Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Spanische Ausgangssperre hautnah
Der Alltag einer Biberacherin ist komplett anders – Deutsche Unbekümmertheit wundert
BIBERACH/SEVILLA - Neben Italien breitet sich auch in Spanien das Coronavirus massiv aus, weshalb die spanische Regierung drastische Maßnahmen ergriffen hat. Von der Ausgangssperre ist auch die Ringschnaiterin Claudia Dobler betroffen, die seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Sevilla (Andalusien) lebt. Die 45-Jährige wundert sich, dass Deutschland diesen harten Schnitt bislang nicht macht.
„Im Augenblick geht es noch, aber irgendwann kommt sicherlich der Lagerkoller“, schildert Claudia Dobler im telefonischen Gespräch. Die Redaktion spricht mit ihr am Festnetz, weil die Spanier angehalten sind, die Kommunikation via Whatsapp und andere Internet-Dienste einzuschränken. Das Internet komme an seine Kapazitätsgrenzen, sagt Claudia Dobler, die seit 2003 in Spanien lebt. Sie hofft, dass es nicht vollends ausfällt, weil es für viele derzeit die letzte Möglichkeit ist, dem beschnittenen Alltag zumindest etwas zu entfliehen.
Nach der Schließung der Kindergärten und Schulen hat Spanien für seine Bürger eine Ausgangssperre verhängt. „Seit Freitag sind wir im Haus“, sagt Claudia Dobler. Hunde dürften zur Verrichtung ihres Geschäfts nur ganz kurz an die frische Luft. Wichtige Besorgungen darf jeweils nur ein Familienmitglied erledigen: „Alle Aktivitäten im Freien werden konsequent unterbunden. Die Polizei fährt Streife und kontrolliert.“Wer zum Beispiel zum Arzt müsse, müsse das mittels einer App nachweisen. Wer zu Arbeit fährt, braucht eine Bestätigung des Arbeitgebers: „Die Presse berichtet täglich darüber, welche Strafen bei Missachtung drohen.“600 bis 3000 Euro würden fällig.
Und trotzdem gebe es Menschen, die die Regeln brechen. „Das verärgert die, die sich daranhalten, natürlich sehr“, sagt die 45-Jährige. Die Wohnsituation sei nicht vergleichbar mit jener im Kreis Biberach, wo viele Familien in Einfamilienhäusern lebten. In Sevilla hockten viele Familien teils in dunklen, beengten Wohnungen: „Eigentlich spielt sich für die Sevillaner das Leben auf der Straße ab. Für sie ist es eine extreme Umstellung.“Auch Claudia Dobler hat eine kleinere Wohnung – doch beschweren möchte sie sich nicht: „Meine Kinder sind zum Glück schon zehn und 13 Jahre alt. Sie haben Aufgaben von der Schule bekommen und verstehen die Situation zumindest etwas.“Mütter mit Kleinkindern hätten es deutlich schwerer.
Claudia Dobler musste keinen Urlaub nehmen, um bei ihren Kindern sein zu können. Denn sie arbeitet als Fremdenführerin. Von heute auf morgen ist ihr die Geschäftsgrundlage
weggebrochen. „Entweder stornieren die Kunden ihre Aufträge oder ich mache es“, sagt die 45-Jährige. Ihr Mann sei Beamter, weshalb ein Gehalt zumindest vorerst gesichert sei. Viele Familien treffe es deutlich härter, auch, weil die Region noch immer durch die Folgen der Finanzkrise 2008/2009 belastet ist.
„Die zwei größten Industriebetriebe und fast der gesamte Tourismussektor stellen Mitarbeiter aus und die Dienstleister haben keine Aufträge mehr“, sagt Dobler. Jetzt, im Frühjahr, stünden mit der Semana Santa und der Feria de Abril die wichtigsten Feste der Stadt an. „Für viele bricht die Haupteinnahmequelle des Jahres weg“, sagt die Ringschnaiterin. Sie und ihre Kollegen rechneten mit einer Rückkehr der Touristen frühestens im Herbst: „Soziale Sicherungssysteme wie in Deutschland gibt es nicht. Eigentlich hilft man sich innerhalb der Familie. Aber wenn keiner mehr etwas verdient, kann keiner mehr helfen.“
Alle in Spanien hoffen nun, dass die strikten Maßnahmen die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen. „Viele haben Angst vor Zuständen wie in Italien“, sagt Claudia Dobler. Wie die Situation an spanischen Krankenhäusern sei, könne sie von außen nicht beurteilen. Ärzte machten unterschiedliche Angaben. Sie glaubt aber, dass viele die Heftigkeit der Ausbreitung unterschätzt hätten. Besonders bewegend sei ein Moment am Abend: Viele Spanier treten um 20 Uhr an die Fenster und klatschen Beifall für die Ärzte und Pfleger.
Es sei für jede Familie ein emotionaler Moment, sagt die 45-Jährige hörbar bewegt: „Du steht am Fenster oder auf dem Balkon und sieht einmal am Tag deine Nachbarn und weißt: Du bist nicht allein in dieser belastenden Zeit.“Aktionen in den sozialen Netzwerken machten zudem Mut. Umso unwirklicher wirken auf sie die Schilderungen aus Deutschland. Gedränge vor Eisdielen am Wochenende, gut besuchte Innenstädte und selbst organisierte Kinderbetreuungen lassen die Ringschnaiterin daran zweifeln, ob die Menschen im Kreis Biberach den Ernst der Lage verstanden hätten.
„Viele haben mich am Wochenende angerufen und gefragt, was sie hamstern sollten“, schildert Claudia Dobler. Sie hat Nichts auf Vorrat eingekauft, Engpässe in den spanischen Supermärkten halten sich in Grenzen. Wichtig sei nicht zu hamstern, sondern einfach zu Hause zu bleiben: „Deutschland müsste viel härter durchgreifen.“Die Sorge in Spanien – eine der beliebtesten Urlaubsregionen der Deutschen – sei groß, dass Touristen das Coronavirus immer wieder einschleppen könnten.