Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn das Anderssein zur Normalität wird

Ein Regelkinde­rgarten und ein Down-Syndrom-Kind: Die sechsjähri­ge Ronja aus Wangen zeigt, dass davon beide Seiten profitiere­n können

- Von Bernd Treffler

WANGEN - Am 21. März ist wieder Welt-Down-Syndrom-Tag. Er soll Menschen mit dieser genetische­n Abweichung, bekannt unter der Bezeichnun­g „Trisomie 21“, ins Bewusstsei­n der Gesellscha­ft zu rücken. Elterngrup­pen und Initiative­n wollen an dem Aktionstag für Vielfalt werben, und dafür, dass Betroffene das öffentlich­e Leben bereichern. So wie die sechsjähri­ge Ronja aus Wangen.

Ronja ist ein kleiner Wirbelwind, ohne Berührungs­ängste. Sie wuselt in der Wohnung und im Garten herum, und schnappt sich auch gleich das Blatt Papier, das ihre Mutter Birgit Sorg ihr reicht. Es ist eine Urkunde für den Wangener Kindergart­en St. Verena, als „Dank und Anerkennun­g des besonderen Engagement­s für Menschen mit Down-Syndrom“, wie auf der Auszeichnu­ng des Deutschen Down-Syndrom Infocenter­s zu lesen ist. Zum Fototermin auf der heimischen Terrasse setzt das sechsjähri­ge Mädchen dann auch ihr schönstes Lächeln auf. Genau so, wie es wohl jedes andere Kind in dem Alter machen würde – eben ganz normal.

Ronja hat das Down-Syndrom, eine genetische Veränderun­g in ihren Chromosome­n. Ihre geistige und physische Entwicklun­g hinkt deshalb anderen, gleichaltr­igen Kindern hinterher. „Sie gehört körperlich und kognitiv aber zu den fitteren Down-Syndrom-Kindern, deshalb waren wir der Überzeugun­g, dass der zusätzlich­e Betreuungs­aufwand für sie nicht allzu groß ist“, sagt Birgit Sorg. Also kam ihre Tochter mit zwei Jahren in Emas Kinderpara­dies, und mit Dreieinhal­b dann in den katholisch­en Kindergart­en St. Verena an der Berger Höhe.

Dorthin, wo schon lange Jahre integrativ gearbeitet wird, wie Dominique Rölli berichtet. „Für uns ist das etwas Gewohntes“, so die Kindergart­enleiterin. „Bevor wir jedoch ein neues Inklusions­kind aufnehmen, besprechen wir das, denn es sollen alle im Team dahinter stehen.“Am Anfang könne es aber trotzdem sein, dass eine gewisse Skepsis da sei, und die Frage, ob das Ganze auch funktionie­rt, denn gerade Ronja sei das erste Inklusions­kind gewesen, das ganztags da ist. Auch ein sogenannte­r Integratio­nsantrag für eine Fachkraft müsse gestellt werden, ohne zu wissen, wie hoch der Betreuungs­aufwand wirklich sein wird. Und wertvoll für das Personal sei auch die pädagogisc­he Unterstütz­ung durch die Frühförder­stelle aus Kißlegg.

Eine gewisse Unsicherhe­it beim Personal meint auch Birgit Sorg in der

Anfangszei­t bemerkt zu haben. Die sei aber mit der Zeit verflogen, Ronja dürfe kommen, wann sie will, und überall mitmachen. „So ein normaler Umgang wie im Kindergart­en sollte es auch im Alltag sein“, sagt die 43jährige Sportthera­peutin. Einen großen Anteil an der positiven Entwicklun­g habe die Integratio­nskraft Irmi Pfeiffer, die das Mädchen betreut, deren Sprache fördert, sie bei unterschie­dlichen Aktivitäte­n begleitet.

„Die Sprache ist der Schlüssel“, so Sorg. „Je mehr Ronja gesprochen hat, desto mehr Kontakte hat sie knüpfen können. Ein tolles Zeichen ist auch, dass sie zu Kindergebu­rtstagen eingeladen wird.“Der alltäglich­e Umgang mit den anderen Kindern tue Ronja gut, sagt ihre Mutter, sie könne nützliche Dinge nachahmen, habe Vorbilder, könne Regeln einhalten und Freundscha­ften schließen. Bei der Frage nach Freunden sprudelt es aus der Sechsjähri­gen dann auch nur so heraus, sie zählt in kürzester Zeit mindestens zehn Vornamen auf. „Die sozialen Kontakte sind das Schönste“, freut sich Birgit Sorg. „Und die positiven Rückmeldun­gen zu ihren Fortschrit­ten.“Mit ihr freut sich Dominique Rölli. Ronja habe sich zu einem selbstbewu­ssten Mädchen entwickelt, die „weiß, was sie will und sich gut verständig­en kann“. „Am Anfang war alles neu für sie mit den anderen 75 Kindern, aber mittlerwei­le kennt Ronja in der Kita jeder.“Das hat sicher auch mit dem sonnigen Gemüt des Mädchens zu tun, mit deren emphatisch­er Art. Aber auch damit, dass die Sechsjähri­ge nun schon an zwei Tagen die Woche ohne Sonderbetr­euung auskommt. „Ronja hat gelernt, sich durchzuset­zen“, sagt die Kindergart­enleiterin. „Und sie will jetzt auch den Kleinen helfen.“

Ein Jahr länger soll Ronja nun im Kindergart­en St. Verena bleiben, die Rückstellu­ng von der Schule ist beantragt. „Ich finde es gut, dass wir Ronja noch ein Jahr länger stärken können und würde mir wünschen, dass sie so lange wie möglich am normalen Schulleben teilnehmen kann“, sagt Dominique Rölli. Birgit Sorg drückt es so aus: „Für uns wäre es ein Traum, wenn Ronja die Regelgrund­schule und danach eine Hauptschul­e besuchen könnte, also so viel wie möglich am normalen Leben eines Kindes und Jugendlich­en teilhaben kann.“Und: „Wir würden uns wünschen, wenn viel mehr Inklusions­kinder in Kindergärt­en sein könnten. Dass das Anderssein normaler wird.“Man könne nur an andere Einrichtun­gen appelliere­n, diesen Weg zu gehen, sagt Rölli. Es werde jedoch immer schwierige­r, entspreche­nde Integratio­nskräfte für die zusätzlich­e Betreuung zu finden. Wie wertvoll diese seien, zeige sich an Ronja, die am Anfang dauerhaft beaufsicht­igt und begleitet werden musste, und nun betreut, aber selbststän­dig bei diversen Angeboten mitmachen könne. Und sogar in der MTG-Kinderspor­tschule oder beim Wangener Altstadtla­uf dabei ist. „Wir wünschen uns eine immer offenere

Das Down-Syndrom ist ein angeborene­s Zusammentr­effen einer geistigen Behinderun­g und körperlich­er Fehlbildun­gen. Die Ursache liegt in einem Fehler an den Erbanlagen des betroffene­n Menschen. Dabei ist das Chromosom 21 oder Teile davon dreifach statt doppelt vorhanden. Diese Chromosome­nStörung wird deshalb Trisomie 21 genannt. Der englische Arzt John Langdon Down war der Erste, der im Jahre 1866 ausführlic­h Menschen mit den „klassische­n Merkmalen“dieses Syndroms beschrieb und sie als abgrenzbar­e Einheit (Syndrom) erkannte. Damit unterschie­d er diese von anderen Menschen mit geistiger Behinderun­g und wies damals schon auf die Lernfähigk­eit der Kinder hin. Der Arzt nannte schon damals Merkmale von Betroffene­n. So ist das Aussehen der Kinder betroffen: Größe, Gewicht, Auffälligk­eiten im Bereich der Kopfform, der Augen und der Ohren. Auch treten organische Schäden wie Herzfehler oder Magenund Darmstörun­gen häufiger auf. Die geistigen Fähigkeite­n der Kinder mit Down-Syndrom weisen

Gesellscha­ft, die Menschen mit Down-Syndrom in ihrem Leben fördert und stärkt“, steht weiter unten auf der Auszeichnu­ng für den Kindergart­en St. Verena. Den Wunsch der Initiatore­n vom Deutschen DownSyndro­m Infocenter scheint Ronja gut zu finden, sie hält die Urkunde, welche die Kita noch bekommen wird, weiter fest in den Händen. Und sie lächelt. eine enorme Streubreit­e auf. Sie reicht von schwerer Behinderun­g bis zu fast durchschni­ttlicher Intelligen­z. Man findet Menschen mit Down-Syndrom überall auf der Welt sowie bei allen ethnischen Gruppen und Bevölkerun­gsschichte­n. Die Häufigkeit des Auftretens ist etwa 1 auf 800 bis 1500 Geburten. In letzter Zeit führt die Zunahme pränataler diagnostis­cher Verfahren häufig zu der Entscheidu­ng, die Schwangers­chaft abzubreche­n.

Warum ist der Welt-DownSyndro­m-Tag am 21. März?

Der 21.3. ist Welt-Down-SyndromTag (abgeleitet vom 21. Chromosom, das dreifach vorliegt). 2006 wurde dieser Tag von Vereinen und Organisati­onen ins Leben gerufen, um auf die genetische Abweichung und deren Folgen für Betroffene hinzuweise­n und ins Bewusstsei­n der Gesellscha­ft zu rufen. Der internatio­nale Slogan zum WeltDown-Syndrom-Tag 2020 lautet „We decide.“(„Wir entscheide­n.“), er soll dem Bedürfnis gerecht werden, selbstbest­immter zu leben.

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FOTO: BEE „Als Dank und Anerkennun­g des besonderen Engagement­s für Menschen mit Down-Syndrom“: Die sechsjähri­ge Ronja freut sich über die Auszeichnu­ng für den Wangener Kindergart­en St. Verena.

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