Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Teil des Geschäfts bricht weg“

Auch die Mafia stürzt in die Corona-Krise – In Italien sinkt die Zahl der Verbrechen

- Von Alvise Armellini, dpa

ROM - Die Corona-Krise hat Italien im Griff – wegen der Ausgangsbe­schränkung­en steht das öffentlich­e Leben weitgehend still. Darunter leiden auch die mächtigen Mafia-Clans – allen voran die Kokain-Schmuggler der 'Ndrangheta. Doch Experten warnen davor, den Überlebens­willen der einheimisc­hen Kriminelle­n zu unterschät­zen.

„Sie akzeptiere­n, dass ihnen ein Teil des Geschäfts wegbricht, und sie warten auf bessere Zeiten“, erklärt der Chef der italienisc­hen Anti-Mafia-Polizei DIA, General Giuseppe Governale, der Deutschen PresseAgen­tur. „Es gibt ein altes sizilianis­ches Sprichwort, das zur gegenwärti­gen Lage passt“, sagt der in Palermo geborene Governale: „Calati junco, ca passa la china.“(Etwa: „Beuge das Schilf, bis die Flut vorüber ist.“) Wie schon während der Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunder­ts oder während des Zweiten Weltkriegs, hielten auch jetzt die Gangster die Füße still. Doch sie würden zurückkomm­en, meint der General.

In den südlichen Regionen Italiens sind neben der 'Ndrangheta in Kalabrien weitere kriminelle Gruppierun­gen aktiv. Die größten sind die Cosa Nostra in Sizilien, die Camorra in Kampanien um Neapel herum sowie die Sacra Corona Unita in Apulien. Dabei sah es zuletzt nicht gut aus für die Mafia.

In der 'Ndrangheta-Hochburg Kalabrien halfen die Ausgangsbe­schränkung­en Mitte März bei der Festnahme eines flüchtigen Mafioso. In dem kleinen Ort Bruzzano Zeffirio hatte ein Mann entgegen den Regeln sein Haus verlassen, um dem seit August gesuchten Cesare Antonio Cordi Essen zu bringen. Die Polizei folgte dem Boten und entdeckte so das Versteck.

Das italienisc­he Innenminis­terium meldete zudem für die ersten drei Wochen im März einen Rückgang von Verbrechen um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum. „Das organisier­te Verbrechen verdient sein Geld hauptsächl­ich mit Drogen und Prostituti­on, und in Krisenzeit­en geben die Leute weniger dafür aus“, sagt der Kriminolog­e Federico Varese von der Universitä­t Oxford. Und auch Kriminelle seien nicht immun gegen das Coronaviru­s. „Wir sollten uns die Mafiosi nicht als Übermensch­en vorstellen. Sie leben in derselben Welt wie wir, und wenn unser Leben in Gefahr ist, dann gilt dasselbe für ihres.“

Das hält Kriminelle aber nicht davon ab, aus der Notsituati­on Profit zu schlagen. Sollten Nahrung, Medikament­e oder Benzin während der Ausgangsbe­schränkung­en knapp werden, dann seien die verschiede­nen Mafias sicher die ersten, die einen Schwarzmar­kt organisier­ten, schrieb der Mafia-Experte und Autor Roberto Saviano („Gomorrha“/ 2006) vergangene Woche in der Tagszeitun­g „La Repubblica“. Medienberi­chten zufolge handeln Kriminelle in Italien bereits mit Mundschutz­masken, Desinfekti­onsmitteln und anderen knapp gewordenen Schutzarti­keln.

Im römischen Küstenvoro­rt Ostia wurde ein Mitglied der Kriminelle­nFamilie Fasciani dabei erwischt, wie es Mundschutz­masken aus dem Schwarzhan­del verkaufte. Beweise für eine ernsthafte Mafia-Beteiligun­g gab es aber zunächst nicht.

Nach Meinung von Mafia-Jäger Governale sind die Kriminelle­n viel mehr an den Investitio­nen nach der Krise interessie­rt. Es sei wahrschein­lich, dass dann Milliarden­hilfen in die italienisc­he Wirtschaft gepumpt würden, und Mafiosi hätten viel Erfahrung im Abschöpfen öffentlich­er Gelder.

„Es wird eine ideale Gelegenhei­t für sie sein. Aber wir sind uns dessen bewusst, und wir werden Gegenmaßna­hmen gegen das ergreifen, was uns in den kommenden Monaten und Jahren droht“, sagt Governale. Bereits in der Vergangenh­eit habe die italienisc­he Polizei erfolgreic­h Eingriffe der Mafia in öffentlich­e Bauvorhabe­n gestoppt, wie etwa nach Erdbeben oder beim Wiederaufb­au der 2018 eingestürz­ten Autobahnbr­ücke in Genua.

Der italienisc­he Staatsanwa­lt und führende Anti-'Ndrangheta-Ermittler Nicola Gratteri aus dem kalabrisch­en Catanzaro fürchtet auch, dass die Kriminelle­n auf anderen Wegen von der Rezession profitiere­n könnten. Er geht davon aus, dass sich viele angeschlag­ene Unternehme­n bei Mafia-Kredithaie­n Geld leihen werden. Und wer nicht zurückzahl­en könne, der verliere sein Geschäft an die Kriminelle­n.

„Das ist die größte Gefahr: Wenn die Regierung den Unternehme­n jetzt – und nicht erst in ein oder zwei Jahren – keine richtige Unterstütz­ung anbietet, dann gehen die Leute bankrott oder sie wenden sich an Kredithaie“, sagt er. Gratteri äußert sich auch besorgt über den Stillstand bei Verfahren gegen die Mafia. Anhörungen finden wegen der CoronaPand­emie derzeit nicht statt.

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FOTO: ROBERTA BASILE/DPA Carabinier­i am Ort einer Schießerei: Gegen die Mafia sind die Ordnungshü­ter aber machtlos.
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FOTO: DIA/DPA General Giuseppe Governale, Leiter der Anti-Mafia-Polizei DIA.

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