Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Polarstern“-Crew muss länger als geplant an Bord bleiben

Die Corona-Pandemie verzögert den nächsten geplanten Austausch der Wissenscha­ftler in der Zentralark­tis

- Von Janet Binder

BREMERHAVE­N (dpa) - Markus Rex hat im Moment kaum eine ruhige Minute. Ständig ist er im Austausch mit Behörden, dem Auswärtige­n Amt oder Kollegen. Der Wissenscha­ftler am Alfred-Wegener-Institut (AWI) ist Leiter der einjährige­n „Mosaic“Expedition, die am 1. April Halbzeit feiert. An diesem Meilenstei­n zumindest will er keinen Zweifel aufkommen lassen: „Wir gehen weiterhin davon aus, dass die „Polarstern“wie geplant am 12. Oktober nach Bremerhave­n zurückkehr­en wird. Aus derzeitige­r Sicht wird die CoronaPand­emie nicht zu einem frühzeitig­en Abbruch der Expedition führen.“

Allerdings verzögere sich der nächste Crew-Wechsel um Wochen, weil Ein- und Ausreisege­nehmigunge­n erteilt und Quarantäne­vorschrift­en eingehalte­n werden müssten. Als das Bremerhave­ner Forschungs­schiff „Polarstern“am 20. September 2019 von Norwegen aufbrach, um sich für ein Jahr in der zentralen Arktis einfrieren zu lassen, gab es zahlreiche Notfallsze­narien. Die Wissenscha­ftler wollten auf alle Eventualit­äten vorbereite­t sein. „Wir haben Pläne für vieles in den Schubladen“, betont Markus Rex, „aber nicht für eine weltweite Pandemie dieses Ausmaßes. Das konnte niemand vorhersehe­n.“

Während der einjährige­n Drift im Eis sollten alle zwei Monate die je hundert internatio­nalen Forscher an Bord ausgetausc­ht werden. Der letzte Wechsel verzögerte sich bereits um zwei Wochen, weil das Versorgung­sschiff mit dem neuen Personal nur sehr langsam durch das dichte Eis vorankam. Für den nächsten Austausch sollten Polarflugz­euge eingesetzt werden. Auf der riesigen Eisscholle, mit der die „Polarstern“driftet, wurde dazu eine Landebahn präpariert.

Doch die Corona-Pandemie hat alle Pläne zunichte gemacht: Niemand darf mehr nach Norwegen einreisen, die Wissenscha­ftler haben von ihren Instituten Reiseverbo­te bekommen.

„Wir sind mit unseren Partnern in Diskussion, wie wir den nächsten Austausch trotzdem hinbekomme­n“, sagt Rex. Dieser werde „sehr wahrschein­lich im Mai“sein. „Wenn wir eine sichere Lösung gefunden haben, die von allen Behörden genehmigt ist, werden wir sie mitteilen.“Klar ist: Bevor die neue Crew auf das Schiff kommt, werde sie zweimal auf das Virus SarsCoV-2 getestet.

Rex selber wäre nach den ursprüngli­chen Plänen schon längst wieder an Bord. Beim ersten „Mosaic“-Fahrtabsch­nitt war er bereits dabei, er wollte für den vierten Fahrtabsch­nitt vor seinen

Markus Rex, Leiter der „Mosaic“-Expedition

Kollegen da sein und dafür einen Flug im Rahmen eines Projekts zur Vermessung von Atmosphäre und Meereis nutzen. Doch die Kampagne musste ausgesetzt werden, weil ein Teilnehmer positiv auf das Coronaviru­s getestet worden war. Nun sitzt Rex in selbstaufe­rlegter häuslicher Quarantäne. Er wolle kein Risiko eingehen.

Die derzeitige Mannschaft auf dem Forschungs­schiff sei indes nicht in Gefahr. „Sie ist gut mit Lebensmitt­eln und Treibstoff versorgt“, betont Markus Rex. Dass sie nun wesentlich länger als geplant an Bord bleiben muss, nehme jeder Teilnehmer anders auf. „Natürlich gibt es auch welche, die darunter leiden und gerne bei ihren Familien wären.“Deshalb werden Satelliten­telefonges­präche mit einem Coach angeboten, der sich auf Krisenbewä­ltigung spezialisi­ert habe. „Bisher sehe ich aber nicht, dass das nötig ist“, sagt Markus Rex.

Den Forschern müsse überhaupt erst einmal das dramatisch­e Ausmaß der Corona-Pandemie verdeutlic­ht werden. „Sie können ja nicht im Internet surfen, dafür reicht die Bandbreite nicht.“Täglich bekämen sie zwar kurze Zusammenfa­ssungen der Nachrichte­n. Außerdem stünden sie per E-Mail oder WhatsApp in Kontakt mit ihren Familien. Aber die manchmal sich stündlich überschlag­enden Nachrichte­n bekomme die Mannschaft in der Arktis nicht mit.

Die Crew habe zudem zurzeit ihre ganz eigenen Probleme. „Es gibt eine hohe Eisdynamik, immer wieder entstehen Risse auf der Scholle, und Instrument­e drohen zu versinken.“Dementspre­chend hätten die Forscher alle Hände voll zu tun, so Rex. „Das Leben an Bord geht weiter wie eh und je.“

„Wir haben Pläne für vieles in den Schubladen, aber nicht für eine weltweite Pandemie dieses Ausmaßes. Das konnte niemand vorhersehe­n.“

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Markus Rex

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