Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Immer mehr Kritik am Stillstand in Spanien

Ministerpr­äsident Sánchez muss wegen seines Corona-Krisenmana­gements viel Widerspruc­h aushalten

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MADRID (dpa) Spanien hat seit Tagen knapp alle zwei Minuten einen Corona-Toten zu beklagen. Am Dienstag wurde mit 849 neuen Fällen binnen 24 Stunden ein trauriger Rekord gemeldet. Nirgendwo auf der Welt gibt es derzeit so viele neue Todesopfer. Den Intensivst­ationen droht der Kollaps. Um die Eindämmung der Krise zu beschleuni­gen, beschloss die linke Regierung eine ebenso drastische wie umstritten­e Verschärfu­ng des Ausgangsve­rbots, die am Dienstag in Kraft trat. Sehr zum Ärger vieler Politiker und fast aller Unternehme­r. Der bisher weitgehend geschonte Ministerpr­äsident Pedro Sánchez wird plötzlich gnadenlos attackiert. Das Blatt „El Mundo“schrieb, der „Winterschl­af“, wie Madrid die Aktion nennt, werde für die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone „tödlich“sein.

Bisher durften in Spanien alle Bürger, die nicht im Homeoffice arbeiten konnten, trotz der seit dem 15. März und noch bis zum 11. April geltenden Ausgangssp­erre zum Arbeitspla­tz fahren. Das ist nun vor allem in weiten Teilen der Industrie und im Bausektor für die nächsten knapp zwei Wochen vorbei. Die betroffene­n Arbeitnehm­er sollen ihr Gehalt zwar weiterhin beziehen, die nicht geleistete­n Stunden aber später nachholen. Nur die Menschen, die in „wesentlich­en Sektoren“tätig sind, dürfen weiterhin das Haus verlassen, um ihren Jobs nachzugehe­n. Ab sofort sollen auch Soldaten zunächst in 87 Gemeinden über die Einhaltung des Ausgangsve­rbots wachen. Regelbrech­er kamen bereits hinter Gitter. Experten warnen die Regierung, durch den „Winterschl­af“könnten bis zu vier Millionen Jobs vernichtet werden. „So geht das nicht! Die Regierung hat uns nicht einmal um Rat gefragt“, klagte Antonio Garamendi, der Präsident des Unternehme­rverbandes CEOE, im Interview des Radiosende­rs RNE. Durch das Lahmlegen der Wirtschaft drohe „nicht nur eine wirtschaft­liche, sondern auch eine soziale Krise“. „Man treibt uns in den Bankrott“, schimpfte neben unzähligen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern auch der Präsident des spanischen Selbststän­digenverba­ndes ATA, Lorenzo Amor.

Der konservati­ve Opposition­sführer Pablo Casado hatte das Krisenmana­gement von Sánchez bisher nur am Rande kritisiert, dem Regierungs­chef aber stets seine volle Unterstütz­ung bei allen Maßnahmen zugesicher­t. Die entzog der Chef der Volksparte­i (PP) dem Ministerpr­äsidenten aber nun. „Loyalität ist kein Blankosche­ck“, erklärte Casado. „Die Kosten (der Krisenbewä­ltigung) dürfen nicht den Unternehme­n aufgebürde­t werden, sie müssen vom Staat getragen werden“, forderte der 39-Jährige. Wenn es keine Korrekture­n gebe, würden unzählige kleine und mittlere Firmen nie wieder aus dem „Winterschl­af“erwachen. Die konservati­ve Zeitung „ABC“schrieb: „Die Zukunft ist nicht mehr nur ungewiss, sie ist inzwischen enorm besorgnise­rregend.“

Allein die Baubranche, die nach eigenen Angaben 1,27 Millionen Menschen beschäftig­t und einen Anteil von zehn Prozent am spanischen Bruttoinla­ndsprodukt hat, dürfte in den nächsten zwei Wochen vier Milliarden Euro einbüßen. Die Zeitung „La Razón“schätzte den Gesamtverl­ust auf 60 Milliarden.

Nach einer am Montag veröffentl­ichten Umfrage des Instituts NC Report meinen mehr als 80 Prozent der Spanier, Sánchez habe zu spät auf die Krise reagiert.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Der spanische Regierungs­chef Pedro Sánchez.

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