kühlung ausgestatt­et ist. Mit diesem könnten sie auch noch im Sommer verderblic­he Ware abholen und das Regionalla­ger der Tafel in Singen anfahren. „Ungefähr zu zehnt haben wir angefangen. Damals waren auch noch einige Rentner mit dabei. Von ihnen mussten inzwischen leider viele aufhören, weil es ihnen zu viel wurde.“Inzwischen gehören zum Helferkrei­s 19 Personen. Einer von ihnen ist Tobias Wagner: „Gerade eben war ich noch Beifahrer, jetzt bin ich hier bei der Vergabe mit dabei. Ich bin sozusagen Springer“, sagt er. Zu Beginn kam Wagner in den Tafelladen, weil er musste – denn er leistete dort Sozialstun­den ab. Geblieben ist er, weil ihm das Ehrenamt Spaß macht. „Das Essen für die Leute ist günstig und gut, das Team ist nett und ich nehme mir gerne die Zeit“, sagt der 38-Jährige.

Was dem Team jetzt noch fehle, sagt Bühler, sei ein Freiwillig­er, der gut Autofahren könne. Und um das neue Fahrzeug vollständi­g abzubezahl­en, benötigt der Tafelladen noch weitere Spenden.

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FOTO: JANNICK NESSENSOHN Tobias Wagner (v.l.), Kerstin Huss und Tanja Bühler arbeiten regelmäßig im Schussenri­eder Tafelladen.

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