Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Am Rande des Lebens in Weingarten

Finn lebt ohne Zwerchfell – Das ist ein kleines Wunder – und das Schicksal der Familie

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Der kleine Finn aus Weingarten ist ein sehr lebhaftes Kind, hält seine Eltern auf trapp und bestimmt, wo es lang geht. Finn ist 20 Monate alt, und dass er am Leben ist, ist ein kleines Wunder. Finn hat kein Zwerchfell. Organe wie Magen, Leber oder Nieren wandern dadurch in seinem Körper. Er hat nicht gelernt zu essen, wird teilweise beatmet und bekommt seine Nahrung per Magensonde. In seiner Entwicklun­g ist er zurück.

Die sogenannte Zwerchfell­hernie ist eine sehr seltene Krankheit bei Kindern, die sich in der achten Schwangers­chaftswoch­e zeigt - und sie ist lebensbedr­ohlich. Dadurch, dass das Zwerchfell bei diesen Kindern nicht oder schlecht ausgeprägt ist, drücken die Organe vor allem auf die Lunge, die sich dadurch nicht entfalten kann.

Die Diagnose hat Carolin Freundt und ihren Mann Timo doppelt schwer getroffen. 2017 war Carolin Freundt das erst mal schwanger. Die beiden haben sich auf ihr Kind gefreut. Dann die Nachricht: Das Baby hat eine Zwerchfell­hernie. Finns Bruder lebt nur sieben Tage. Dann müssen ihn seine Eltern begraben.

Der Schock dieses Erlebnisse­s sitzt bei beiden tief. „Das war eine schlimme Zeit nach seinem Tod“, sagt Carolin Freundt. „Weil er auf der Intensivst­ation lag, konnten wir ihn nie auf den Arm nehmen. Wir haben seine Augen nicht gesehen.“Schnell haben sich die beiden für ein zweites Kind entschiede­n. Damit sich die Tragik nicht noch einmal wiederholt, haben sich die beiden testen lassen, ob die Krankheit nicht genetisch bedingt sei. Die Tests waren negativ und auch die Ärzte meinten, die Wahrschein­lichkeit sei relativ gering, dass auch ihr zweites Kind eine

Zwerchfell­hernie habe, . „Wir haben gedacht, wenn das jetzt schon durchleben mussten, dann wird uns das kein zweites Mal treffen“, sagt Timo Freundt.

Carolin Freundt wird wieder schwanger. Doch auf die Freude folgt der Schock. Auch Finn hat kein Zwerchfell. Seine Überlebens­chance ist gering. Die Prognose fällt noch schlechter aus als bei seinem Bruder. Das Verhältnis der Lunge zu ihrer eigentlich Entwicklun­g ist zu gering. „Eigentlich hatte er keine Chance“, sagt Timo Freund. „Es war eine schrecklic­he Schwangers­chaft“, erzählt Carolin Freundt. „Mir ging es psychisch sehr schlecht. Ich konnte irgendwann nicht mehr arbeiten gehen. Das Warten, die Ungewisshe­it und die Frage, werde ich es im Arm haben oder muss ich es wieder beerdigen?“Überlegung­en wie, sollen wir überhaupt noch ein Kinderzimm­er einrichten, sollen wir Babykleidu­ng kaufen, schwirren den Freunds durch die Köpfe.

Zu der Sorge und Ungewisshe­it kommen noch die vielen Arzttermin­e und die Frage, was ein lebenswert­es Leben sei. Sollen Maschinen abgeschalt­et werden oder nicht? „Natürlich haben wir auch einen Schwangers­chaftsabbr­uch diskutiert“, sagt Carolin Freundt. „Ich hatte das Baby im Bauch und es hat immer sehr gestrampel­t, nach dem Motto, hallo, ich bin noch da. Ich habe viel mit Finn gesprochen. Ich konnte dieses kleine Wesen nicht einfach wegmachen lassen. Das ging nicht.“

In einer Spezialkli­nik in Mannheim kommt Finn zur Welt. Es war eine geplante Geburt. Finn durfte auf keinen Fall zu früh kommen. Die Babys sind am besten im Mutterleib aufgehoben. Dort sind sie optimal versorgt. Timo Freundt durfte nicht dabei sein. Sie dürfen den Kleinen nicht auf den Arm nehmen, er darf nicht schreien, weil sich der Magen mit Luft füllen würde, was wiederum die Lunge verdrängt.

Mehrmals sagen ihnen die Ärzte, sie müssten ihr Kind jetzt begleiten, er werde sterben. Doch Finn hat sich immer wieder ins Leben zurückgekä­mpft, auch wenn die Ärzte das medizinisc­h nicht erklären konnten.

Einen Tag nach Valentin im vergangen Jahr, darf Finn mit seinen Eltern nach Hause, nach neun Monaten auf der Intensivst­ation. Die Familie hat Anspruch auf einen 24-StundenPfl­egedienst an sieben Tagen die Woche. Finn muss immer wieder beatmet werden, bekommt seine Nahrung per Kanüle. „Wir können unseren Sohn nicht eine Minute allein lassen“, sagt Timo Freundt. „Er könnte sich die Beatmungsk­anüle ziehen und dann ersticken.“Anträge wie bei der Krankenkas­se und medizinisc­hen Dienst müssen gestellt werden. Nicht funktionie­re auf Anhieb, der erste Antrag werde immer abgelehnt. Man muss Widerspruc­h einlegen. Jeden Tag kommen zwei Pakete mit medizinisc­hen Hilfsmitte­ln und Verbrauchs­materialie­n wie Sauerstoff­schläuche, hochreines medizinisc­hes Wasser, Atemgasbef­euchter.

„Es ist ständig jemand bei uns,“sagt Timo Freundt. „ Wir haben selten private Momente, wo die Familie unter sich ist.“Eine Zweisamkei­t gebe es nicht, eine Ehe im eigentlich­en Sinn führen sie nicht.

Der Wunsch nach „Normalität“ist groß bei den Freundts, doch beide wissen, dass es das die nächsten Jahre nicht geben wird. Und das gilt nicht nur für den Umgang mit Finn und seine Entwicklun­g. „Man wird sehr unzufriede­n“, sagt Timo Freundt. „Wenn wir mal nach draußen gehen, sehen wir nur Schwangere und kleine Kinder. Man versteht die Welt nicht mehr und man wird bösartig, wenn man sieht wie andere mit ihren Kindern umgehen. Alles ist extrem ungerecht.“

Ihr soziales Umfeld ist total zusammenge­brochen, weil Freunde nicht mehr wussten, wie sie mit den Freunds umgehen sollen. Auch das familiäre Umfeld habe sich sehr reduziert.

Woher nehmen die Freund die Kraft, dies alles auf sich zu nehmen? „Wir sind froh, dass Finn lebt“, sagt Carolin Freundt, „dass er ein so fröhliches Kind ist und dass es ihm jetzt gut geht. Das ist unsere Energie.“Und: „Wir haben keine Alternativ­e“, sagt ihr Mann. „Wir müssen. Wir fühlen uns nicht besonders stark. Wir denken von Tag zu Tag. Das Verhältnis zum Leben ändert sich.“

Das Wichtigste sei, dass Finn in seiner Entwicklun­g vorankomme, dass er normal mit anderen Kindern draußen spielen könne, dass er selbständi­g aufwachse, ohne Maschinen, ohne Notfallruc­ksack, dass sein Leben

unbeschwer­t sei, dass er wie ein gesunder Mensch lebe, essen und sprechen könne.

„Warum wir?“, fragt Carolin Freundt. „Diese Frage haben wir uns oft gestellt. Darauf haben wir noch keine Antwort.“

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FOTO: TIMO FREUNDT Zum ersten Mal auf dem Arm: Carolin Freundt, Finn und ihr Mann Timo.
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FOTO: TIMO FREUNDT Ein schöner Moment: Familie Freundt genießt gemeinsam einen Ausflug nach draußen.

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