Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Spanische Ausgangssp­erre hautnah

Der Alltag einer Biberacher­in ist komplett anders – Deutsche Unbekümmer­theit wundert

- Von Daniel Häfele

BIBERACH/SEVILLA - Neben Italien breitet sich auch in Spanien das Coronaviru­s massiv aus, weshalb die spanische Regierung drastische Maßnahmen ergriffen hat. Von der Ausgangssp­erre ist auch die Ringschnai­terin Claudia Dobler betroffen, die seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Sevilla (Andalusien) lebt. Die 45-Jährige wundert sich, dass Deutschlan­d diesen harten Schnitt bislang nicht macht.

„Im Augenblick geht es noch, aber irgendwann kommt sicherlich der Lagerkolle­r“, schildert Claudia Dobler im telefonisc­hen Gespräch. Die Redaktion spricht mit ihr am Festnetz, weil die Spanier angehalten sind, die Kommunikat­ion via Whatsapp und andere Internet-Dienste einzuschrä­nken. Das Internet komme an seine Kapazitäts­grenzen, sagt Claudia Dobler, die seit 2003 in Spanien lebt. Sie hofft, dass es nicht vollends ausfällt, weil es für viele derzeit die letzte Möglichkei­t ist, dem beschnitte­nen Alltag zumindest etwas zu entfliehen.

Nach der Schließung der Kindergärt­en und Schulen hat Spanien für seine Bürger eine Ausgangssp­erre verhängt. „Seit Freitag sind wir im Haus“, sagt Claudia Dobler. Hunde dürften zur Verrichtun­g ihres Geschäfts nur ganz kurz an die frische Luft. Wichtige Besorgunge­n darf jeweils nur ein Familienmi­tglied erledigen: „Alle Aktivitäte­n im Freien werden konsequent unterbunde­n. Die Polizei fährt Streife und kontrollie­rt.“Wer zum Beispiel zum Arzt müsse, müsse das mittels einer App nachweisen. Wer zu Arbeit fährt, braucht eine Bestätigun­g des Arbeitgebe­rs: „Die Presse berichtet täglich darüber, welche Strafen bei Missachtun­g drohen.“600 bis 3000 Euro würden fällig.

Und trotzdem gebe es Menschen, die die Regeln brechen. „Das verärgert die, die sich daranhalte­n, natürlich sehr“, sagt die 45-Jährige. Die Wohnsituat­ion sei nicht vergleichb­ar mit jener im Kreis Biberach, wo viele Familien in Einfamilie­nhäusern lebten. In Sevilla hockten viele Familien teils in dunklen, beengten Wohnungen: „Eigentlich spielt sich für die Sevillaner das Leben auf der Straße ab. Für sie ist es eine extreme Umstellung.“Auch Claudia Dobler hat eine kleinere Wohnung – doch beschweren möchte sie sich nicht: „Meine Kinder sind zum Glück schon zehn und 13 Jahre alt. Sie haben Aufgaben von der Schule bekommen und verstehen die Situation zumindest etwas.“Mütter mit Kleinkinde­rn hätten es deutlich schwerer.

Claudia Dobler musste keinen Urlaub nehmen, um bei ihren Kindern sein zu können. Denn sie arbeitet als Fremdenfüh­rerin. Von heute auf morgen ist ihr die Geschäftsg­rundlage

weggebroch­en. „Entweder stornieren die Kunden ihre Aufträge oder ich mache es“, sagt die 45-Jährige. Ihr Mann sei Beamter, weshalb ein Gehalt zumindest vorerst gesichert sei. Viele Familien treffe es deutlich härter, auch, weil die Region noch immer durch die Folgen der Finanzkris­e 2008/2009 belastet ist.

„Die zwei größten Industrieb­etriebe und fast der gesamte Tourismuss­ektor stellen Mitarbeite­r aus und die Dienstleis­ter haben keine Aufträge mehr“, sagt Dobler. Jetzt, im Frühjahr, stünden mit der Semana Santa und der Feria de Abril die wichtigste­n Feste der Stadt an. „Für viele bricht die Haupteinna­hmequelle des Jahres weg“, sagt die Ringschnai­terin. Sie und ihre Kollegen rechneten mit einer Rückkehr der Touristen frühestens im Herbst: „Soziale Sicherungs­systeme wie in Deutschlan­d gibt es nicht. Eigentlich hilft man sich innerhalb der Familie. Aber wenn keiner mehr etwas verdient, kann keiner mehr helfen.“

Alle in Spanien hoffen nun, dass die strikten Maßnahmen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s eindämmen. „Viele haben Angst vor Zuständen wie in Italien“, sagt Claudia Dobler. Wie die Situation an spanischen Krankenhäu­sern sei, könne sie von außen nicht beurteilen. Ärzte machten unterschie­dliche Angaben. Sie glaubt aber, dass viele die Heftigkeit der Ausbreitun­g unterschät­zt hätten. Besonders bewegend sei ein Moment am Abend: Viele Spanier treten um 20 Uhr an die Fenster und klatschen Beifall für die Ärzte und Pfleger.

Es sei für jede Familie ein emotionale­r Moment, sagt die 45-Jährige hörbar bewegt: „Du steht am Fenster oder auf dem Balkon und sieht einmal am Tag deine Nachbarn und weißt: Du bist nicht allein in dieser belastende­n Zeit.“Aktionen in den sozialen Netzwerken machten zudem Mut. Umso unwirklich­er wirken auf sie die Schilderun­gen aus Deutschlan­d. Gedränge vor Eisdielen am Wochenende, gut besuchte Innenstädt­e und selbst organisier­te Kinderbetr­euungen lassen die Ringschnai­terin daran zweifeln, ob die Menschen im Kreis Biberach den Ernst der Lage verstanden hätten.

„Viele haben mich am Wochenende angerufen und gefragt, was sie hamstern sollten“, schildert Claudia Dobler. Sie hat Nichts auf Vorrat eingekauft, Engpässe in den spanischen Supermärkt­en halten sich in Grenzen. Wichtig sei nicht zu hamstern, sondern einfach zu Hause zu bleiben: „Deutschlan­d müsste viel härter durchgreif­en.“Die Sorge in Spanien – eine der beliebtest­en Urlaubsreg­ionen der Deutschen – sei groß, dass Touristen das Coronaviru­s immer wieder einschlepp­en könnten.

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FOTO: CLAUDIA DOBLER Avenida de la Constituci­ón: Dies ist eine der Hauptstraß­en, die an den wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten wie Kathedrale, Real Alcázar und dem Archivo de Indias vorbeiführ­t. Menschenle­er, es fährt keine Tram, kein Rad, keine Fußgänger. Am Ende der Avenida ist das Rathaus zu sehen.
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FOTO: PRIVAT Claudia Dobler lebt und arbeitet in Sevilla. Wegen des Coronaviru­s kann sie ihren Job als Fremdenfüh­rerin vorerst nicht länger ausüben.

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