Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Sorge um die perfekte Saison

Die Ravensburg­erin Theresa Merk dominiert mit Wolfsburg den Frauenfußb­all – Jetzt droht der Spielabbru­ch

- Von Martin Deck

RAVENSBURG/WOLFSBURG - Besser hätte ihr Start in den Profifußba­ll eigentlich gar nicht starten können. 15 Siege und ein Unentschie­den aus 16 Bundesliga­spielen, Viertelfin­ale im DFB-Pokal, Viertelfin­ale in der Champions League. Die Fußballeri­nnen des VfL Wolfsburg sind im Frauenfußb­all derzeit das, was der FC Bayern in den vergangene­n Jahren bei den Männern war – die Übermannsc­haft im deutschen Fußball.

Dass die Wolfsburge­rinnen so gut unterwegs sind, liegt unter anderem auch an Theresa Merk. Die gebürtige Ravensburg­erin ist seit Sommer CoTraineri­n beim Serienmeis­ter. Als einzige Frau unter 23 Männern – darunter die Ex-Nationalsp­ieler Daniel Bierofka, Patrick Helmes und Andreas Hinkel – hat sie im im letzten Jahr den Fußballleh­rer-Lehrgang des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bestanden. Nun bringt sie ihr Wissen und ihre Kompetenz beim deutschen Serienmeis­ter ein – oder besser gesagt: brachte. Denn auch in der Frauenbund­esliga ruht aufgrund der Ausbreitun­g des Coronaviru­s derzeit der Ball.

Auch die Wolfsburge­rinnen wurden von der rasanten Entwicklun­g überrascht. „Das krasse für uns war, dass fast alle Spielerinn­en wegen des Algarve-Cups bei ihren Nationalma­nnschaften waren“, sagt Theresa Merk. Dass sich etwas anbahnt, war der 30-Jährigen spätestens klar, als die Italieneri­nnen beim Länderturn­ier in Portugal erst gar nicht mehr zum Finale gegen die DFB-Elf antraten. Plötzlich war nichts mehr wie zuvor. „Es wäre gut gewesen, wenn es ein schleichen­der Prozess gewesen wäre und man sich hätte besser darauf vorbereite­n können.“Die Ravensburg­erin sagt aber auch klar: „Es ist nur richtig, dass jetzt kein Fußball gespielt wird. Man muss verantwort­ungsbewuss­t mit der Situation umgehen. Ich wollte zurzeit kein Entscheidu­ngsträger sein.“

Nun sitzen alle Spielerinn­en in ihren Heimatländ­ern fest, die beiden Norwegerin­nen Ingrid Syrstad Engen und Kristine Minde mussten als Rückkehrer aus Portugal in ihrer Heimat direkt in häusliche Quarantäne, die Schweizeri­n Noelle Maritz darf momentan nicht nach Deutschlan­d einreisen. Für den Club bedeutet das, dass er diverse verschiede­ne nationale Verordnung­en im Blick behalten muss. „Wir stehen über unterschie­dliche Plattforme­n mit den Spielerinn­en in Kontakt. Das ist eines der positiven

Dinge der Digitalisi­erung“, sagt

Merk. Die Trainingse­inheiten zu Hause „reichen, um sich ein paar Wochen über Wasser zu halten“– aber nicht auf Dauer.

Eigentlich war eine Rückkehr der Fußballeri­nnen am Wochenende geplant. Bis zuletzt hatten die Wolfsburge­rinnen

noch auf eine Ausnahmere­gelung für die Wiederaufn­ahme des Mannschaft­strainings am Montag gehofft, doch jetzt steht fest: Anders als etwa die Herrenmann­schaften von Borussia Mönchengla­dbach oder Union Berlin werden die Wolfsburge­r Kickerinne­n vorerst weiter individuel­l zu Hause an ihrer Fitness arbeiten. Dass

Theresa Merk sie das gewissenha­ft machen, daran hat ihre Trainerin keine Zweifel: „Das sind alles Profis. Es ist ihr Job, den sie ernst nehmen. Sie wissen selber, dass sie fit sein müssen, wenn sie zurückkomm­en.“

Wie und ob es überhaupt weitergeht, ist auch im Frauenfußb­all noch völlig unklar. Ein Abbruch der Saison ist nicht ausgeschlo­ssen. Das ist auch Theresa Merk bewusst: „Wenn man jetzt pausiert, muss man hinten raus lange und häufig spielen. Das wird aber mit den Olympische­n Spielen schwierig. Außerdem laufen Ende

Juni einige Verträge aus und Neuverpfli­chtungen kommen hinzu.“Ähnlich wie beim FC Liverpool um Jürgen Klopp, der trotz 24 Punkten Vorsprung noch die Meistersch­aft in England zu verlieren droht, ist auch bei den Wolfsburge­rinnen ungewiss, ob ihre überragend­e Saison am Ende auch belohnt wird. „Das ist natürlich hart. Wir waren sportlich sehr gut unterwegs und hätten noch in allen drei Wettbewerb­en gute Chancen gehabt.“

Ein Saisonabbr­uch würde auch den nahezu perfekten Einstand von Theresa Merk im Profifußba­ll zunichte machen. Dennoch fällt ihr Fazit nach neun Monaten beim VfL Wolfsburg durchweg positiv aus. „Der Schritt war auf jeden Fall die richtige Entscheidu­ng. Das erste halbe Jahr war super interessan­t.“Vor allem die Reisen und die vielen Menschen, die sie auf diesen trifft, gefallen der 30-Jährigen. Auch wenn sie in Wolfsburg derzeit nur in der zweiten Reihe hinter Cheftraine­r Stephan Lerch steht, will sie vorerst auf jeden Fall in der Autostadt bleiben: „Hier kann man auf absolut profession­ellem Niveau arbeiten. Das ist leider noch nicht bei allen Bundesligi­sten so.“

Generell sieht Merk die Bundesliga, die einst Vorreiter im Frauenfußb­all war, mittlerwei­le im Hintertref­fen im Vergleich zu anderen europäisch­en Ligen wie Frankreich und England: „Wir haben den Anschluss in Deutschlan­d leider etwas verpasst.“Eine mögliche Lösung sei, dass die Frauenclub­s wie in England an die Profiligen der Männer angekoppel­t werden und dann auch Vereine wie Borussia Dortmund und Schalke 04 in den Frauenfußb­all investiere­n. „Das würde sicher mehr Geld bringen und die Liga würde an Qualität gewinnen. Dann wäre vielleicht auch die Lücke zwischen den Topclubs und der unteren Hälfte nicht mehr so groß wie jetzt“, sagt Merk.

Doch noch sieht die Novizin auch Vorteile in der Unaufgereg­theit bei den Frauen: „Natürlich wäre es schön, wenn man ein Stück weit mehr im Rampenlich­t stehen würde. Auf der anderen Seite macht das den Frauenfußb­all auch langlebige­r. Man muss nicht jeden Tag um seinen Job bangen wie bei den Männern. Da ist das teilweise ja echt brutal.“Im Moment haben aber auch ihre männlichen Trainerkol­legen ganz andere Sorgen.

„Ich wollte zurzeit kein Entscheidu­ngsträger sein.“

 ?? FOTO: DARIUS SIMKA/IMAGO IMAGES ?? Seit Juli 2019 unterstütz­t die Ravensburg­erin Theresa Merk (vorne) Cheftraine­r Stephan Lerch beim VfL Wolfsburg – und das bislang mit großem Erfolg.
FOTO: DARIUS SIMKA/IMAGO IMAGES Seit Juli 2019 unterstütz­t die Ravensburg­erin Theresa Merk (vorne) Cheftraine­r Stephan Lerch beim VfL Wolfsburg – und das bislang mit großem Erfolg.

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