Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Südwesten verzahnt Bundesmittel mit eigener Soforthilfe
STUTTGART (dpa/ben) - Das Land Baden-Württemberg hat die CoronaSoforthilfen des Bundes für Soloselbständige, kleine Unternehmen, Freiberufler und Landwirte in das bereits laufende Landesprogramm integriert. Neue Formulare seien seit Donnerstagmorgen verfügbar, wie das badenwürttembergische Wirtschaftsministerium mitteilte. „Baden-Württemberg hat innerhalb weniger Tage als eines der ersten Bundesländer ein Soforthilfeprogramm auf den Weg gebracht. Wir sind froh, dass der Bund gefolgt ist und wir die Programme im Sinne unserer Unternehmen jetzt verzahnen können“, sagte SüdwestWirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Bereits vorliegende Anträge werden laut Ministeriumsangaben weiter bearbeitet.
Von Donnerstag an gibt es damit nun auch Geld für Unternehmen aus der Land- und Forstwirtschaft. Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten fördert der Bund allerdings nicht – das macht der Südwesten weiterhin in Eigenregie und mit eigenen Mitteln. Zudem stellte Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) klar, dass Solo-Selbstständige wie bisher auch Kosten des privaten Lebensunterhalts in Höhe von 1180 Euro pro Monat geltend machen könnten.
Erste Überweisungen vom Bund sind bereits eingegangen, wie das Finanzministerium auf Nachfrage bestätigte. Zunächst seien 900 Millionen Euro für die Soforthilfen gekommen, für die das Land zuvor in Vorleistung gegangen war. 130 Millionen Euro seien dann am Mittwoch für die Krankenhausstabilisierung gefolgt.
RAVENSBURG - In kleinen Grüppchen stehen die Messebesucher beisammen, tauschen sich aus. Aussteller präsentieren ihre Produkte an Ständen in insgesamt sechs Messehallen. Im großen Forum nahe des Foyers referieren die Gastredner. Wer will, kann sich für Einzelgespräche in Konferenzräume zurückziehen. Eigentlich geht es hier auf der Messe „Proof of Concept“zu wie auf jeder anderen Messe – und doch ist alles ganz anders. Denn die „Proof of Concept“existiert allein virtuell – also als Messelandschaft, die Computer allein in Bits und Bytes auf Bildschirmen erschaffen.
Dahinter steckt ein Projekt, das der Zeit geschuldet ist: In der Corona-Krise werden reihenweise Messen abgesagt. Laut Verband Auma führt das schon jetzt zu mindestens 5,6 Milliarden Euro Einbußen für die Gesamtwirtschaft. Die Suche nach Alternativen, um trotzdem Geschäfte zu machen, neue Produktentwicklungen vorzuführen oder sich zu vernetzen, läuft also auf Hochtouren.
Eine Alternative ist der digitale Weg: So hat beispielsweise der schwäbische Maschinenbauer Grenzebach seinen Messestand kurzerhand am eigenen Firmensitz aufgebaut, dreht dort Videos und stellt sie ins Netz. Die abgesagte TourismusMesse ITB Berlin wurde in Form von Onlinevorträgen ins Internet verlegt. Das Unternehmen Gläss Software & Automation aus Weingarten im Landkreis Ravensburg allerdings geht mit der virtuellen Messe „Proof of Concept“noch einen Schritt weiter. Hier können sich die Besucher als animierte Figuren, als sogenannte Avatare, bewegen. Alles soll einer reellen Messe so ähnlich wie möglich sein, während die Teilnehmer in Wirklichkeit im Büro oder zu Hause an ihren Computern sitzen, Headsets tragen und ihre Figuren via Tastatur und Maus steuern.
„In der Coronakrise macht Deutschland einen Sprung nach vorn, was die Digitalisierung betrifft“, sagt Messeveranstalter und Inhaber von Glaess Software & Automation, Frank Gläss. Eigentlich digitalisiert seine Firma Produktionsanlagen – macht Maschinen fit für das digitale Zeitalter. Aber Gläss und sein Team haben Anfang 2018 auch die Plattform T.o.M. entwickelt, die virtuelle Geschäftstreffen ermöglicht. Die zugrundeliegende Technologie dafür kommt aus Ulm, vom Softwareentwickler Tricat. Bisher war die Nachfrage nach virtuellen Treffen überschaubar. „Jetzt in der CoronaZeit hat die Sache aber eine Eigendynamik entwickelt“, sagt Gläss.
Als die analoge Messe für industrielle Automation „All about Automation“in Friedrichshafen verschoben wurde, „da haben wir im Bruchteil einer Sekunde gesagt, wir machen jetzt eine eigene Messe“, sagt Gläss – als Pilotprojekt, wie der Name „Proof of Concept“unterstreichen soll. Die technische Grundlage existierte mit T.o.M ja bereits. Kollegen und Gäste hätten schnell Interesse gehabt, sagt Gläss. Tatsächlich sind bei der „Proof of Concept“, die am vergangenen Mittwoch über den ganzen Tag ging, im Schnitt etwa 60 bis 80 Gäste – vor allem aus der Automatisierungsund Digitalisierungsbranche – gleichzeitig in den Messehallen unterwegs. Sie schlendern zwischen teilweise ausgefallenen Ständen, mit 3D-Animationen von Robotern oder von fahrerlosen Transportsystemen umher. 160 Gäste hätten sich insgesamt registriert, sagt Gläss.
Einer der Besucher ist Raphael Kroll. Sein Avatar trägt Anzug und Kurzhaarschnitt und wirkt anfangs noch etwas verloren in der unbekannten, virtuellen Welt. Kroll arbeitet bei der Firma SBS mit Sitz in München, die mittelständische Firmen bei der Internationalisierung berät. „Alle Dienstreisen sind im Moment natürlich abgesagt. Da will ich mich mal umschauen, wie diese Messe funktioniert und ob das auch für uns interessant sein kann“, sagt er. Sein erster Eindruck sei positiv. „Dass es so reell wirkt, hätte ich gar nicht erwartet“, sagt Kroll. Probleme bei der Steuerung des Avatars – die Figuren können gehen, rennen, lächeln, grimmig schauen, winken, applaudieren – fürchtet er nicht. „Ich habe Erfahrung im Gaming“, sagt er. Das helfe.
Christian Dörner, Vertriebsspezialist für Digitalisierung bei Siemens, ist Gastredner und Aussteller bei der „Proof of Concept“. Sein Avatar ist im blauen Sakko unterwegs, trägt Brille. „Ich hätte noch gern einen Bart gehabt, aber den gab es nicht“, scherzt Dörner. Die virtuelle Messe sei eigentlich eine logische Weiterentwicklung der bisherigen
Messe“, sagt er. Außerdem spare man dabei Geld. Für einen Stand in der realen Welt zahle man meist einen fünfstelligen Betrag. Bei der Messe von Glaess Software & Automation gibt es die kleinste Standgröße mit bis zu zwei Avataren für 1600 Euro, für 7500 Euro eine eigene Halle mit zehn Avataren. „Ich muss außerdem kein Hotel suchen und spare mir auch die Anreise“, fügt Dörner hinzu.
Messeexperte Udo Traeger von der Beratungsfirma Exhibition Doctors bestätigt: Eine virtuelle Messe habe Vorteile wie eine kürzere Vorbereitungszeit, Flexibilität bei der Dauer, geringere Kosten bezüglich Hallenmiete, Standbau oder Anund Abreise. Und sie sei nachhaltiger, weil die CO2 Belastungen der Reisen wegfalle, „allerdings belasten auch die Server die Umwelt“, fügt er hinzu.
Dass die virtuelle Messe die analoge aber ersetzen könnte, glauben Udo Traeger und übrigens auch Frank Gläss nicht: „Es kristallisiert sich in solch extremen Zeiten immer wieder das Bedauern heraus, sich nicht persönlich treffen zu können und auch Produkte haptisch und sinnlich zu erfahren“, sagt Traeger. Der persönliche Kontakt sei immer noch „das Höchste was es gibt“, sagt auch Gläss. Beim Messeverband Auma kommentiert man etwas kritischer: „Virtuelle Messen werden eher eine Ergänzung oder, wie im Moment, ein zeitweiliger Ersatz bleiben. Dafür ist die Wirkung, die reale, dreidimensionale Präsentationen haben, viel zu groß“, sagt Harald Kötter, Sprecher beim Verband. Wer langfristige Kundenbeziehungen anstrebe, wer Kaufverträge vorverhandeln will oder Kooperationen, könne auf Messen den realen Menschen „dahinter“kennenlernen.
Eine Zusammenarbeit zwischen analoger und virtueller Messe sei aber eine Möglichkeit. Der Trend gehe tatsächlich in Richtung einer hybriden Messe, sagt Traeger, „das heißt die physische, analoge Messe hat eine virtuelle Vor- und Nachlaufphase.“Bedingung ist aber immer, dass die Technik funktioniert und verständlich ist. Vor dem Bildschirm „sitzen nicht immer IT-Nerds, sondern Marketing- oder Vertriebsleute, die möglicherweise eher unwillig sind, sich bei jeder Veranstaltung in ein neues System einzuarbeiten“, sagt Traeger.
Tatsächlich erlebt man auch am Mittwoch bei der „Proof of Concept“die ein oder andere technische Kuriosität. Beispielsweise, als ein Teilnehmer vergisst, sein Mikrofon auf stumm zu stellen und plötzlich nebenbei ein privates Gespräch führt, das durch die Messeräume hallt oder ein Avatar, der plötzlich vom Boden abhebt und ein paar Schritte durch die Luft macht. Auf der virtuellen Messe bleiben die Teilnehmer bei so etwas gelassen. Bei einer realen Messe wäre das wohl eine Riesensensation.
Videos von der virtuellen Messe finden Sie online unter www.schwaebische.de/virtuelle-messe