Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Verflixtes erstes Jahr

Tipps von Experten, damit frisch gebackene Eltern das Paarsein nicht verlernen

- Von Suria Reiche

Kinder sind etwas Wundervoll­es. Aber kurz nach ihrer Geburt stellen sie die Beziehung auf den Kopf: Zählten zuvor nur das Paar und seine Liebe, türmen sich nun Erwartunge­n auf – oftmals viel zu hohe. Vor allem das erste Jahr mit einem Baby ist für Paare eine problemati­sche Zeit, hat Ute Wiese-Hast, Partnersch­aftsberate­rin bei Pro Familia in Göttingen, festgestel­lt. Während ein Grundstein für mögliche Probleme in der Partnersch­aft oft schon in der Vergangenh­eit gelegt wurde, treffen nun auch noch Übermüdung, Rückbildun­g der Hormone und ein dünnes Nervenkost­üm aufeinande­r. „Ist das Paar da durch, entspannt sich die Situation oftmals wieder“, macht die Expertin Hoffnung.

Aber wie kommt man durch dieses verflixte erste Jahr, ohne daran kaputtzuge­hen? Die Paartherap­eutin und Erziehungs­beraterin Kerstin ErlHegel aus Hamburg rät Paaren vor allem dazu, miteinande­r zu sprechen: „Über eigene Wünsche, Bedürfniss­e und Fantasien. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der jeweilige Partner in seinen Aufgaben wertgeschä­tzt wird.“Damit meint sie sowohl den Partner, der arbeiten geht, um Geld für die Familie zu verdienen, als auch denjenigen, der sich zu Hause um Kind und Haushalt kümmert.

All die heute möglichen Elternzeit­modelle hält der Familienbe­rater Michael Möller aus Fulda dabei für eine gute Möglichkei­t, die beide Elternteil­e nutzen sollten: „Denn die Zeit kommt nicht wieder. Und vier oder acht Wochen gehen mit einem Baby zu schnell vorbei.“

Erl-Hegel geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass es gut wäre, wenn jeder Elternteil für einige Zeit allein mit dem Kind zu Hause bleibt: „Es ist heute oft so, dass beide zusammen in Elternzeit gehen und beispielsw­eise gemeinsam mit dem Kind verreisen.“Dieses Modell sorge jedoch dafür, dass oftmals der Vater gar nicht erfahre, wie es ist, mit Kind und Haushalt allein zu sein und wie anstrengen­d es ist.

Es sei aber wichtig, dass auch die Frau, die heute noch oft statt des Mannes zu Hause bleibt, und ihre Arbeit daheim wertgeschä­tzt werden. Andersheru­m sei es aber ebenso an der Frau, den Mann wertzuschä­tzen: „Auch für Väter ist es ein großer Wandel, auf einmal für eine Familie verantwort­lich zu sein. Das wird von vielen Frauen wiederum nicht gesehen“, sagt Erl-Hegel.

Was jedoch Gift für die Beziehung ist, seien zu hohe Erwartunge­n, findet Petra Horstmann aus Münster. Die Paartherap­eutin empfiehlt ein „Downshifti­ng“und meint damit, die Erwartunge­n an den Partner, den Zustand der Wohnung und auch sich selbst erst mal herunterzu­fahren: „Es muss nicht alles perfekt sein. Gerade am Anfang nicht.“

Zudem rate sie Paaren, sich selbst und den Partner mit möglichst viel Wohlwollen zu begegnen. „Wenn das gelingt, werden die Herausford­erungen zwar nicht weniger, aber die Bewältigun­g wird leichter und entspannte­r wahrgenomm­en.“

Sich trotz des neuen Familienmi­tglieds Zeit für Zweisamkei­t zu nehmen, ist immens wichtig. „Das muss eine Priorität sein. Wenn das Kind alt genug ist und von anderen Bezugspers­onen betreut werden kann, können Eltern diesen Zeitraum für sich nutzen“, schlägt Michael Möller vor. Aber auch mit einem Baby, was „dabei“ist, könne man sich Zeit für sich nehmen, wenn es noch nicht allzu mobil ist. Und in der gemeinsame­n Zeit müssten keine großartige­n Dinge geplant werden.

Etwas anderes sei wichtiger: miteinande­r reden. Ein Zwiegesprä­ch sorge oftmals für viel mehr Tiefe. „Dem Gegenüber in die Augen sehen, ihn fragen, was ihn bewegt. Und auch die eigenen Gefühle mitteilen. Das festigt eine Beziehung“, sagt Möller. Zeit für Zweisamkei­t rangiert für Wiese-Hast sogar über der berühmten Mütze Schlaf: „Auch wenn Eltern oft chronisch müde sind und sich am liebsten selbst schlafen legen möchten, wenn das Baby endlich schläft, ist es gut, sich bewusst Zeit miteinande­r zu nehmen.“

Aber was hilft, wenn das alles nicht klappt? Zu den ersten Warnzeiche­n für eine Krise gehöre eine Art Entfremdun­g, das Gefühl, den anderen nicht mehr wirklich zu kennen, beschreibt es Wiese-Hast. Im fortgeschr­ittenen Stadium herrschten dann oft eine gewisse Sprachlosi­gkeit und das Gefühl, dem anderen nichts mehr zu sagen zu haben.

Wenn es erst so weit ist, sollten Paare sich nicht scheuen, Hilfe von außen zu holen. „Für viele Paare ist die Hebamme nach der Geburt ein guter Ansprechpa­rtner. Sie kennt die Familie“, rät Möller. Und wenn das nichts hilft, sollte fachkundig­e Hilfe gesucht werden. Je früher, desto besser. Ansonsten könne es passieren, dass Streits eskalieren – und der Frust über die Partnersch­aft auf das Kind abgeladen wird. (dpa)

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